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       # taz.de -- UN-Artenschutzkonferenz in Montreal: Vielfalt zum Überleben
       
       > Lebensräume und Arten retten – darum geht es bei der
       > UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal. Wie weitreichend wird das
       > Abkommen ausfallen?
       
   IMG Bild: Protest während der Eröffnungszeremonie der UN-Biodiversitätskonferenz in Kanada
       
       Berlin taz | Drinnen geht’s um die Natur, draußen nicht. Das ist das
       Problem von Naturschutzgebieten. Das ist aber auch das Problem der
       UN-Naturschutzkonferenz in Montreal und ihren über 10.000 Teilnehmer:innen.
       
       Was hat die Szene, die sich professionell mit der „Konvention über
       Biologische Vielfalt“ befasst, in den vergangenen Monaten nicht
       unternommen, um das Publikum für ihr Thema zu interessieren. Unzählige
       Pressebriefings, Diskussionsrunden und Blogs, mit nahbaren Koryphäen ihrer
       Zünfte, Expert:innen für Schmetterlinge und Vögel, für Amphibien und
       Pilze, für Bodenorganismen und Biotechnologie; Politolog:innen,
       Soziolog:innen, Jurist:innen, die sich mit der Frage befassen: [1][Wie
       können wir die Menschheit dabei stoppen, ihre eigenen Lebensräume zu
       vernichten?]
       
       Immer wieder haben all diese Expert:innen versucht, den großen Bogen zu
       spannen. Sie erzählten vom größten Artensterben seit rund zehn Millionen
       Jahren. Sie boten Studien auf, nach denen die Anzahl von Vogelarten, mit
       denen Menschen ihren Lebensraum teilen, auf ihr Wohlbefinden einen ebenso
       großen Einfluss hat wie materieller Wohlstand.
       
       Sie berichteten von Böden, die ihre Fruchtbarkeit einbüßten, von Wäldern,
       die ihre Funktion als Wasserspeicher und Senke für Treibhausgase nicht mehr
       wahrnehmen könnten, wenn sie ihre Vielfalt verlören.
       
       [2][Und sie gingen ins Detail:] Wie müssten die Rechte indigener Völker und
       lokaler Gemeinschaften in einem neuen Abkommen formuliert sein, damit sie
       auch juristisch durchsetzbar wären? Wie wäre ein internationaler Fonds fair
       zu stricken und auszustatten, der die Bevölkerungen des besonders
       artenreichen Globalen Südens dafür entschädigt, dass sie Öl im Boden und
       Holz im Wald lassen? In diese Aufzählung hätten noch „Fische im Meer“
       gepasst, aber die werden durch die großen Fischflotten Europas, Chinas und
       Russlands geplündert.
       
       ## Ist die Dramatik allen bewusst?
       
       Und jetzt, wo die Verhandlungen um ein neues Abkommen für die Konvention
       über die Biologische Vielfalt (CBD) in Montreal in die heiße Phase gehen;
       wo die Minister:innen der 196 Mitgliedstaaten noch bis zum 19. Dezember
       einen gemeinsamen Vertragstext zustande bekommen müssen – wo ist das Thema
       „Verlust der Biodiversität“ jetzt geblieben?
       
       Ist es in seiner Dramatik in unsere Gespräche eingezogen, so wie der
       Klimawandel? Nicht wirklich. Viele Radiosender und Zeitungen berichten mehr
       oder weniger über den Gipfel in Montreal. Sie berichten über Tiere und
       Pflanzen, die vom Aussterben bedroht sind.
       
       Das weckt Mitgefühl, aber keinen Zorn und keine Bereitschaft zum Wandel. Es
       weckt nicht den Willen des globalen Publikums, dass ihre Regierungen
       gefälligst etwas gegen diese schleichende Katastrophe unternehmen möchten.
       Doch Delegationen, denen aus der Heimat kein starker Rückenwind für den
       Schutz der Biodiversität um den Nacken weht – die verhandeln so, wie sie in
       Montreal bislang eben verhandelt haben.
       
