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       # taz.de -- „Tagesspiegel“ streicht Medienseite: Die Journalisten-Dinos weinen
       
       > Der Berliner „Tagesspiegel“ stellt seine Medienseite ein. Dabei hatte der
       > moderne Medienjournalismus dort seine Anfänge.
       
   IMG Bild: Verspricht Hintergründiges: „Tagesspiegel“-Verlagshaus am Askanischen Platz in Berlin
       
       Die [1][Süddeutsche hat es getan], die taz sowieso und jetzt folgt auch der
       Tagesspiegel. Ein neues Blattkonzept muss her. Nicht nur fürs Wochenende,
       der Tagesspiegel erfindet sich gleich doppelt neu. Ab Dezember ist er „2
       in 1“, wie es in der Werbung heißt. Und diese verspricht: „Ab sofort lesen
       Sie zwei Zeitungen in einer: 40 Seiten aus der Welt. 40 Seiten aus der
       Weltstadt.“
       
       Wobei mit „Weltstadt“ ganz unbescheiden wohl die Ansiedlung gemeint ist,
       für die seinerzeit die damalige Tagesspiegel-Schwester Zitty den schönen
       Slogan „Wir können alles, aber nichts richtig“ vorschlug. Nun soll Berlin
       also richtig zum Zuge kommen und auch die lang vernachlässigten Bezirke
       wieder eine gebührende Berichterstattung erfahren.
       
       Klingt gut? Na ja, geht so. Denn der Tagesspiegel verspricht „mehr“ aus
       Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, ja ganz einfach „mehr aus dem
       Leben“. Aber die Medien lässt er weg. Genauer gesagt, seine ziemlich
       renommierte Medienseite. „Ja, da weinen nun alle Dinos unter sich. Wer sich
       nicht agil bewegen kann, fliegt beim Zeitungstanz frühzeitig raus“, meint
       die Mitbewohnerin.
       
       Allerdings hat mit genau dieser Medienseite beim Tagesspiegel in der 1980er
       Jahren der moderne Medienjournalismus angefangen. Er wollte mehr sein als
       [2][TV-Programmvorschau]. Jetzt verspricht das Blatt augenzwinkernd „mehr
       Serien“. Und es heißt natürlich, die Medienthemen würden selbstverständlich
       weiterhin behandelt. Aber eben dort, wo sie hingehören, Medienpolitik in
       der Politik, Finanzlöcher beim RBB in der Wirtschaft oder im Lokalen usw.
       
       ## Zusammenhänge gehen verloren
       
       Kann das funktionieren? Im Prinzip ja, würde Radio Eriwan jetzt sagen. Bloß
       die hinlänglich bekannten Beispiele wie Zeit und Spiegel zeigen, dass der
       Umfang der Berichterstattung arg schrumpft. Wenn die verlässliche
       Abwurfstelle für Medienthemen wegfällt, haben die es weitaus schwerer, ins
       Blatt zu kommen. Keine Ahnung, ob es darüber wissenschaftliche
       Untersuchungen gibt. Aber nach dem Bauchgefühl verschwinden dann drei
       Viertel der Themen, vor allem die kleinen. Und die Zusammenhänge gehen
       verloren, die eine Medienseite beispielsweise zwischen TV-Programm,
       Wirtschaft und Politik herstellen kann. Oder zwischen mancher
       Springer-Berichterstattung und der Frage, wie Dr. Döpfner geschlafen hat.
       
       Mit der Auflösung eines Fachressorts fehlt irgendwann auch die Expertise.
       Dann ist keineR mehr Expert*in und ständig am Ball. Mit dem Versprechen
       „mehr Expert*innen“, das auch so ein Jingle im Werbeblock für den neuen
       Tagesspiegel ist, passt das nicht zusammen. Anders als das olle Blattmotto
       „Rerum cognoscere causas“, das ja zutiefst Hintergründiges verspricht,
       wirft die Neuerfindung des Blattes so garantiert keinen Doppelgewinn ab.
       
       24 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
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   DIR Steffen Grimberg
       
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