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       # taz.de -- Parlamentswahl in Tunesien: Schleichender Weg ins Autoritäre
       
       > Präsident Kais Saied wollte Tunesien aus der Krise führen. Die jüngste
       > Wahl zeigt: Sein Kurs ist gescheitert, das Vertrauen ist weg.
       
   IMG Bild: Tunis: Nur 9 Prozent steckten ihren Finger ins Tintenfass und wählten
       
       Was für ein Fiasko. [1][Tunesiens Parlamentswahl vom Wochenende] sollte der
       Höhepunkt der waghalsigen Roadmap sein, mit der Präsident Kais Saied
       angetreten ist, das Land aus der Krise zu führen. Einwände gegen seine
       autokratisch anmutenden Maßnahmen der vergangenen Jahre wischte er stets
       mit Verweis auf die Wahl weg. Nun hat sie stattgefunden – und die Bilanz
       erschreckt: Nicht einmal neun Prozent der Wahlberechtigten stimmten ab.
       
       Der Weg des Landes seit der Revolution 2011, als die Tunesier*innen
       Langzeitdiktator Ben Ali stürzten, raubt einem dem Atem: Sturz des Regimes,
       neue Verfassung, Demokratie, Wahlen, gleichzeitig aber Korruption, eine
       darbende Wirtschaft und ein von korrupten Parteien blockiertes Parlament.
       2019 dann präsentiert sich der populäre Juraprofessor [2][Saied als
       Retter], wird Präsident, löst das Parlament auf, setzt die Regierung ab. Er
       entwirft noch eine Verfassung und erlässt per Dekret ein [3][neues
       Wahlgesetz] – doch niemand wählt. Nun ist klar: Saieds Projekt ist
       gescheitert. Von Anfang an war es ein Risiko, auf die Person Saied zu
       setzen. Es mag sein, dass der 64-Jährige, der als integer gilt, gute
       Absichten hat und das Land wirklich aus den Fängen korrupter
       Parteifunktionäre befreien will.
       
       Doch ein funktionales politisches System entsteht nicht im Kopf eines
       gutmeinenden Juristen. Die Macht, die sich Saied verliehen hat, indem er
       das Parlament entmachtete, wird bleiben – auch in den Händen seiner
       Nachfolger. Die Wahl zeigt zudem, dass Saied nun auch bereits das große
       Vertrauen in seine Person verspielt hat. An einen Erfolg seiner Roadmap
       glauben offenbar nicht mehr viele.
       
       Ägypten beendete nach der Revolution 2011 mit einem großen Wumms das
       demokratische Intermezzo, als Abdel Fattah al-Sisi 2013 in einem
       klassischen Militärputsch die Macht im Land übernahm. In Tunesien kommt der
       Autoritarismus dagegen schleichend daher. Nun bleibt abzuwarten, was
       geschieht, wenn sich der Unmut über die Wirtschaftskrise nicht mehr auf
       korrupte Parteien schieben lässt, sondern sich gegen den neuen starken Mann
       im Land richtet.
       
       19 Dec 2022
       
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