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       # taz.de -- Am Horn von Afrika: Jahre der Dürre
       
       > Der Regen bleibt aus, Vegetation und Tiere sterben. Viele Familien in
       > Somaliland betreiben Viehweidewirtschaft. Sie hungern oder geben auf.
       
   IMG Bild: Abdirashid Yasin hat keine Kamele. Von einer großen Herde sind sind nur noch wenige Rinder am Leben
       
       Cambuul Osman ist ein hagerer, hochgewachsener Mann. Er trägt ein beige
       gemustertes Hemd, um die Beine hat er ein Tuch geschlungen. Er steht vor
       ihm einem aufgeschütteten Damm, der zu dem Ort Balisheikh gehört, knapp
       zwei Autostunden von der Stadt Burao in Somaliland am Horn von Afrika
       entfernt. Nur eine holperige Sandpiste, für die man einen Geländewagen oder
       ein Kamel braucht, führt dorthin. Strom gibt es nicht. Hier draußen weht
       der Wind.
       
       Der 38-Jährige kennt die Gegend rund um den Damm gut, welche Bäume, welche
       Sträucher hier wachsen. Er hat seine Kindheit im Dorf verbracht und noch
       heute die Warnung seiner Eltern im Ohr: „Geh bloß nicht in die Nähe des
       Wassers!“ Damals sei der Teich tief gewesen, die Kinder hätten ertrinken
       können. Trotzdem lockte das Wasser die Kinder immer wieder an, auch Osman
       kam heimlich hierher.
       
       Heute erinnert nur noch halb feuchte Erde daran, wie es früher hier aussah.
       Große Furchen durchziehen den Boden. Osman nimmt einen bräunlich-roten
       Erdklumpen in die Hand, bricht kleine Stücke ab und zerbröselt sie mit der
       Hand. „Der letzte Rest Wasser ist vergangene Woche versickert“, sagt er.
       „Das macht mich traurig und ärgerlich.“ Das ganze Dorf ist von dieser einen
       Wasserstelle abhängig.
       
       Es ist nicht so, dass es am Horn von Afrika gar nicht mehr regnet. Hier in
       Balisheikh hat es erst vor kurzer Zeit einen Schauer gegeben, woran einige
       feuchte Stellen erinnern. Das reicht aber nicht aus. Stattdessen wäre ein
       voller Regenmonat notwendig. Der Regen aber wird immer unzuverlässiger, was
       Menge, Ort und Zeit betrifft. „Wenn er zu stark ist, fließt fast alles ab.
       Wenn er zu schwach ist, dringt fast nichts in den Boden ein“, sagt Thomas
       Hörz, der für die Welthungerhilfe in Somaliland arbeitet.
       
       ## Vorsichtige Entwarnung
       
       In diesem Jahr ist das Gleichgewicht in besonderem Maße gestört. Schon seit
       Monaten betonen Hilfsorganisationen wie auch die Vereinten Nationen, dass
       das Horn von Afrika ein „klimatisches Ereignis erlebt, das seit mindestens
       40 Jahren nicht mehr aufgetreten ist“. In Teilen von Äthiopien, Kenia und
       Somalia sind vier aufeinander folgende Regenzeiten ausgeblieben, rund 36
       Millionen Menschen seien wegen der Dürre auf humanitäre Hilfe angewiesen.
       Vergangene Woche kam vonseiten des Welternährungsprogramms (WFP) eine
       vorsichtige Entwarnung. Zu Somalia twitterte Direktor David Beasley: „Neue
       Einschätzungen deuten darauf hin, dass die Hungersnot in Schach gehalten
       wurde – vorerst.“ Eine völlige Entwarnung sei dies aber nicht, es habe
       bereits Tote infolge der Dürre gegeben.
       
       Und wer lebt, verliert zunehmend die Perspektive. Somaliland hat sich 1991
       nach einem Bürgerkrieg von Somalia getrennt und ist bis heute, zahlreichen
       Bemühungen zum Trotz, international nicht anerkannt. Hilfsorganisationen
       haben Büros in der Hauptstadt Hargeisa, leisten humanitäre Hilfe, arbeiten
       mit lokalen Partnern zusammen und versorgen seit Jahren Opfer von Dürre
       mit dem Nötigsten. Geht es um Investitionen, dann ist das Land vor allem
       abhängig vom Geld der in der Diaspora lebenden Somaliländer.innen.
       
