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       # taz.de -- Korruptionsskandal in der EU: Europas fragwürdige Liebe zu Katar
       
       > Nicht nur Vizeparlamentsvorsitzende Kaili setzte sich für Katar ein.
       > Plötzlich gelten alle als verdächtig, die sich mit dem Emirat eingelassen
       > haben.
       
   IMG Bild: Verhaftet und abgesetzt: Die ehemalige EU-Vizeparlamentsvorsitzende Eva Kaili
       
       Brüssel taz | Als Erste erklärte Ursula von der Leyen ihre Liebe zu Katar.
       „Exzellentes Telefongespräch mit Emir Tamim bin Hamad Al Thani“, twitterte
       die Präsidentin der EU-Kommission am 27. Januar. „Wir werden nun unsere
       Zusammenarbeit aufwerten, einschließlich Energie.“ Das Land sei ein
       „vertrauenswürdiger Partner“.
       
       Damit bereitete die deutsche EU-Chefin den Weg für viele andere. Vergessen
       waren die Skandale beim [1][Bau der Stadien für die Fußball-WM], die vielen
       Toten. Vergeben war die Verfolgung von Regimegegnern, die Diskriminierung
       von Homosexuellen, überhaupt das ganze autoritäre und reaktionäre Gehabe in
       Doha.
       
       Ab sofort zählte nur noch eins: Gas. Die „geopolitische EU-Kommission“ und
       ihre umtriebige Chefin hatten ihre Leidenschaft für einen der größten
       Lieferanten von Flüssiggas entdeckt. Der russische Angriff auf die Ukraine
       ließ die letzten Zweifel schwinden – nicht nur in Brüssel, sondern auch in
       Berlin.
       
       Von der Leyens Stellvertreter, Margaritis Schinas, ein konservativer
       Grieche, sollte in den folgenden Wochen ebenso um Katar werben wie der
       grüne [2][deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck]. Während Habeck einen
       peinlichen Kniefall machte, fiel Schinas mit lobenden Worten für das Emirat
       und seine „Reformen“ auf.
       
       ## 1,5 Millionen Euro in großen Scheinen
       
       Lobende Worte fand auch Eva Kaili, die Vizepräsidentin des
       Europaparlaments. Die Katarer hätten sich der Welt geöffnet, erklärte sie
       nach einer Katarreise Ende November. „Dennoch rufen einige hier dazu auf,
       sie zu diskriminieren. Sie schikanieren sie und beschuldigen jeden, der mit
       ihnen spricht, der Korruption.“
       
       Drei Wochen später wurde [3][Kaili in Brüssel verhaftet] –
       Korruptionsverdacht. In ihrer Wohnung fanden belgische Ermittler 150.000
       Euro in bar. Weitere 750.000 Euro wurden bei Kailis Vater entdeckt. Die
       griechische Politikerin weist zwar jede Schuld von sich, mit dem Geld habe
       sie nichts zu tun. In Katar habe sie bloß die offizielle EU-Linie
       vertreten, deshalb habe man sie auch nicht kaufen können.
       
       Doch Kailis Lebensgefährte Francesco Giorgi hat gestanden, einer
       Organisation anzugehören, die von Katar und Marokko gemeinsam genutzt
       wurde. Ihr Ziel: Einfluss auf die Europapolitik zu nehmen. Insgesamt wurden
       1,5 Millionen Euro in großen Scheinen sichergestellt und neben Kaili und
       ihrem Lebensgefährten wurden noch zwei weitere Verdächtige in U-Haft
       genommen.
       
       Es ist einer der größten Skandale der EU-Geschichte, die belgische Justiz
       ermittelt wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung,
       Geldwäsche und Korruption“. Plötzlich steht Katar in einem ganz anderen
       Licht da: Nicht als begehrenswerter Retter aus der Gasnot, sondern als
       finstere Macht, die europäische Politiker kauft und mit Geldbündeln um sich
       wirft.
       
