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       # taz.de -- Europas Grenzschutz: Der Neue bei Frontex
       
       > Der Niederländer Generalleutnant Leijtens soll die Grenzschutzbehörde
       > leiten. Sein Vorgänger trat wegen eines Pushback-Skandals zurück.
       
   IMG Bild: Führt nun die Grenzschutztruppe EU: Hans Leijtens, noch in alter Uniform
       
       Berlin taz | Die EU-Grenzschutzagentur wird nun von einem Soldaten geführt:
       Am Dienstag ernannte der Frontex-Verwaltungsrat den niederländischen
       Generalleutnant Hans Leijtens zum neuen Exekutivdirektor. Er folgt damit
       auf den Franzosen Fabrice Leggeri, der im April zurücktreten musste –
       unter anderem wegen Frontex’ Verstrickung in [1][illegale Pushbacks in der
       Ägäis].
       
       Leijtens war zuvor Kommandant der Marechaussee in den Niederlanden, einer
       7.000-köpfigen Gendarmerietruppe. Sie ist unter anderem für den Grenzschutz
       zuständig und gehört sowohl zur Polizei als auch zum Militärs. Leijtens war
       neben anderen Posten Befehlshaber des niederländischen Kontingents in
       Afghanistan und ab 2011 mit einer Unterbrechung sechs Jahre Mitglied des
       Verwaltungsrats von Frontex.
       
       Dieser Rat setzt sich aus Vertretern der Mitgliedsländer und der
       EU-Kommission zusammen. Leiter ist der deutsche Bundespolizist Alexander
       Fritsch. Leijtens werde seine fünfjährige Amtszeit „so bald wie möglich“
       beginnen, hieß es vom Verwaltungsrat.
       
       Damit gehen sowohl die kroatische Kandidatin Terezija Gras – derzeit
       Staatssekretärin im Innenministerium in Zagreb – als auch die
       Interimsdirektorin Aija Kalnaja leer aus. Die Lettin Kalnaja war für das
       Amt hoch gehandelt worden. Sie hatte unter anderem im EU-Parlament für sich
       als Motor eines sauberen Neuanfangs geworben.
       
       ## Die Zeiten haben sich geändert
       
       Kalnaja leitet seit 2021 das sogenannte Standing Corps von Frontex, eine im
       Aufbau befindlichen neuen Einheit, die 2027 insgesamt 10.000
       Grenzschützer:innen, davon 3.000 als EU-eigene Polizisten umfassen soll –
       ein Novum. Diese zentrale Aufgabe hätte Kalnaja eigentlich für den
       Spitzenposten prädestiniert.
       
       Doch kurz vor der Verwaltungsratssitzung am vergangenen Freitag wurde
       bekannt, dass auch Kalnaja im Visier der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf
       steht. Diese hatte seit Langem auch gegen [2][ihren Vorgänger Leggeri
       ermittelt].
       
       Eine Folge war, dass das EU-Parlament seit 2021 dem Frontex-Haushalt seine
       Zustimmung verweigert. Sowohl Olaf als auch Kalnaja machten keine Angaben
       zu den konkreten Vorwürfen. Der Spiegel berichtete indes, dass ihr
       Managementfehler beim Aufbau des Standing Corps zur Last gelegt werden –
       beispielsweise unbezahlte Hotelrechnungen für entsandte Beamte.
       
       Der politische [3][Druck auf die Agentur dürfte wachsen] – allerdings nicht
       nur wegen ihrer Verfehlungen. In den ersten elf Monaten dieses Jahres
       registrierte Frontex rund 308.000 irreguläre Grenzübertritte in die EU –
       gut zwei Drittel mehr als im Vorjahreszeitraum.
       
       Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred
       Weber (CSU), hatte deshalb Anfang der Woche gesagt, es müssten „wenn nötig
       auch Zäune gebaut werden“. Dabei hatte der damalige CSU-Innenminister Horst
       Seehofer 2018 eine Aufnahme von rund 200.000 Menschen pro Jahr allein in
       Deutschland für „verkraftbar“ erklärt.
       
       Doch die Zeiten haben sich geändert. Frontex ist zunehmend auch für die
       Abschiebung abgelehnter Asylbewerber zuständig – und dafür schuf die EU nun
       ein neues Instrument. Am Dienstag, in seiner letzten Sitzung vor
       Weihnachten, verabschiedete der EU-Rat eine Verordnung, die zukünftig
       ermöglicht, Handelspräferenzen für Entwicklungsländer auszusetzen, wenn
       diese bei Abschiebungen nicht kooperieren.
       
       Wenn Mängel „im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Rückübernahme
       eigener Staatsangehöriger“ festgestellt werden, können künftig Zollvorteile
       für den Export in die EU gestrichen werden.
       
       Die Folge: Importe aus dem jeweiligen Land werden innerhalb der EU teurer
       und sind nicht mehr konkurrenzfähig. So hat die EU einen Hebel, um die
       ärmsten Länder zu Kooperation bei der Migrationsabwehr zu zwingen.
       
       21 Dec 2022
       
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       ## AUTOREN
       
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