       Für die Stromversorgung in Städten rattern Generatoren, die mit
       importiertem Diesel betrieben werden, während die Dörfer im Dunkeln
       bleiben. Eine Industrie, die Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl schaffen
       könnte, gibt es nicht, dafür Millionen von Kamelen, Rindern, Schafen und
       Ziegen. Die Viehwirtschaft macht etwa 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
       aus, während in der Landwirtschaft nur zwischen 8 und 15 Prozent
       erwirtschaftet werden. Das macht das Land besonders anfällig für den Mangel
       in der Agrarproduktion, wenn der Regen ausbleibt.
       
       Schätzungsweise betreiben bis heute 55 Prozent der rund 3,5 Millionen
       Einwohner.innen Pastoralismus, das heißt Viehweidewirtschaft, sie
       ziehen mit ihren Tieren umher. Allerdings schlagen längst nicht mehr alle
       jeden Abend an einem neuen Ort ihr Zelt auf. Viele haben Häuser, zu denen
       sie abends zurückkehren, oder beauftragen ein Familienmitglied, längere
       Strecken mit den Tieren zurückzulegen. Es gibt Schätzungen, dass zudem etwa
       25 Prozent der Bevölkerung indirekt von der Viehwirtschaft abhängig sind,
       weil sie beispielsweise die Vierbeiner transportieren oder als
       Metzger.innen arbeiten.
       
       Typisch für Somaliland sind die großen Kamelherden. Überall tauchen
       unvermittelt die beigefarbenen Tiere mit den dunklen Augen auf, bleiben an
       Sträuchern und kleinen Bäumen stehen und knabbern an grünen Blättern. Ihre
       Milch war einst Tauschgut unter Familien und gilt bis heute als wichtige
       Protein- und Vitaminquelle der nomadischen Bevölkerung. Kamelmilch und
       Zucker ergeben als Tee eine Mahlzeit.
       
       ## Wertvolle Kamele
       
       Verkauft werden die Tiere, die je nach Größe und Zustand rund tausend
       US-Dollar kosten, vor allem nach Saudi-Arabien, bevor muslimische
       Pilger.innen zur Hadsch nach Mekka kommen und Kamelfleisch konsumieren.
       Den Absatz gestoppt hat in den vergangenen Jahren auch die Coronapandemie.
       Kamen 2019 noch knapp 2,5 Millionen Menschen in die heilige Stadt der
       Muslime, wurde die Zahl im Jahr darauf auf 10.000 begrenzt.
       
       Abdirashid Yasin hat keine Kamele. Der 25-Jährige ist zwischen Balisheikh
       und Burao unterwegs und treibt die kleine Rinderherde auf der Suche nach
       Futter voran. Das haben schon sein Vater und seine Großväter getan. Yasins
       hellgraue Tiere sind mager und manche so dünn, dass jede Rippe
       hervorsticht. Es ist Nachmittag, die Sonne steht tief. Doch die Euter der
       Kühe sind nicht prall gefüllt. Zehn Tiere besitzt Yasin gemeinsam mit
       seinem Vater und seinem Bruder. Gerade habe es etwas geregnet, erzählt er
       erleichtert und blinzelt gegen die Sonne. „Doch davor herrschte Dürre.“
       
       Auch wenn in den vergangenen Wochen und Monaten von der schlimmsten Dürre
       seit Jahrzehnten die Rede war, hat die Notlage für Yasin und seine Familie
       bereits vor sechs Jahren schon begonnen. Damals blieb der Regen aus, das
       Vieh fand nicht mehr ausreichend Wasser und Gras. Besonders dramatisch war
       es im Frühjahr 2017, als im Land mindestens jede zweite Ziege, jedes zweite
       Kamel, Schaf und Rind starben. Im Jahr darauf nahm der Niederschlag zwar
       zu, um dann ab 2019 immer weniger zu werden. Je länger die Dürre anhält,
       desto mehr Pflanzen gehen ein und desto weniger Nahrung steht den Tieren
       zur Verfügung.
       
