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       # taz.de -- Ausstellung „Who’s next“ in Hamburg: Überleben von Tag zu Tag
       
       > Frappierend stimmig: In Sichtweite von Hamburgs Hauptbahnhof thematisiert
       > die Ausstellung „Who’s next“ Obdachlosigkeit. Sie zeigt auch
       > Lösungsansätze.
       
   IMG Bild: Im Winter keine gute Lösung: Zeltlager für Obdachlose in der Fulton Street in San Francisco
       
       Hamburg taz | Auf der Treppe, die zu den Ausstellungsräumen führt, fallen
       sofort die von der Decke baumelnden Schlafsäcke ins Auge. Was erst mal
       aussieht wie eine lustige Kunstinstallation, sorgt im zweiten Schritt für
       ein schmerzliches Realitäts-Update: Die 43 leeren Schlafsäcke stehen
       symbolisch für die [1][43 Menschen ohne Obdach, die 2021 in Hamburg
       gestorbenen sind.] Diese Erkenntnis offenbart die Tragik, die dem Titel der
       Ausstellung innewohnt: „Who’s next“ heißt sie.
       
       In der Modernen Pinakothek in München war die Ausstellung, die, mit
       Beispielen untermalt, verschiedene Perspektiven auf Obdachlosigkeit bietet,
       bereits zu sehen. Entstanden ist sie als Kooperation des Architekturmuseums
       der Technischen Universität München und des Museums für Kunst und Gewerbe
       (MKG) in Hamburg.
       
       Nun ist sie dort zu sehen – ein „geradezu ideale(r) Ort“, heißt es im
       Ausstellungstext. Denn das Gebäude befindet sich direkt zwischen dem
       Hauptbahnhof und der Drogenhilfeeinrichtung Drob Inn. Die Gegend um den
       Hauptbahnhof ist einer der zentralen Orte in der Stadt für Menschen, die
       obdachlos sind. Das liegt vor allem an den vielen [2][Hilfsangeboten] dort,
       die von ihnen genutzt werden können.
       
       Wenn man im Museum durch die Fenster nach draußen schaut, sieht man
       geschäftiges Treiben. Nicht selten sind dabei auch Menschen zu sehen, die
       offensichtlich durch das Leben auf der Straße gezeichnet sind: kaputte
       Klamotten, Schlafsäcke, große Bündel mit ihrem Hab und Gut. Diese Realität
       dort draußen scheint im Inneren des Museums, hinter den Glasscheiben,
       unendlich weit entfernt zu sein.
       
       ## Mehr Symptom- als Ursachenbekämpfung
       
       Aber auch das bedeutet „Who’s next“: Es kann jede*n treffen, rund 300.000
       Menschen leben in Deutschland ohne Wohnung. Angesichts stark steigender
       Wohnkosten dürften es in den kommenden Monaten noch mehr werden.
       
       Kurator Daniel Talesnik hat es sich mit der Ausstellung zur Aufgabe
       gemacht, das Problem der Obdachlosigkeit zum Thema zu machen und dabei auch
       Lösungsansätze aufzuzeigen. Im Vordergrund stehen dabei lokale und vor
       allem architektonische Lösungen. „Obdachlosigkeit, Architektur und die
       Stadt“ lautet der Untertitel der Ausstellung.
       
       Ein entscheidendes Konzept ist der aus den Vereinigten Staaten kommende
       [3][„Housing first“-Ansatz]. Dabei geht es darum, dass Obdachlose zunächst
       ohne großen Papierkram einen geschützten Ort zum Schlafen bekommen. Wie es
       von da aus weitergeht, wird später entschieden.
       
       Wie diese Idee umgesetzt werden kann, zeigen Beispiele aus der ganzen Welt.
       Dabei wird deutlich: Was sich zunächst gut anhört, kann auch zu einem
       Problem werden. Denn die Betroffenen verschwinden zwar von der Straße, mit
       ihnen verschwindet aber auch die Sichtbarkeit für das Problem. „Housing
       first“ ist deshalb häufig eine nur provisorische Lösung, die die Gefahr
       birgt, mehr Symptom- als Ursachenbekämpfung zu sein.
       
       Wie unsichtbar Obdachlosigkeit ist, wird auch in der Ausstellung deutlich.
       Der Boden ist gepflastert mit neonpinkem Kreppband, mit dem die Umrisse
       einzelner Schlafsäcke angedeutet werden. Doch wie im Alltag auch übersieht
       und vergisst man sie und die unvorsichtigen Beobachter*innen stellen
       immer wieder fest, aus Versehen auf einem potenziellen Schlafplatz zu
       stehen. Dieser Unsichtbarkeit stellt die Ausstellung Texte, persönliche
       Videoporträts und Informationen zu standortspezifischen Besonderheiten in
       Bezug auf Obdachlosigkeit entgegen.
       
       Hamburg wird dabei an unterschiedlichen Stellen hervorgehoben. Eine Karte
       der Innenstadt zeigt im Maßstab 1:2.000, wo sich Anlaufstellen für
       Obdachlose befinden, etwa das [4][Straßenmagazin Hinz & Kunzt ] und das
       dahinter stehende Projekt. Welche Rolle dieses nicht nur auch als
       Zufluchtsort für Menschen in Not spielt, wird in der Ausstellung prägnant
       vermittelt. So gelingt es „Who’s next“ immer wieder, an das „Draußen“ und
       an die Menschen zu erinnern, denen in der Kälte ohne Obdach [5][derzeit der
       Tod droht], und das Unsichtbare der Obdachlosigkeit in der Stadt sichtbar
       zu machen.
       
       Und ein kleines Schild, das ganz vorn in der Ausstellung steht, lässt
       zumindest ein bisschen Hoffnung aufkommen. Dort wirbt die Initiative
       #NullBis2030 um Unterstützung. Denn auch Hamburg will das EU-Ziel, bis 2030
       alle Obdachlosen von der Straße zu holen, umsetzen.
       
       „Das ist eine große Aufgabe, die große Anstrengungen erfordert “, heißt es
       dazu auf der Website [6][nullbis2030.de] des Projekts: „Mit einem Plakat,
       das Obdachlosen im Notfall Zuflucht bietet, wollen wir Aufmerksamkeit dafür
       schaffen, dass mit Ende des Winternotprogramms wieder Hunderte Obdachlose
       auf die Straße müssen.“
       
       28 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
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   DIR [6] https://nullbis2030.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Paul Weinheimer
       
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