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       # taz.de -- Goslar streicht Tunnel-Planung: „Hochwasserschutz aufgegeben“
       
       > Goslars Finanzausschuss streicht Planungsmittel für einen Tunnel, der bei
       > Unwetter Wasser ableiten könnte. Initiativen und Verbände sind empört.
       
   IMG Bild: Unter Wasser: der Goslarer Marktplatz im Sommer 2017
       
       Göttingen taz | Welterbe- und Naturschützer sind entsetzt: Weil der
       Finanzausschuss des Goslarer Stadtrates 40.000 Euro Planungskosten für
       einen Hochwassertunnel aus dem Haushalt 2023 gestrichen hat, befürchten
       mehrere Initiativen für den Fall neuerlichen Starkregens irreparable
       Schäden für die zum Weltkulturerbe zählende Goslarer Altstadt.
       
       Nach einem viel zu warmen Winter und einem verregneten Frühsommer tobten
       Ende Juli 2017 schwere Unwetter im Nordharz. Teile von Goslar, Bad Harzburg
       und Ilsenburg [1][versanken buchstäblich im Wasser]. Innerhalb von drei
       Tagen fielen über 250 Millimeter Niederschlag, kleine Gebirgsbäche
       verwandelten sich in reißende Ströme, traten über die Ufer, überschwemmten
       Straßen und Plätze.
       
       Als eine Konsequenz aus der Katastrophe wird in Goslar seit Jahren über den
       Bau eines Tunnels diskutiert. 30 Meter unter der Erde und zwei Kilometer
       lang, soll er den Bach Abzucht entlasten, der durch den Ort fließt. Bei
       Hochwasser würde der Tunnel bis zu 20.000 Liter Wasser pro Sekunde
       aufnehmen und an der Altstadt vorbeileiten. Beim Hochwasser 2017 hatte etwa
       doppelt so viel Wasser die Innenstadt überspült.
       
       Der Tunnel soll nach bisherigen Schätzungen zwischen 20 und 30 Millionen
       Euro kosten. Rund 80 Prozent der Baukosten könnten nach Angaben der
       Stadtverwaltung durch Fördermittel abgedeckt werden. Für die – im Grundsatz
       bereits beschlossene – Planung des Tunnels hat das niedersächsische
       Umweltministerium demnach bereits einen Zuschuss von 750.000 Euro zugesagt,
       40.000 Euro sollte die Stadt beisteuern.Diese Ausgabe will der
       Finanzausschuss nun nicht mehr bewilligen. „Wir haben den Antrag gestellt,
       weil wir nicht glauben, dass dieses 30-Millionen-Projekt für die Stadt zu
       schaffen ist“, begründete Linken-Ratsherr Michael Ohse laut der Goslarschen
       Zeitung den Vorstoß. Der Antrag sei einstimmig angenommen worden.
       
       Die Initiativgruppe Altstadt Goslar und die Organisation World Heritage
       Watch interpretieren das Votum als „Absicht des Stadtrates, den
       Hochwasserschutz für die Altstadt von Goslar aufzugeben“. Mit Blick auf die
       Hochwasserkatastrophe von 2017 und den sich rasant verschärfenden
       Klimawandel sei das Welterbe Altstadt Goslar in absehbarer Zukunft einer
       realen und schweren Gefahr ausgesetzt.
       
       Leben und Besitz von Hunderten Bewohnern seien bedroht. Das historische
       Goslarer Zentrum mit seinen mehr als 1.500 Fachwerkhäusern zählt – ebenso
       wie das nahe Bergwerk Rammelsberg – seit 1992 zum [2][Weltkulturerbe der
       Unesco.]
       
       Würden die Tunnelplanungen im Jahr 2023 nicht wie vorgesehen fortgesetzt,
       müssten die Anwohner im möglichen Überschwemmungsgebiet nach Ansicht der
       Initiativgruppe und von World Heritage Watch zudem mit einem Wertverlust
       ihrer Grundstücke rechnen: „Dies könnte im Schadensfall Regressansprüche an
       die Verantwortlichen zur Folge haben.“ Die beiden Organisationen forderten
       den Rat dringend auf, die für die Tunnelplanung eingestellten 40.000 Euro
       doch freizugeben.
       
       Friedhart Knolle vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
       attestiert den meisten Goslarer Kommunalpolitiker:innen eine
       „Hochwasseramnesie“. Sie hielten andere Projekte als den Tunnel für
       wichtiger und drängender, und dächten, es werde schon nicht so schlimm
       kommen. Das aber, meint Knolle, sei ein „großer Denkfehler“. Alle 2017
       betroffenen Grundstücke und Bewohner:innen würden [3][auch von
       künftigen Hochwassern betroffen sein], „möglicherweise schlimmer“.
       
       Goslar brauche eine Sonderlösung, „damit die Altstadt nicht wieder
       absäuft“, sagt Knolle. Das Bett der Abzucht könne wegen der engen Bebauung
       in der Altstadt nicht einfach erweitert werden. Das aus dem Harz kommende
       Flüsschen durchquert die gesamte Altstadt. Der Niedersächsische
       Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) stufte
       die Abzucht zuletzt 2020 als „Risikogewässer“ ein.
       
       ## Hochwasserschäden in Höhe von 31 Millionen Euro
       
       Dass die Goslarer Parteien jetzt aus dieser Planung aussteigen wollten, sei
       unverantwortlich und werfe „ein ganz schlechtes Licht auf den Willen der
       Stadt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen“, sagt Knolle.
       Stadtverwaltung und Politik hätten „die Pflicht und Schuldigkeit“, die
       Altstadt vor weiteren Fluten zu bewahren und sie nicht im Stich zu lassen.
       
       Knolle weist auch darauf hin, dass die Hochwasserschäden von 2017 im
       Goslarer Stadtgebiet Kosten in Höhe von mehr als 31 Millionen Euro
       verursacht hätten. Es sei also leicht auszurechnen, wie schnell sich der
       Stollen rentieren werde.
       
       Die Stadtverwaltung sieht das Tunnelprojekt indes nicht als gescheitert an.
       „Das Projekt Hochwasserentlastungsstollen ist eine der Säulen des
       Hochwasserschutzkonzeptes Goslar, und nur die Summe der Umsetzung
       verschiedener Maßnahmen wird diesen Schutz erreichen können“, sagte eine
       Sprecherin auf Anfrage der taz.
       
       Die für die Planung eingestellten Mittel in Höhe von 40.000 Euro seien
       gestrichen worden, da noch Haushaltsausgabereste von 2022 zur Verfügung
       stünden. Die Herausnahme des Betrages hindere die Stadt nicht an der
       Umsetzung des Vorhabens. Die Umsetzung des Hochwasserschutzkonzepts Goslar
       sei keineswegs ins Stocken geraten.
       
       23 Dec 2022
       
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