       Seit 2017 hat Yasins Familie 500 Tiere verloren. Davon haben sie sich nicht
       erholt. Die humanitäre Hilfe reicht kaum für den Kauf von Nahrungsmitteln,
       geschweige denn für den Aufbau einer neuer Lebensgrundlage. Jene Tiere, die
       überleben, sind zu mager, um beim Verkauf einen akzeptablen Preis zu
       erzielen. Yasin schaut die wenigen Rinder an, die ihm geblieben sind. Mit
       jedem Tier, das stirbt, wird die Familie ärmer. „Von dieser Herde können
       wir nicht leben“, sagt er. Staatliche Hilfen erhält Yasin keine. Er ist auf
       sich alleine gestellt und muss zusehen, wie er seine drei Kinder versorgt.
       „Ich hoffe, dass Allah das tut. Daran glaube ich“, sagt er knapp.
       
       ## Arbeitssuche in den Städten
       
       Junge Männer zieht es deshalb zunehmend in die Städte Hargeisa, Burao oder
       Berbera. Vor allem in Berbera hoffen sie, rund um den Hafen Arbeit zu
       finden. Mit seinem Ausbau soll er zum neuen Drehkreuz am Horn von Afrika
       werden. Häufig kommen die Arbeitsmigrant.innen bei Angehörigen unter.
       Familien und Clans – in Somaliland gehören etwa 80 Prozent dem Issaq-Clan
       an, der sich wiederum in Untergruppen verzweigt – helfen einander. Klar
       ist: Sie müssen ihr altes Leben und vor allem die Tiere zurücklassen.
       
       Egal, wie viele Dürren und wie wenig Regen die Zukunft bringen wird,
       Abdirashid Yasin will seine Rinder nicht alleine lassen, obwohl schon
       einige Verwandte in die Stadt gezogen sind. „Ich bleibe bei meinen Tieren“,
       sagt er. Wenn es sein muss, bleibt er bis zur letzten Minute. „Wenn sich
       nichts ändert, dann sterbe ich hier mit ihnen.“ Er zeichnet ein düsteres
       Szenario für die Zukunft. Fällt kein Regen mehr und die Dürre hält an, dann
       wird es zwischen Balisheikh und Burao weder Menschen noch Tiere mehr geben.
       
       Der Klimawandel wirkt sich am Horn von Afrika besonders stark aus.
       Forscher.innen der Universität Arizona in Texas veröffentlichten 2015
       eine Studie, in der es heißt: „Das Horn von Afrika ist durch globale und
       regionale Erwärmung des vergangenen Jahrhunderts und mit einer in den
       vergangenen 2.000 Jahren beispiellosen Geschwindigkeit zunehmend trockener
       geworden.“ Die sonst „lange Regenzeit im März, April und Mai“ hätte
       zunehmend geringere Niederschlagsmengen.
       
       Dagegen brachte der Tropensturm Sagar im Mai 2018 schwere Überschwemmungen,
       bei denen mehr als 1.700 Familien ihre Häuser verloren. Von Klimawandel
       spricht Abdirashid Yasin allerdings nicht. „Ich gehe davon aus, dass es
       Gott ist, weil er doch für alles verantwortlich ist“, sagt er
       schicksalsergeben.
       
       ## Zerstörerische Holzkohleproduktion
       
       Die Futterknappheit sei nicht nur dem Klimawandel geschuldet, erklärt
       Thomas Hörz von der [1][Welthungerhilfe]. Der Agrarexperte vermutet: „Die
       Holzkohlegewinnung ist der destruktive Faktor für die Naturweiden.“ Die
       Holzkohle wird überall an den Straßenrändern in großen Bündeln verkauft und
       ist, weil es an Strom und Geld für Gas fehlt, zum Kochen nötig. Damit die
       Menschen keine weiten Wege zurücklegen müssen, werden ganze Bäume gefällt
       und zerkleinert. Das Endprodukt habe einen geringen Brennwert, sagt Hörz.
       Es wäre umweltschonender, nur ein Viertel oder Drittel des Astwerks zu
       verarbeiten. Bäume könnten weiter wachsen und ihre Wurzeln versorgen.
       