       ## Unter Generalverdacht
       
       Und alle, die sich mit Katar eingelassen haben, stehen nun unter
       Generalverdacht. Haben vielleicht auch sie gemauschelt? Hat sich nicht nur
       Kaili kaufen lassen, sondern vielleicht auch Schinas oder gar seine Chefin
       von der Leyen? Muss Habeck Abbitte leisten und die gerade erst – während
       der Fußball-WM in Doha – geschlossenen Gaslieferverträge annullieren?
       
       Was gestern noch wie eine ideale Geschäftsbeziehung zum beiderseitigen
       Vorteil erschien, sieht heute wie eine liaison dangereuse aus. Die [4][Gier
       nach Gas] hat den Europäern die Sinne vernebelt – sie haben sich ihren
       Partner schöngeredet.
       
       Im Europaparlament wird nun jeder Stein umgedreht. Alle, die auch nur im
       Entferntesten mit Katar zu tun hatten, gelten als verdächtig. Die
       Visa-Liberalisierung, die die EU-Kommission im Frühjahr vorgeschlagen
       hatte, wurde auf Eis gelegt. Der grüne Parlamentsberichterstatter Erik
       Marquardt zog seinen Entwurf zurück.
       
       Auch das 2021 beschlossene Luftverkehrsabkommen wird nun überprüft. „Wenn
       sich herausstellt, dass Katar hier Einfluss genommen hat, kann das Abkommen
       so nicht bestehen bleiben“, sagt der FDP-Abgeordnete Jan-Christoph Oetjen.
       Qatar Airways wollte groß in Deutschland einsteigen. Nun muss es um seine
       Privilegien bangen.
       
       Doch die Lieferverträge für Flüssiggas werden nicht infrage gestellt –
       ebenso wenig wie die Milliardengeschäfte, die Katar in Europa gemacht hat.
       Denn auch wenn die Leidenschaft erloschen ist – endgültig trennen will und
       kann man sich nicht.
       
       ## Katar investierte in ganz Europa
       
       Das Emirat hat sich in den letzten Jahren heimlich, still und leise zu
       einem einer der größten Investoren in Europa gemausert – auch in
       Deutschland. An VW hält das Emirat beispielsweise 17 Prozent, an der
       Deutschen Bank 6,1 und an Siemens 3,04 Prozent.
       
       Glänzende Geschäfte machen die Emirate auch in Frankreich: Katar besitzt
       nicht nur den Fußballclub PSG in Paris und seine sündhaft teuren
       Spielerstars. Die Kataris sind beziehungsweise waren auch am Luxuskonzern
       LVMH, dem Energieriesen Total, Suez Environnement, Veolia, Vinci und
       Lagardère beteiligt. Also an der Crème de la Crème der französischen
       Wirtschaft.
       
       Nicht nur das: Das Emirat soll auch mit Investitionen in Frankreich
       nachgeholfen haben, [5][um die WM ins Land zu holen]. Eine zentrale Rolle
       spielte dabei Ex-Präsident Nicolas Sarkozy. Heute warnt sein Amtsnachfolger
       Emmanuel Macron davor, die WM zu „politisieren“. Zum Halbfinale Frankreich
       gegen Marokko ließ er es sich nicht nehmen, persönlich nach Doha zu
       fliegen.
       
       Kritische Nachfragen wischte Frankreichs „Sonnenkönig“ beiseite. Er stehe
       „voll und ganz“ dazu, sagte Macron am Donnerstag am Rande des EU-Gipfels.
       „Ich habe vor vier Jahren die französische Mannschaft in Russland
       unterstützt, nun stand ich in Katar hinter ihnen.“ Und das habe ja auch
       „was gebracht, dass er nach Katar gefahren ist“, pflichtete Kanzler Olaf
       Scholz bei.
       
       Da war dann doch wieder Leidenschaft im Spiel – wenn auch nicht für Katar,
       sondern für den Fußball. Aber Katar und Fußball, das ist nach der WM wohl
       nicht mehr zu trennen. Genauso wenig wie Katar und Korruption. Auch wenn
       die Emire jeden Verdacht empört von sich weise – das „Katargate“ wird in
       die Geschichte eingehen.
       
       16 Dec 2022
       
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