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       # taz.de -- Nach der Pandemie: Endlich wieder krank zur Arbeit
       
       > Die Pandemie wird zur Endemie, sagt Christian Drosten. Längst schleicht
       > sich das alte „Normal“ in den Alltag ein. Nur: Wollen wir das überhaupt?
       
   IMG Bild: Gesundheit!
       
       Diese eine zaghafte Hoffnung hatte es von Anfang an gegeben, in der
       Pandemie, neben all der Angst und Ungewissheit. Diese Hoffnung, dass die
       Krise langfristig auch Gutes haben könnte. Vielleicht würden wir weniger
       konsumieren? Uns insgesamt verkleinern, besinnen auf das Wesentliche?
       Weniger fliegen? Und vielleicht nie, nie, nie wieder krank oder kränklich
       ins Büro gehen? Schließlich hielten im Frühjahr 2020 plötzlich Menschen
       Konferenzen vom Küchentisch aus ab. Manche gaben Fernsehinterviews auf der
       Couch.
       
       Während all das Antikapitalist:innen und Umweltschützer:innen
       hoffnungsvoll stimmte, wollten Konservative und Wirtschaftsliberale am
       liebsten so schnell wie möglich zurück zum „Normal“ der präpandemischen
       Zeit. Es sind wohl auch diejenigen, die Corona stets ausschließlich als
       Störung der Abläufe begriffen haben, die jetzt jede Erinnerung an die
       Pandemie schnellstmöglich tilgen möchten – Masken weg, lieber heute als
       morgen. Ungeachtet dessen, dass Masken unglaublich nützlich sind und kaum
       Nachteile haben. FFP2-Masken schützen nicht nur vor Corona, sondern auch
       vor anderen Atemwegserkrankungen. In Zeiten, in denen Kliniken mal wieder
       am Limit sind und [1][das RS-Virus vor allem Kinder gefährdet], sind sie
       ein einfaches Mittel. Aber der Diskurs in Deutschland verkämpft sich an
       ihnen als politisches Symbol.
       
       FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai rief die Bundesländer vergangenen
       Mittwoch auf, die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen sofort abzuschaffen:
       „Es gibt keine Grundlage mehr für Grundrechtseinschränkungen. Auch die
       Bundesländer müssen handeln und auf die veränderte Lage reagieren.“ Auch
       Justizminister Marco Buschmann (FDP) forderte: Weg mit den Schutzmaßnahmen.
       Hintergrund ist, dass der Chefvirologe der Charité, Christian Drosten, im
       Tagesspiegel gesagt hatte: Deutschland befinde sich in der ersten
       endemischen Coronawelle – die Pandemie sei vorbei.
       
       Was meint Drosten damit? Der Übergang von der Pandemie zur Endemie bedeutet
       erst einmal lediglich, dass die meisten in Deutschland lebenden Menschen
       eine Grundimmunität haben. Sie werden sich wohl regelmäßig anstecken, aber
       mit meist vergleichsweise „milden“ Verläufen. Das heißt jedoch nicht, dass
       Corona oder Long Covid plötzlich auf die leichte Schulter zu nehmen sind.
       Noch immer sterben viele Menschen daran, selbst milde Verläufe können
       Gehirn, Lunge, Herz und Nieren schädigen.
       
       ## Das Wort „vorbei“ ist trügerisch
       
       [2][Nun diskutierten die Koalitionspartner darüber, wie mit dieser
       Information umzugehen ist]. Grüne und SPD sprechen sich für ein Beibehalten
       der Maßnahmen bis April aus – wie vorgesehen. Die FPD scheint nur das Wort
       „vorbei“ gehört zu haben.
       
       Das Wort ist trügerisch. Man kann die Lage mit Malaria vergleichen. Malaria
       ist endemisch, kann aber bekanntermaßen auch tödlich sein. Mike Ryan von
       der Weltgesundheitsorganisation (WHO) formulierte es im März so: „Wenn eine
       Krankheit endemisch wird, kann sie immer noch Leid und Tod verursachen.“
       Das macht natürlich Angst. Vor allem, wenn die Gesellschaft mit einem
       solchen Risiko zu leben lernen muss.
       