       „Manchmal hab ich das Gefühl, B steht nicht für Biodiversity, sondern für
       Business“, sagt Julius Pahl, Biologiestudent aus Göttingen und als Teil der
       Jugenddelegation „Voice for Biodiv“ der Naturschutzjugend Beobachter in
       Montreal. [3][Es werde auch der Schutz der natürlichen Ressourcen hinter
       ökonomische Interessen gestellt.]
       
       ## Die Minister:innen verhandeln
       
       Er hofft auf die Ministerriege, die seit Freitag die Zügel von den
       Fachleuten übernommen hat. Es sei „wie vermutet schwierig“, berichtet Amber
       Scholz von der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in
       Braunschweig. Sie verfolgt die Verhandlungen über neue Regeln für die
       Nutzung digitaler genetischer Ressourcen – auf den Fluren. Aus den
       Verhandlungssälen wurden die Beobachter:innen ausgeschlossen.
       
       „Jetzt müssen wir darauf vertrauen, dass die Politiker:innen unseren
       wissenschaftlichen Input gehört haben und eine Entscheidung treffen, die
       den öffentlichen Zugang und die wissenschaftliche Nutzung der Daten auch
       weiter ermöglicht“, formuliert sie. Das klingt nach einem diplomatisch
       verpackten Stoßseufzer.
       
       Die Verhandlungen seien „ein langwieriger Prozess“, berichtet eine
       Studentin, die als Jugenddelegierte aus Österreich nach Montreal gereist
       ist. „Es wird über einzelne Worte sehr lange diskutiert.“ Das sei wichtig,
       denn „einzelne Worte können einen Unterschied machen“. Bei dem Gipfel in
       Montreal gebe es eine so große Jugenddelegation wie nie zuvor bei einer
       UN-Biodiversitätskonferenz. „Wir machen Vorschläge, netzwerken, nehmen
       Kontakt mit nationalen Delegationen auf.“
       
       Andere Beobachter vergleichen den Gipfel in Montreal mit vorangegangenen
       Klimaverhandlungen der UN – und zwar nicht mit der erfolgreichen Konferenz
       von Paris, sondern mit der im polnischen Katowice, die allgemein als
       gescheitert gilt. In der Folge sei Fridays for Future entstanden. Solch
       einen Moment erhoffen sie sich für den Erhalt der Biodiversität.
       
       ## Kritik am Globalen Norden
       
       Chifundo Dalireni von der Wildnis- und Umweltgesellschaft Malawi, Teil der
       Verhandlungsdelegation seines Landes, bemerkt, ein starkes Naturabkommen
       werde es eben nicht geben, solange der Zugang zu finanziellen Mitteln nicht
       vereinfacht werde. Und da hätten sich die Länder des Globalen Nordens
       bislang zu wenig bewegt. Darum hat er, zusammen mit allen anderen
       afrikanischen Delegationen und Brasilien, zwischendurch die Verhandlungen
       verlassen.
       
       Aber sie sind zurückgekehrt. Und so lautet es auch andererseits aus
       Verhandlungskreisen: Unter dem Radar der Öffentlichkeit sei man schon gut
       fortgeschritten. Ein starkes Abkommen sei noch möglich.
       
       Am Dienstag werden wir wissen, ob die Natur und der Verlust ihrer Vielfalt
       dringeblieben ist, in Hinterzimmerverhandlungen und Expertenrunden. Oder ob
       sie es rausgeschafft hat – in Form starker Verträge, die das Wirtschaften
       und Konsumieren in den Mitgliedsländern der CBD ändern würden.
       
       18 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gipfel-zur-Rettung-der-Biodiversitaet/!5896479
   DIR [2] /Internationaler-Gipfel-zu-Biodiversitaet/!5896546
   DIR [3] /UN-Konferenz-zur-Biodiversitaet/!5901984
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Holdinghausen
       
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