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       # taz.de -- Thüringens Innenminister über Parteiverbot: „Die AfD ist verfassungsfeindlich“
       
       > Georg Maier meint, dass man das AfD-Verbotsverfahren jetzt vorbereiten
       > sollte. Das müsse aber begründet sein, erklärt der SPD-Politiker.
       
   IMG Bild: Georg Maier glaubt nicht, dass die AfD ohne das krisenhafte Umfeld so gut dastehen würde
       
       taz: Herr Maier, Sie haben schon [1][vor zwei Jahren ein AfD-Verbot ins
       Spiel gebracht]. Nachdem jetzt eine Ex-AfD-Abgeordnete an Putschplänen
       beteiligt gewesen sein soll – fühlen Sie sich bestätigt? 
       
       Georg Maier: Ein Stück weit schon. Damals habe ich ja nicht von einem
       sofortigen AfD-Verbot gesprochen, sondern ich habe gesagt: Das ist Ultima
       Ratio, wenn sich diese Partei weiter radikalisiert. Und diese
       Radikalisierung habe ich kommen sehen. Die AfD hier in Thüringen ist
       besonders radikal, und damals war schon klar, dass Björn Höcke den Laden
       vollständig im Griff hat und nach Höherem strebt. Und jetzt sieht man nicht
       zuletzt aufgrund dieser Razzien, dass die Radikalisierung erheblich
       vorangeschritten ist.
       
       Ist es aus Ihrer Sicht jetzt also an der Zeit für ein AfD-Verbotsverfahren? 
       
       Ich bin der Auffassung, dass man das Verbotsverfahren jetzt vorbereiten
       sollte.
       
       Was heißt das genau? 
       
       Das heißt, dass wir die Dinge sorgfältig aufbereiten müssen. Wir wissen ja,
       spätestens seit dem Verbotsverfahren gegen die NPD, wie hoch die Hürden
       sind. Und was für ein Schaden angerichtet werden kann, wenn das Verfahren
       scheitert. Ich denke aber, dass wir bei der AfD an einige Punkte bereits
       einen Haken machen können.
       
       An welche? [2][Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur NPD
       drei Kriterien benannt]: dass erstens die Partei wesentliche Prinzipien des
       Grundgesetzes ablehnt, insbesondere die Garantie der Menschenwürde und den
       Gleichbehandlungsgrundsatz. Zweitens die Relevanz, also dass die Partei die
       Möglichkeit hat, ihre Ziele umzusetzen. Und drittens die
       aggressiv-kämpferische Haltung, also Gewaltbereitschaft. 
       
       Genau das sind die Punkte. Die AfD ist klar verfassungsfeindlich. Das haben
       wir belegt. Der Verfassungsschutz hat die AfD in Thüringen ja als
       rechtsextreme Bestrebung eingestuft. In unserem neuen
       Verfassungsschutzbericht wird das noch einmal sauber aufbereitet. Die AfD
       verheimlicht kaum noch, dass sie versucht, unsere
       freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen. Sie strebt ja nicht
       nach demokratischen Mehrheiten im Parteienwettbewerb, sondern sie möchte
       dieses System überwinden. Ihre Bedeutung ist leider auch eindeutig gegeben.
       Laut Umfragen könnte die AfD in Thüringen stärkste Kraft sein, und das kann
       in anderen Bundesländern auch der Fall sein. Und jetzt kommen neue Belege
       hinzu – die Festnahmen von AfD-Mitgliedern im Zusammenhang mit den
       Umsturzvorbereitungen von Reichsbürgern. Es war ja durchaus auch bereits
       aggressives Verhalten, als AfD-Abgeordnete vor zwei Jahren Störern Zugang
       zum Bundestag verschafft haben. All das sollte man jetzt zusammentragen.
       
       Was würde hier in Thüringen, wo derzeit ein Viertel der Wähler und
       Wählerinnen für die AfD stimmen würden, ein Verbotsverfahren bedeuten?
       Sehen Sie die Gefahr einer weiteren Radikalisierung? 
       
