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       # taz.de -- Deutsche IS-Anhänger in Syrien und Irak: Die heikle Frage der Rückkehrer
       
       > Die Regierung fliegt einen deutschen IS-Kämpfer aus dem Irak aus. Bisher
       > tat sie das nur für Frauen und Kinder. Politiker fordern weitere
       > Rückholungen.
       
   IMG Bild: Ein Kämpfer des IS nach der Eroberung von Mosul 2014
       
       Berlin taz | Deniz B. wurde noch am Flughafen Frankfurt/Main verhaftet, als
       er dort am Dienstag eintraf. Vor sechs Jahren war er mit seiner Frau aus
       Offenbach nach Syrien zur Terrorgruppe „Islamischer Staat“ ausgewandert,
       dann in den Irak weitergezogen. Seit August 2017 saß er in Erbil in
       kurdischer Gefangenschaft – bis er nun in Begleitung des BKA ausgeflogen
       wurde. Es ist eine Seltenheit: Denn bisher holte Deutschland nur deutsche
       IS-Frauen [1][samt ihrer Kinder] zurück.
       
       Deniz B. wirft die Bundesanwaltschaft nun Mitgliedschaft in einer
       ausländischen terroristischen Vereinigung und Kriegsverbrechen vor. In
       Mossul soll er nach einer militärischen Ausbildung als Mitglied einer
       IS-Einheit Kampfeinsätze und Wachdienste absolviert haben. Im logistischen
       Bereich habe er eine „verantwortliche Position“ innegehabt und monatliche
       Gehälter erhalten, so die Ermittler. Dabei lebte er in Häusern von
       Menschen, die vor dem IS geflohen waren – was die Bundesanwaltschaft
       ebenfalls als Kriegsverbrechen wertet.
       
       Laut seines Anwalts Ali Aydin ist Deniz B. heute geläutert. „Er sieht seine
       Ausreise schon lange als Fehler und hat sich von der Ideologie
       distanziert“, sagte Aydin der taz. Im Irak hatte ihn ein Gericht zu einer
       mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Schon 2019 hatte B. auf eine Rückholung
       nach Deutschland geklagt – zunächst erfolglos. Laut Aydin stand der Hesse
       nun vor seiner Haftentlassung aus Erbil, für den Irak hatte er kein
       Aufenthaltsrecht. Das Bundesinnenministerium bestätigt, dass die Ausreise
       „aus der ausländischen Abschiebehaft heraus“ erfolgte.
       
       ## Anwalt kündigt Haftbeschwerde an
       
       Dass Deniz B. in Deutschland festgenommen wurde, hält Aydin für nicht
       rechtmäßig. „Er hat seine Strafe im Irak abgesessen und das teils unter
       Folter. Das muss in Deutschland angerechnet werden.“ Aydin kündigte eine
       Haftbeschwerde an, um B.s Freilassung zu erreichen. „Es gibt für ihn keine
       Haft mehr zu verbüßen.“ B.s Frau Sibel H. war [2][bereits 2018 nach
       Deutschland überstellt] und zu drei Jahren Haft verurteilt worden.
       
       Mit der Rückholaktion werden nun Stimmen laut, auch weitere deutsche
       IS-Männer zurückzuholen, die seit der Niederschlagung der Terrorgruppe im
       Jahr 2019 in Syrien und dem Irak weiter in Haft sitzen. Laut
       Bundesinnenministerium reisten seit 2011 rund 1.150 deutsche
       Islamist:innen in das Gebiet aus. Ein Drittel soll derzeit noch vor Ort
       sein und wiederum ein Fünftel davon in Haft.
       
       Bisher organisierte die Bundesregierung nur für deutsche IS-Anhängerinnen
       [3][mehrere Rückholaktionen], für insgesamt 27 Frauen und ihre 81 Kinder –
       laut Auswärtigem Amt sind damit alle Rückkehrwilligen wieder in
       Deutschland. Die Frauen wurden dann zu [4][Haftstrafen von bis zu 10
       Jahren] verurteilt.
       
       Für die Männer gab es solche Aktionen bisher nicht und sind laut
       Innenministerium auch weiter nicht geplant. Eine Sprecherin verweist etwa
       auf Strafverfolgungsansprüche, die vor Ort gegen die IS-Anhänger bestehen
       könnten. Sicherheitsbehörden halten die meisten deutschen IS-Männer zudem
       weiter für gefährlich. Das Innenministerium spricht von einer
       „individuellen Betrachtung der Erkenntnislage im Einzelfall“. Die
       Betroffenen stünden aber im „besonderen Fokus“ der Sicherheitsbehörden.
       
       ## Grüne und SPD fordern weitere Rückholungen
       
       Der Grünen-Innenexperte Marcel Emmerich fordert aber auch hier
       Rückholungen. „Deutsche Staatsbürger haben im Namen der Terrormiliz IS
       brutalste Verbrechen begangen, und dieser Verantwortung muss sich unser
       Staat stellen.“ Auch wenn das Sicherheitsbehörden und Justiz vor große
       Herausforderungen stelle, dürfe man nichts unversucht lassen und müsse die
       Männer zur Rechenschaft ziehen, so Emmerich zur taz. Da IS-Rückkehrer ein
       Sicherheitsrisiko seien, bedürfe es weiter „wachsamer Sicherheitsbehörden
       und einer fundierten Deradikalisierungsstrategie“.
       
       Auch der SPD-Innenexperte Sebastian Fiedler sieht Handlungsbedarf.
       „[5][Lager wie Al-Hol in Syrien], in denen tausende Gefangene sich selbst
       überlassen werden, sind ein riesengroßes Sicherheitsproblem.“ Dies betreffe
       die vielen Frauen und Kinder dort, aber auch IS-Kämpfer. „Eine
       kontrollierte Rückholung ist dann sinnvoller, als dass Personen vor Ort
       außer Kontrolle geraten“, so Fiedler zur taz. Er fordert dafür aber eine
       abgestimmte EU-Strategie. „Das Problem teilen ja viele EU-Länder, und wir
       sollten voneinander lernen, wie am besten mit diesen Terroristen umgegangen
       werden kann.“ Denn klar sei, dass sich mit den IS-Kämpfern „heikelste
       Fragen der Gefährlichkeit, Überwachung und Deradikalisierung stellen“.
       
       Auch Thomas Mücke, Geschäftsführer des Deradikalisierungsprogramms Violence
       Prevention Network, sieht Deutschland in der Pflicht. „Auch die betroffenen
       IS-Männer sind deutsche Staatsbürger und haben sich hierzulande
       radikalisiert. Deutschland muss sich hier seiner Verantwortung stellen und
       Rückholungen organisieren, wo dies möglich ist.“ Mücke räumt aber auch die
       Herausforderungen ein. „Diese vierte Rückkehrerwelle ist die gefährlichste.
       Die Männer, die jetzt noch in Syrien und dem Irak sind, haben keine
       Selbstzweifel, sondern eine geschlossene Ideologie, Kampferfahrung und
       teils schwerste Verbrechen begangen. Das birgt beträchtliches
       Gefahrenpotential.“
       
       Dennoch müssten auch diesen Männern im Falle einer Rückkehr
       Ausstiegsangebote gemacht werden, so Mücke. „Während wir bei den frühen
       Rückkehrern und Frauen gute Chancen hatten, werden das aber besondere
       Herausforderungen. Dennoch müssen wir auf allen Wegen probieren, diese
       Menschen zu erreichen und die Gefahren zu minimieren.“
       
       23 Dec 2022
       
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   DIR Konrad Litschko
       
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