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       # taz.de -- EU-Sanktionen und Öltanker: Stau vor dem Bosporus
       
       > Die Türkei will Öltanker nicht durchlassen. Denn wegen der EU-Sanktionen
       > gegen russisches Öl treten Probleme mit der Versicherung auf.
       
   IMG Bild: Es wird eng vor der Meeresenge: Tanker warten auf den Durchlasss
       
       Istanbul taz | Das Tauziehen um die Passage von Öltankern durch den
       Bosporus geht weiter. Wegen der neuen [1][EU-Sanktionen gegen russisches
       Öl] verlangt die türkische Regierung zusätzliche Versicherungsgarantien von
       den Reedern, die russisches Öl an Bord haben und durch den Bosporus
       transportieren wollen.
       
       Seitdem [2][staut sich der Schiffsverkehr vor der Einfahrt zum Bosporus].
       Nach Angaben der türkischen Marinedirektion, einer Abteilung des
       Transportministeriums, warten im Schwarzen Meer 18 Schiffe auf die
       Durchfahrt und ein Schiff in der Ägäis. Weiteren vier Schiffen sei am
       Sonntag die Durchfahrt gestattet worden.
       
       Mit dem [3][EU-Sanktionspaket] vom 5. Dezember war klargestellt worden,
       dass keine westlichen Versicherungen mehr Öltanker versichern dürfen, deren
       Reedereien sich nicht an die 60-Dollar-Preisobergrenze pro Barrel halten.
       
       Jeder Öltanker muss eine sogenannte „Protection &
       Indemnity“-(P&I)-Versicherung haben, die in aller Regel bei den großen
       Versicherungen in London abgeschlossen werden. Darüber hinaus zahlen alle
       Reedereien in einen internationalen Fonds, den IOPC-Fonds, der für Schäden
       aufkommt, die über den Versicherungsbetrag hinausgehen.
       
       ## Angst vor Tankerunfall
       
       Da die türkischen Behörden nicht kontrollieren können, zu welchem Preis die
       Tanker ihr geladenes Rohöl aus Russland verkaufen, verlangen sie seit dem
       Sanktionsbeschluss eine Garantieerklärung der jeweiligen
       Schiffsversicherer, dass sie bei einem Unfall in den Meerengen in jedem
       Fall für den Schaden aufkommen werden, auch bei Schwierigkeiten mit den
       Sanktionsregeln.
       
       Dieselbe Erklärung erwarten die türkischen Behörden von dem internationalen
       IOPC-Fonds, der diese nach Angaben der Marinedirektion bislang aber
       verweigert. So lange die Versicherungen eine solche Garantieerklärung nicht
       abgeben, dürfen die Tanker nicht passieren.
       
       Die türkische Regierung unterstützt damit zwar auch die neuen
       EU-Sanktionsregeln gegen russisches Öl und für eine Preisdeckel. Sie hat
       aber vor allem Angst, bei einem Tankerunfall auf dem Bosporus womöglich auf
       den daraus resultierenden enormen Kosten sitzen zu bleiben. Ein
       Tankerunfall auf dem Bosporus, direkt mitten in der
       16-Millionen-Einwohner-Stadt Istanbul, wäre wohl einer der größten
       anzunehmenden Schadensfälle bei Schiffsunglücken überhaupt.
       
       Bereits zwei Mal ist Istanbul nur knapp an einer Katastrophe
       vorbeigeschrammt. Im November 1979 krachte ein rumänischer Rohöltanker aus
       dem Marmarameer kommend vor der Einfahrt in den Bosporus in einen ankernden
       Frachter. Der Tanker fing Feuer, explodierte und brannte völlig aus. Von
       der Besatzung starben 43 Mencshen, das Feuer hielt zwei Monate an.
       Glücklicherweise ereignete sich der Unfall noch im Marmarameer vor Kadiköy
       und nicht im engen Bosporus.
       
       ## Erdoğan und Putin telefonieren
       
       Das zweite Mal knallte ein Frachtschiff 1994 bei der Ausfahrt aus dem
       Bosporus ins Schwarze Meer in einen Rohöltanker, der ebenfalls in Brand
       geriet. Insgesamt 19 Seeleute starben, aber der Tanker konnte aufs Schwarze
       Meer geschleppt werden, bevor er größeren Schaden im Bosporus anrichtete.
       Bei Tankerunfällen 1979 und 1994 kamen Dutzende Menschen ums Leben. Es wäre
       noch weitaus schlimmer ausgegangen, wenn die Unfälle sich direkt im
       Bosporus und nicht an den Ein- und Ausfahrten ereignet hätten.
       
       Seit den 90er Jahren hat der Schiffsverkehr auf dem Bosporus zugenommen,
       allerdings wurden die Sicherheitsbestimmungen 1996 verschärft, sodass jetzt
       nur noch jeweils 12 Stunden in eine Richtung gefahren werden darf.
       
       Am Wochenende hat die Marinedirektion vier Tanker angewiesen, die
       türkischen Hoheitsgebiete zu verlassen, bis die Versicherungsfrage geklärt
       ist. Das Transportministerium erklärte, man arbeite mit Hochdruck an einer
       Lösung, sowohl die betroffenen Reedereien wie die Versicherungen und die
       jeweiligen Flaggenstaaten seien in die Gespräche eingebunden.
       
       Man gehe davon aus, dass das Problem in den kommenden Tagen gelöst wird,
       hieß es von der türkischen Regierung. Der türkische Präsident Recep Tayyip
       Erdoğan und Russlands Präsident Wladimir Putin hatten am Wochenende erneut
       telefonischen Kontakt. Dabei sei es auch um zusätzliche [4][Getreide- und
       andere Schiffstransporte] gegangen.
       
       12 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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