       Nein, es ist nicht so, dass alle Menschen, die jetzt ihre Sympathie mit der
       AfD bekunden, Verfassungsfeinde oder Rechtsextremisten sind. Die AfD nutzt
       derzeit sehr geschickt die zahlreichen Krisen, in denen wir stecken, um
       Protestwähler einzusammeln. Ich bekomme selbst mit, wie Leute aus dem
       bürgerlichen Umfeld, etwa Gewerbetreibende und Handwerker, sehr unzufrieden
       sind, erst mit der Coronapolitik, jetzt mit der Sanktionspolitik. Sie
       tendieren zur AfD, weil sie der Meinung sind, dass sie die einzige
       wirkliche Oppositionspartei ist, die denen da oben mal so richtig den
       Marsch bläst. Ich glaube, die allermeisten haben sich nicht damit
       auseinandergesetzt, dass diese Partei einen Systemwechsel will. Insofern
       kann auch ein Verbotsverfahren dazu führen, dass die Menschen sich mit der
       Materie befassen.
       
       Aber Sie haben den Landesverband als erwiesen rechtsextrem eingestuft,
       dieses Stoppzeichen also bereits gesetzt. Was hat sich denn dadurch
       verändert? 
       
       Man muss berücksichtigen, dass das Umfeld derzeit natürlich ein sehr
       schwieriges ist mit diesen gravierenden Krisen in kurzer Folge. Das ist
       Treibstoff für die AfD. Ich glaube nicht, dass die AfD so gut dastehen
       würde, wenn es nicht dieses krisenhafte Umfeld gäbe. Aber natürlich ist es
       schwierig, wenn der Eindruck entsteht, dass man eine missliebige Partei
       durch ein Verbot aus der Welt schaffen will. Wir brauchen meines Erachtens
       klare Kante gegenüber der AfD, aber es muss gut erklärt sein. Denn
       natürlich wird die AfD versuchen, dies zu nutzen. Allein dieses Interview
       wird mir wieder Dutzende kleine Anfragen einbringen und den Versuch, mich
       als diktatorischen Innenminister darzustellen.
       
       Sie haben im Juli die Waffenbehörden angewiesen, AfD-Mitglieder zu
       entwaffnen. Was ist seitdem passiert? 
       
       Dass war keine Anweisung, sondern ist die konsequente Umsetzung geltenden
       Rechts. Durch die jüngste Verschärfung des Waffenrechts wurde das Kriterium
       der Zuverlässigkeit klarer definiert. Wenn jemand nicht zuverlässig ist,
       darf er keine Waffe haben. Bei Rechtsextremisten ist diese Zuverlässigkeit
       nicht gegeben. Und da Thüringen die AfD als rechtsextremistisch und
       verfassungsfeindlich eingestuft hat, gilt das für AfD-Mitglieder. Wir haben
       also in unserem Landesverwaltungsamt entsprechende Strukturen geschaffen,
       die die Waffenbehörden unterstützen. Man kann sich natürlich mit
       rechtsstaatlichen Mitteln gegen diese Entscheidungen wehren. Das heißt,
       viele Verfahren landen vor Gericht, die Gerichte sind oft überlastet, die
       Dinge ziehen sich. Das war teilweise auch schon bei den Reichsbürgern so,
       die wir schon seit einigen Jahren konsequent entwaffnen. Da sind wir aber
       trotzdem gut vorangekommen.
       
       Was heißt das in Zahlen? 
       
       Zur AfD liegen mir noch keine Zahlen vor, das ist noch zu frisch. Bei den
       Reichsbürgern ist bei einer hohen zweistelligen Zahl das Verfahren
       abgeschlossen und die Waffen sind entzogen. Im Bundesdurchschnitt können
       wir uns sehen lassen.
       
