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       # taz.de -- Über respektvolle Debattenkultur: Können wir noch miteinander reden?
       
       > Unser Kolumnist teilt nicht die Ukraine-Position von Richard David Precht
       > und Harald Welzer. Wie mit ihnen umgegangen wurde, findet er aber falsch.
       
   IMG Bild: Richard David Precht (links) und Harald Welzer im Oktober bei der Buchmesse in Frankfurt am Main
       
       Wenn Welt-Chef Ulf Poschardt und jene Linksliberalen, die aus seiner Sicht
       keine Liberalen sind, sondern pupsige Staatskonformisten, wenn die zusammen
       ein Superwokie-Jagdgeschwader bilden, dann wird es interessant. So 2022
       geschehen im Fall der Public Intellectuals Harald Welzer und Richard David
       Precht.
       
       Warum die Hatz? Weil die beiden in der Frage des russischen Angriffskrieges
       gegen die Ukraine [1][eine Position einnehmen, die eben noch verbreitet
       war] – mehr Waffen machen alles nur noch schlimmer –, die nun aber gerade
       für die unerträglich klingt, die das jahrzehntelang gepredigt haben. Manche
       Grüne zum Beispiel.
       
       Ich teile die Position von Welzer und Precht nicht. Ich denke, dass Daniel
       Cohn-Bendit und dann [2][auch Joschka Fischer] schon in den 90ern richtig
       damit lagen, dass die EU angegriffenen Europäern aus menschenrechtlichen
       und auch geopolitischen Gründen helfen muss, dass sie nicht Opfer eines
       Völkermordes werden. Mit Waffen und im äußersten Fall auch mit einem
       Nato-Einsatz.
       
       Das Problematische für mich ist jedoch, dass man nicht sagt: Herr Welzer,
       Herr Precht, ihr wart die ersten Intellektuellen, die das Ausmaß der
       Klimakrise verstanden und zur Basis eures Denkens gemacht haben, großer
       Respekt. Ihr sagt auch sonst viel Kluges. Doch in dieser Sache folgen wir
       euch ganz und gar nicht. Stattdessen greift man sie als ganze Person an.
       Die seien doch jetzt „erledigt“, sagte mir im Mai ein anderer
       Intellektueller mit grimmig-glücklichem Gesichtsausdruck.
       
       ## Eine Unkultur
       
       Als Precht und Welzer dann auch noch einen Superbestseller landeten mit der
       Frage, warum Medien Schwierigkeiten haben, auf der Höhe der Krisen des 21.
       Jahrhunderts zu berichten, nutzt man nicht die Gelegenheit, diese
       unangenehme, aber dringliche Diskussion zu führen. Stattdessen findet zur
       Verdrängung auch dieses Problems ein öffentlicher Schauprozess statt, der
       nach Einsatz der üblichen Identitäts-Anklageklassiker – Nazikeule,
       Antifeminismus – zu dem Urteil kommt, dass die beiden bereits durch ihre
       Frisuren der „Eitelkeit“, durch ihre Gesichter der „Arroganz“ überführt und
       sowieso schon immer blöd gewesen seien, vor allem Precht. Weg mit ihnen.
       
       Ich habe das jetzt etwas überspitzt dargestellt, aber gerade die Vorwürfe
       der „Eitelkeit“ und „Arroganz“ sind Ausdruck einer Diskurskultur, die keine
       ist, sondern die Welt aus eigenen – negativen – Gefühlen heraus beurteilt,
       gegen die es keine Gegenargumente geben kann und soll.
       
       Das Verstörende für mich ist, dass jener Intellektuelle, der die beiden für
       „erledigt“ erklärte, selbst von anderen gern „erledigt“ würde. Das wäre ein
       Indiz, dass diese Unkultur bereits so hegemonial ist, dass man sich nur
       noch freut, wenn es einen anderen erwischt und (noch) nicht einen selbst.
       
       ## Das kann es ja wohl nicht sein
       
       Dass es anders geht, dass man auf der Basis von intellektueller und
       menschlicher Wertschätzung fachlich hart kritisieren kann, hat im Fall von
       Welzer/Precht [3][der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen
       gezeigt]. Ich will auch noch in aller Unbescheidenheit anmerken, dass
       Harald Welzer als Herausgeber und ich als Chefredakteur im ablaufenden Jahr
       nach meiner Einschätzung die bisher besten taz-Futur-zwei-Ausgaben mit
       unserem großen inhaltlichen Gegensatz hinbekommen haben. Nicht trotz,
       sondern wegen dieses Gegensatzes.
       
       Ich würde sagen, dass ich dadurch etwas Grundsätzliches verstanden habe.
       Die Basis, um die zunehmenden Reibungen der kommenden Jahre nicht zu
       eskalieren, sondern intellektuell, gesellschaftlich und politisch fruchtbar
       zu machen, ist gegenseitiger Respekt und ein gemeinsames Ziel. Ihr könnt
       mich Pastor nennen, aber so sieht's aus.
       
       31 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Harald-Welzer-zum-Offenen-Emma-Brief/!5847657
   DIR [2] /Joschka-Fischer-ueber-den-Ukrainekrieg/!5846190
   DIR [3] https://www.spiegel.de/kultur/bernhard-poerksen-ueber-precht-welzer-buch-lauter-ungeheuer-meinung-a-e8cd3ec5-1103-41b8-aa72-0848648f93ba
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Unfried
       
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