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       # taz.de -- Reichsbürger und andere Enttäuschungen: Spinnert werden im Alter
       
       > Bildung und solide Karrieren schützen nicht vor Dummheit im Alter.
       > Besonders betroffen sind Männer, die alles auf eine Karte gesetzt haben.
       
   IMG Bild: Alte Herren mit wirren Ideen: Festnahme von Heinrich XIII Prinz Reuß bei der Reichsbürger-Razzia
       
       Rund um die Weihnachtsfeiertage treffe ich meist meine gute, alte Freundin
       H., die – eines erwachsenen Kindes wegen – in der Stadt weilt. H. ist 86
       und das, was man „lebensklug“ nennt.
       
       Formale Bildung hat man ihr zu ihrem ewigen Leidwesen in der Jugend
       verweigert. „Das brauchste als Mädchen nicht“, Sie wissen schon. H. hat
       drei Kinder großgezogen, die alle furchtbar gebildet und klug sind und
       deshalb zu ihrem Bedauern nicht so viele Enkelkinder produzieren, aber das
       ist ein anderes Thema.
       
       In diesen Tagen beschäftigen H. [1][diese Reichsbürger,
       Verschwörungstheoretiker und Coronaleugner], weil – wie sie selbst sagt –
       das an so eine Urangst von ihr rührt. Der Angst, irgendwann im Alter
       „spinnert“ zu werden und es selbst nicht zu merken.
       
       Wie kann denn das sein, hebt sie an, dass da Leute bei sind, die gebildet
       sind und ordentliche Karrieren hingelegt haben. [2][Dieser Polizist zum
       Beispiel, den sie suspendiert haben] – nach fast 40 Jahren mit makelloser
       Dienstakte! [3][Oder dieser Professor von der Uni], der war doch mal wer!
       Der saß sogar [4][in irgendwelchen Regierungsberatungskommissionen].
       
       ## Die Pensionierung als Sollbruchstelle
       
       Na ja, sage ich, weil ich weiß, dass H. solche Küchenpsychologie sehr
       liebt, ist nicht genau das das Problem? Irgendwann im Leben kommt der
       Punkt, an dem du einsehen musst, dass es jetzt nicht mehr aufwärts geht.
       
       Dass dies die höchste Stufe auf der Karriereleiter ist, die du erklimmen
       konntest, dass der ganz große Durchbruch ausgeblieben ist, nicht alles, was
       einmal vielversprechend begonnen hat, zur vollen Blüte kommen kann.
       Irgendwie bleiben wir am Ende doch alle unter unseren Möglichkeiten.
       
       Und bei manchen ist dieser Punkt eben die bevorstehende Pensionierung,
       nicht? Vor allem bei Männern, die alles auf diese eine Karte gesetzt haben.
       Wir können ja immer noch den Kindern ein bisschen was davon in die Schuhe
       schieben.
       
       H. guckt, als sei ihr ein Kronleuchter aufgegangen. Du hast recht, sagt sie
       begeistert, denk’ mal an I.! Der I. war einmal ein wirklich guter Freund
       von ihr. Ein freundlicher Mann, der sich zu ihrer großen Enttäuschung eines
       Tages der AfD zugewandt hat.
       
       Den haben sie doch auch ausgesteuert, sagt sie. Aus gesundheitlichen
       Gründen früh pensioniert, zum sozialverträglichen Arbeitsplatzabbau. Oder
       der F.! Der die Brocken selber hingeworfen hat, nachdem er mit der x-ten
       neuen Software nicht mehr klar kam und man ihm so einen Jungspund vor die
       Nase gesetzt hatte.
       
       ## Vielleicht altern manche Männer schlechter?
       
       Vielleicht, überlegt sie, altern Männer auch einfach schlechter? Können
       sich nicht eingestehen, dass die Kräfte nachlassen, sie nicht mehr
       mitkommen, nun mal andere dran sind?
       
       Na, das stimmt ja nun so auch nicht, protestiere ich, weil ich das Gefühl
       habe, sie ist jetzt kurz davor, im Mitgefühl zu zerfließen und jedem
       Reichsbürger einzeln tröstend über den Kopf streicheln zu wollen. Erstens
       sind da ja auch viele Frauen dabei. Und zweitens gibt es auch Männer, die
       hinreißend altern. Denk mal an L.!
       
       H. zieht missmutig die Stirn kraus. Na gut, sagt sie bockig, aber irgendwas
       ist da schon dran. Jetzt werd’ mal nicht wunderlich, sage ich.
       
       29 Dec 2022
       
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