       Die Entwaffung ist auch bundesweit schon lange Thema, aber laut
       Innenministerium haben noch immer 1.500 Rechtsextremisten Schusswaffen –
       und in den letzten Jahren sind es nicht weniger, sondern mehr geworden. 
       
       Das ist die Problematik, die ich angedeutet habe. Das sind
       höchstwahrscheinlich Waffen, die sie im Zusammenhang mit der Jagd oder als
       Mitglied in einem Schützenverein haben. Die zu entziehen dauert seine Zeit.
       Das darf aber keine Ausrede sein. Die weiterhin hohe Zahl besorgt auch
       mich. Hier müssen wir nachsteuern. Und dass die Bundesinnenministerin das
       tut, finde ich richtig.
       
       Die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Malsack-Winkemann, die seit der
       Razzia in Untersuchungshaft sitzt, ist Sportschützin und soll mehrere
       Waffen besitzen. In Thüringen hätte sie diese also abgeben müssen; weil sie
       in Berlin lebt, durfte sie sie behalten? 
       
       Im Prinzip ja. Aber ich weiß nicht, ob wir ihr die Waffen schon entzogen
       hätten. Wenn wir Kenntnis gehabt hätten, dass sie einen
       Reichsbürger-Hintergrund hat, dann wahrscheinlich. Als AfD-Mitglied würde
       das Verfahren wohl noch laufen.
       
       Von den ganzen Informationen, die bislang um diese mutmaßliche
       Reichsbürger-Terrorgruppe bekannt ist, was beunruhigt Sie am meisten? 
       
       Ich bin jetzt nicht gerade aus allen Wolken gefallen. Wie soll ich sagen,
       wir sind hier in Thüringen. Die Szene in Thüringen und deren Vernetzung ist
       weithin bekannt. Die AfD wirkt zusammen mit Reichsbürgern, mit Querdenkern,
       mit der NPD, der Identitären Bewegung, dem Dritten Weg. In Ostthüringen
       sind auch die Freien Sachsen dabei. Vielleicht diese Heimatschutzkompanien.
       
       Die laut Plänen den Umsturz durchführen – und die Menschen abführen und
       exekutieren sollten. In Thüringen und Sachsen sollen die Aufbaupläne am
       weitesten gediehen gewesen sein. 
       
       Genau das. Und die Vernetzung in die Bundeswehr und die Spezialkräfte.
       
       Trotz dieser ganzen Tatsachen halten manche die Gefährlichkeit dieser
       Gruppe für übertrieben, etwa der Ex-Bundesinnenminister Otto Schily,
       Sozialdemokrat wie Sie. Er sagt, man solle die Gefahr nicht überbewerten,
       und sprach von einer „skurrilen Spinner-Truppe“. Was sagen Sie dazu? 
       
       Ich bedauere, dass er das so eingeordnet hat. Auch weil es genau das ist,
       was etwa die AfD versucht. Immer wieder wird diese Spinnerattitüde
       strapaziert. Das ist ein großer Trugschluss.
       
       Warum? 
       
       Diese Leute haben eine innere Überzeugung, die beängstigend ist. Es ist
       doch klar, dass nicht unmittelbar ein Umsturz bevorstand. Ermittelt wird
       wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Es geht um den Aufbau und
       das Größerwerden von Strukturen, die die Demokratie beseitigen wollen. Und
       das beobachten wir jetzt schon seit Jahren. Diese Verschwörungsmythen, erst
       bei Corona, dann im Zuge des Ukrainekrieges bei den Sanktionsmaßnahmen, das
       ist die Brücke hinein in breitere Gesellschaftsschichten. Dass der Prinz,
       der in Frankfurt festgenommen wurde, optisch nicht unbedingt als
       aggressiver Staatsfeind daherkommt, heißt doch nichts. Es war schon oft ein
       Trugschluss in der deutschen Geschichte, dass bürgerlich anmutende Menschen
       keine Extremisten sein können.
       
       14 Dec 2022
       
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