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       # taz.de -- Das Ende von Chinas „Null-Covid“-Politik: Schmerzhafter Exit-Plan für China
       
       > Die Volksrepublik probt schrittweise Lockerungen für ein „Leben mit
       > Covid“. Doch die Impfraten unter den Älteren sind zu niedrig.
       
   IMG Bild: Der Zugang zu einem Wohnblock in Peking wird am 04. Novermber 2022 noch überwacht
       
       Peking taz | In Peking sind die Zeichen des Wandels mit bloßem Auge
       sichtbar: Etliche PCR-Teststationen wurden am Wochenende abmontiert, Tore
       vor den Wohnsiedlungen wieder geöffnet und Geschäfte aufgeschlossen. In
       einigen Fällen wird den Corona-Infizierten in der Hauptstadt die
       Zwangsquarantäne im Krankenhaus erspart: Sie dürfen ihre Viruserkrankung
       nun in den eigenen vier Wänden auskurieren. Das tiefe Aufatmen vieler
       Hauptstädter ist deutlich zu spüren.
       
       Praktisch drei Jahre nachdem der erste Coronapatient in Wuhan identifiziert
       wurde, hat Chinas Staatsführung nun also zur pandemischen Kurskorrektur
       angesetzt. Ob die [1][„Null Covid“-Politik] nun vollkommen verabschiedet
       oder nur flexibler umgesetzt wird, wie es im offiziellen Narrativ heißt,
       wird sich wohl zeigen. Doch es scheint mehr als offensichtlich, dass die
       Volksrepublik ihre Bevölkerung mental auf das „Leben mit dem Virus“
       vorbereiten möchte.
       
       Der Propagandaapparat stellt dafür bereits die Weichen. „Chinesische
       Wissenschaftler haben bewiesen, dass die Pathogenität von Omikron im
       Vergleich zu früheren Varianten deutlich abgenommen hat!“, lautet etwa eine
       Schlagzeile der Parteizeitung Global Times. Was für den Rest der Welt keine
       Neuigkeit ist, muss in China als „Eilmeldung“ präsentiert werden, damit
       niemand der 1,4 Milliarden auf die Idee kommt, dass Xi Jinpings
       Prestigeprojekt „Null Covid“ möglicherweise gescheitert sei.
       
       Die nun eingeleitete Öffnung erfolgt dabei weniger aus innerer Überzeugung
       denn auf äußeren Druck: [2][Die Protestbewegung der letzten Wochen] hat
       Peking vor Augen geführt, dass die Geduld der Leute nach über zweieinhalb
       Jahren „Null Covid“ am Ende ist. In den nächsten Wochen steht die
       Bevölkerung vor großen Herausforderungen. Denn die Lokalregierungen haben
       seit zwei Jahren ihre Gelder vor allem für die täglichen Massentests oder
       den Bau von Quarantänezentren ausgegeben und dadurch wurden die
       Investitionen in Notfallbetten vernachlässigt.
       
       Der nur langsame Ausbau des Gesundheitssystems dürfte sich nun rächen: Es
       kursieren mehrere Prognosen, wie viele Menschenleben ein unkontrollierter
       Virusausbruch kosten könne. Allesamt sind sie ernüchternd: Das in London
       ansässige Unternehmen „Airfinity“ geht zwischen 1,3 und 2,1 Millionen Toten
       aus. In einer aktuellen Studie der Infektionsschutzbehörde im
       südostchinesischen Guangxi wird von mehr als zwei Millionen Toten und bis
       zu 233 Millionen Infizierten ausgegangen. Eine ähnliche Öffnung wurde
       bereits zuvor in Hongkong durchgeführt.
       
       ## Keine Zulassung für ausländische Vakzine
       
       Gemindert werden könnte der gesundheitspolitische Schaden nur durch eine
       höhere Impfrate. Doch diese ist ausgerechnet bei den älteren Generationen
       viel zu niedrig: Nach wie vor haben lediglich 40 Prozent der über
       80-Jährigen bislang eine Booster-Impfung erhalten. Das Ziel ist jetzt laut
       dem Magazin Caixin, in dieser Altersgruppe bis Ende Januar eine
       Booster-Rate von 90 Prozent zu erzielen. Wie dies erreicht werden soll, ist
       allerdings noch völlig offen.
       
       Die niedrige Impfrate hat vor allem mit der verbreiteten
       Wissenschaftsskepsis der Senioren zu tun, die lieber der traditionellen
       chinesischen Medizin vertrauen. Zudem hat der Staat im Vergleich zu anderen
       Generationen weniger Hebel, um sozialen Druck auszuüben. Die Impfkampagne
       lief schließlich vor allem über Parteiinstitutionen, Arbeitgeber und
       Schulen. Vor einem Impfzwang hat Peking bislang zumindest zurückgeschreckt.
       
       Ein wenig Abhilfe schaffen könnten zudem die Mrna-Impfstoffe von Biontech
       und Moderna, die in ihrer Wirksamkeit den chinesischen Totimpfstoffen
       überlegen sind. Aber der chinesische Staatspräsident Xi Jinping ist auf
       absehbare Zeit nicht bereit, westliche Impfstoffe zu akzeptierten.
       
       Keine ausländischen Vakzine wurde bis heute in China zugelassen. Erklärt
       wird dies gemeinhin mit nationalistischem Stolz. Doch „es ist auch der
       paranoide Glaube, dass es ein nationales Sicherheitsrisiko darstellt, sich
       auf westliche Impfstoffe zu verlassen“, kommentiert auf [3][Twitter] Tong
       Zhao, der derzeit an der US-Princeton-Universität recherchiert.
       
       Ein Erfolg bleibt den Chinesen unbenommen: Im Vergleich zu den meisten
       anderen Ländern hat man die tödliche Welle der Delta-Variante nahezu ohne
       Virustote überstanden.
       
       4 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Corona-Lockdown-in-Peking/!5896146
   DIR [2] /Neue-Protestbewegung-in-China/!5897233
   DIR [3] https://twitter.com/zhaot2005/status/1597730466035302401
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Kretschmer
       
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