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       # taz.de -- Spielfilm über Bataclan-Überlebende: Wenn die eigene Legende bröselt
       
       > „Frieden, Liebe und Death Metal“ begleitet ein Paar, das die Anschläge im
       > Pariser Bataclan erlebt hat. Ein Film zwischen Trauma und Verdrängung.
       
   IMG Bild: Céline (Noémie Merlant) und Ramón (Nahuel Pérez Biscayart) im Bataclan
       
       Arm in Arm, in glänzende Rettungsdecken gehüllt, gehen Ramón und Céline
       durch die nächtliche Innenstadt von Paris nach Hause. Auf der Straße neben
       ihnen fährt ein endloser Konvoi von Polizeifahrzeugen in die
       entgegengesetzte Richtung. Kurz bevor sie zu Hause sind, überholt sie ein
       Bus. Auf den Sitzen des Busses sitzen weitere Menschen mit Rettungsdecken,
       die mit leerem Blick in die Dunkelheit hinaus blicken. Es ist die Nacht vom
       13. auf den 14. November 2015.
       
       Ramón und Céline waren wenige Stunden zuvor im [1][Bataclan, als
       islamistische Terroristen während eines Konzerts der Eagles of Death
       Metal] in den Saal stürmten und um sich schossen. Regisseur Isaki Lacuesta
       zeichnet in „Frieden, Liebe und Death Metal“ das Leben des
       französisch-spanischen Paares mit dem Trauma im ersten Jahr nach dem
       Massaker nach. [2][Zehn Monate nachdem der Film im Wettbewerb der Berlinale
       lief], kommt er nun mit einem begrenzten Kinostart regulär in die deutschen
       Kinos.
       
       Kurz nach dem Attentat stehen die beiden mit Carlos und Lucie, einem
       befreundeten Paar, auf dem Balkon und spielen Bullshitbingo mit den
       Reaktionen ihres Umfelds – von „was uns nicht umbringt, macht uns hart“ bis
       „The show must go on“ ist alles dabei. Bei dem Spiel stellt sich heraus,
       dass Céline, anders als die anderen drei, niemandem erzählt hat, dass sie
       in jener Nacht im Bataclan war.
       
       Unter anderem, um genau diesen Reaktionen zu entgehen. Lange scheint es
       auch, als wäre Céline (Noémie Merlant), die früher als die drei anderen aus
       dem Konzertsaal in eine Garderobe entkommen ist, mehr oder weniger mit dem
       Schrecken davongekommen. Bei Rámon (Nahuel Pérez Biscayart) hingegen sind
       die Folgen des Attentats nicht zu übersehen. Immer wieder wird er in
       Alltagssituationen von Panikattacken heimgesucht.
       
       ## Um Death Metal geht es nicht
       
       Im Pressematerial berichtet Produzent Ramón Campos, der selbst in Paris war
       in der Nacht der Anschläge, wie ihm die Buchvorlage, Ramón González’ „Paz,
       amor y death metal“, in die Hände fiel. Anders als der Originaltitel „Un
       año, una noche“ (Ein Jahr, eine Nacht), der den zeitlichen Rahmen der
       Erzählung betont, greift die deutsche Fassung den Titel der Vorlage auf.
       Das „Death Metal“ im Titel ist jedoch irreführend, weil es weder im Buch
       noch im Film um die Musikrichtung geht.
       
       Schon der Bandname der [3][Eagles of Death Metal beruht laut Frontmann
       Jesse Hughes] auf einem ironischen Ausspruch. Als er einmal gemeinsam mit
       Bandkollege Josh Homme in einer Bar sah, wie ein Mann zu „Wind of Change“
       der Scorpions tanzte, fragte er den Mann, was er da mache. Der Mann, so
       Hughes, sagte: „Das ist Death Metal“, worauf er antwortete „Nein. Das ist
       wie die Eagles des Death Metal.“
       
       Gut zwei Stunden lang folgt „Frieden, Liebe und Death Metal“ den Versuchen
       von Ramón und Céline, im Laufe des Jahres nach dem Attentat wieder Fuß zu
       fassen. Während Céline wenige Tage nach dem Attentat schon wieder wie zuvor
       in einer Zufluchtswohnung für Jugendliche arbeitet, kündigt Ramón seinen
       Job und beginnt eine Therapie, arbeitet zeitweise als Lehrer.
       
       Wie für Ramóns Freund Carlos stellt das Attentat auch für ihn alles in
       Frage. Zwischen Céline und ihm wird das zunehmend zum Problem. Der
       unterschiedliche Umgang der beiden mit den Ereignissen treibt zunehmend
       einen Keil zwischen das Paar.
       
       ## Zäher Beziehungskampf
       
       Das eine Jahr, dem man als Zuschauer_in der implodierenden Beziehung von
       Céline und Ramón beiwohnt, zieht sich in „Frieden, Liebe und Death Metal“
       wie Kaugummi. Nicht zuletzt, weil der Film aus den zähen Mühen des
       Beziehungskrampfs immer wieder zurückblendet in die Nacht im Bataclan.
       Erzählerisch haben die Flashbacks den Zweck, das allmähliche Bröseln von
       Célines Legende, sie habe eh wenig mitbekommen, zu zeigen.
       
       Doch in der Struktur des Films verhindert der Wechsel jede dramaturgische
       Konsistenz der Erzählstränge. Umgangsweisen mit Traumatisierung,
       Bedürfnisse nach Nähe und Distanz sind klassische Zutaten für ein
       psychologisch dichtes Beziehungsdrama. Stattdessen verkommen die
       Beziehungsprobleme von Céline und Ramón zur tragischen Nummernrevue.
       
       Zu Beginn von „Frieden, Liebe und Death Metal“ reklamiert eine
       Texteinblendung Authentizität für den Film, das Gezeigte beruhe auf den
       Erfahrungen von Überlebenden des Attentats im Bataclan.
       
       Nachdem Isaki Lacuesta und seine Drehbuchmitstreiter_innen Isa Campo und
       Fran Araújo systematisch jede Chance vertan haben, aus ihrem Film mehr zu
       machen, bleibt die Geste, dem Attentat und damit seinen Opfern und den
       Überleben nach diesem Attentat einen Film gewidmet zu haben und so die
       Erinnerung wachzuhalten. Ob man das als ehrenwert oder als
       Aufmerksamkeitsheischerei sehen will, bleibt jedem selbst überlassen.
       
       15 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Tietke
       
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