       Mit dem Verkauf der Kohle lässt sich jedoch schnelles Geld verdienen. Das
       werde, sagt Hörz, oftmals verwendet, um die Sucht nach Khat zu befriedigen.
       Die Kau-Droge kommt aus Äthiopien und hat eine stimulierende Wirkung.
       Konservativen Schätzungen zufolge konsumiert jeder zweite Somaliländer sie
       regelmäßig. Noch sind es fast ausschließlich Männer. In anderen Analysen
       wird von bis zu 80 Prozent Konsument.innen ausgegangen.
       
       ## „Wir hängen von Allah ab“
       
       „Die Dürre hat uns alles genommen“, sagt Mustafa Xayd Nur, dem das Camp
       Guryo-Samo am Rande der Stadt Burao 2015 unfreiwillig zur neuen Heimat
       geworden ist. Auch seine Tiere verendeten, der 55-Jährige fand sich in dem
       Camp für Binnenflüchtlinge wieder. „Die Tiere sind gestorben, weil es kein
       Wasser mehr gab.“
       
       Aus der temporären Unterkunft hat sich eine kleine Stadt entwickelt. Es
       gibt eine Moschee, eine schlecht ausgestattete und überbelegte Schule, wie
       Lehrer Cabdiraxman Abshir Falul beklagt. Die einstigen Viehthüter.innen
       wohnen dicht gedrängt nebeneinander und haben aus festen Plastikplanen
       kleine Zelte gebaut. Rechts und links der Straße, die das Camp in zwei
       Viertel teilt, sind Wellblechhütten entstanden. In der Abendsonne laufen
       ein paar Ziegen umher, bevor sie für die Nacht in ihren Pferch gebracht
       werden. Von Herden kann nicht mehr die Rede sein. Frauen, denen
       traditionell die Ziegen gehören, besitzen heute noch zwei, drei oder
       vielleicht vier Tiere. Manche hatten vor der Dürre von 2017 hundert Mal so
       viele Tiere.
       
       Es gibt Befürchtungen, dass die Camps zu den neuen Elendsvierteln des
       Landes werden könnten. Dort gibt es zwar eine Grundversorgung, rationierte
       Nahrungsmittel und teilweise Geld, aber keine Zukunft und vor allem keine
       beruflichen Perspektiven.
       
       Mustafa Xayd Nur wollte das nicht hinnehmen. Als er hier ankam, erinnerte
       er sich daran, dass sein Großvater einst auch Landwirtschaft betrieben hat.
       In Somaliland ist das eine seltene Kombination gewesen, die Nur jetzt die
       Zukunft sichert. Abseits der Straße hat er mit Ästen einen kleinen
       Schutzwall gegen die freilaufenden Ziegen errichtet. Hier baut er Tomaten,
       Zwiebeln und Wassermelonen an. Der Gemüseanbau benötigt allerdings ein
       gutes Bewässerungssystem.
       
       Auch Mustafa Xayd Nur sagt: „Wir hängen von Allah ab.“ Gleichzeitig will er
       seine Zukunft nicht dem Schicksal überlassen. Nach seiner Ankunft entdeckte
       er in der Nähe des Camps ein Wasserloch. Wenn es gelingt, Dämme zu
       errichten und Systeme zu installieren, die auch schlechten Niederschlag gut
       speichern, gibt es noch Hoffnung. Aus den Viehwirtschafter.innen
       könnten Farmer werden, hofft er. „Wir müssen neue Wege für unsere Zukunft
       suchen“, sagt der 55-Jährige. Zur Bestätigung greift er zwei große,
       grün-gestreifte Wassermelonen.
       
       21 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.welthungerhilfe.de/spenden-somaliland/duerre-somalia
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gänsler
       
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