       Deutschland befindet sich an einem Punkt maximaler Unentschiedenheit, was
       die Haltung zu Corona angeht. Laut einer repräsentativen Umfrage von YouGov
       sagen 64 Prozent, die Pandemie sei für sie noch nicht vorbei. Derweil
       wollen nur 52 Prozent die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln
       noch behalten, 41 wollen sie loswerden. Eindeutige Mehrheiten sehen anders
       aus.
       
       Derweil schleicht sich das präpandemische „Normal“ von selbst wieder ein.
       [3][Fast jede zehnte Person geht trotz Corona-Infektion zur Arbeit], ergibt
       eine Befragung der Krankenkasse pronovaBKK vom September. Dafür kann es
       viele Gründe geben: weil man Kolleg:innen nicht „im Stich“ lassen will,
       weil ein Projekt dringend fertig werden muss, weil es „nur“ ein Schnupfen
       ist, weil man Angst hat, den Job zu verlieren. Es ist schon fast wieder wie
       die „alte“ Welt, dieser Hyperkapitalismus, in dem die meisten sich dringend
       unersetzlich fühlen möchten. Klar: Mancherorts müssen
       Arbeitnehmer:innen damit rechnen, gekündigt zu werden, wenn sie nicht
       arbeiten. Manche Menschen arbeiten freiberuflich und haben keine Wahl. Aber
       selbst diejenigen, die eine Wahl hätten, hängen häufig am Anspruch der
       eigenen Unersetzlichkeit.
       
       ## Es hängt an allen, dass es besser wird
       
       Es geht nicht um eine Woche Krankschreibung bei jedem Nieser. Aber wer
       ignoriert, dass der Körper schlapp macht, um alle Aufgaben zu erfüllen,
       handelt fahrlässig. Wer alle zwei Minuten zum Taschentuch greift („Keine
       Angst, kein Corona, nur eine Erkältung!“), der hätte vielleicht im Bett
       bleiben sollen.
       
       Wie schön das wäre, wenn wir durch die Pandemie gelernt hätten, unsere
       Körper ernster zu nehmen. Gelernt hätten, unserem Organismus die Auszeiten
       zu gönnen, die er nun mal regelmäßig braucht. Wenn wir unsere psychische
       Gesundheit ernst genug nähmen. Wenn Deadlines sich selbstverständlicher
       nach hinten verschieben dürften. Gesundheit und Krankheit müssten dafür als
       Gegebenheiten akzeptiert werden – statt als etwas, das sich nach Terminen
       zu richten hat.
       
       Das ist Selbstfürsorge, aber es ist auch systemische Fürsorge. Es hat mit
       Rücksicht zu tun, die Erkältung nicht ins Büro oder ins Geschäft zu
       schleppen. Es ist vernünftig, auf Regeneration zu achten, anstatt unsere
       Leistungsfähigkeit ständig auszureizen.
       
       Es hängt an Arbeitgeber:innen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der es
       okay ist, krank zu sein. Es ist aber auch an der Politik.
       [4][Selbstständige etwa müssen gesetzlich besser abgesichert werden.] Und
       auch Arbeitnehmer:innen müssen Körper und Psyche ernster nehmen.
       Hatschi, hier ist Ihr Kaffee, haben Sie eine schöne postpandemische Zeit,
       schneuz.
       
       2 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Medizinerin-ueber-Folgen-des-RS-Virus/!5902304
   DIR [2] /Debatte-ueber-Ende-der-Corona-Massnahmen/!5901384
   DIR [3] https://www.pronovabkk.de/media/pdf-downloads/unternehmen/studien/arbeiten2022-ergebnisse.pdf
   DIR [4] /Gesetz-wird-geprueft/!5904622
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nicole Opitz
       
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