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       # taz.de -- Bildung in Thüringen: Streit über Gemeinschaftsschulen
       
       > Thüringens Minderheitsregierung will mehr Gemeinschaftsschulen. Die CDU
       > und der Lehrerverband sprechen sich dagegen aus.
       
   IMG Bild: Astrid Rothe-Beinlich, Vorsitzende und bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion
       
       Leipzig taz | Die rot-rot-grüne Minderheitsregierung in Thüringen will mehr
       Gemeinschaftsschulen im Freistaat einrichten: Schulen, an denen Kinder
       nicht nach der 4. Klasse in verschiedene Schulformen einsortiert werden,
       sondern mindestens bis zur 9. Klasse gemeinsam lernen. Doch [1][die
       CDU-Fraktion lehnt ab], der Novelle des Schulgesetzes zuzustimmen: Das
       Vorhaben gefährde das dreigliedrige Schulsystem sowie das Bildungsniveau.
       
       Die Regierungsfraktionen von Linkspartei, SPD und Grünen sind im Thüringer
       Landtag auf mindestens vier Stimmen der Opposition angewiesen. Am
       Donnerstag soll das Plenum erstmals über den Entwurf beraten. Er sieht vor,
       dass alle derzeit bestehenden Grund- und Regelschulen, die sich auf
       demselben Grundstück befinden, innerhalb von [2][fünf Jahren zu
       Gemeinschaftsschulen] mit den Klassenstufen 1 bis 10 werden. Dasselbe gilt
       für Grund- und Gemeinschaftsschulen mit den Stufen 5 bis 10. „Wir rechnen
       mit 31 neuen Gemeinschaftsschulen“, sagte Astrid Rothe-Beinlich,
       Vorsitzende und bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion,
       der taz. Aktuell gibt es in Thüringen 74 Gemeinschaftsschulen, 184
       Regelschulen und 98 Gymnasien.
       
       An Gemeinschaftsschulen bleiben die Schüler:innen lange in einer Klasse.
       Je nach Leistungsstand bekommen sie unterschiedliche Aufgaben. Erst ab der
       9. Klasse entscheidet sich, welchen Abschluss sie anstreben. Kinder aus
       bildungsbenachteiligten Familien haben so mehr Zeit, ihr Potenzial zu
       entfalten. Wer hingegen schon nach der 4. Klasse auf die Hauptschule
       geschickt wird, hat kaum Chancen auf das Abitur.
       
       Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Tischner,
       betonte gegenüber der taz, dass die Union „nichts gegen ein längeres
       gemeinsames Lernen“ habe. Es dürfe nur nicht zulasten anderer Schularten
       gehen. Durch die „Zwangsfusionen“ werde den Regelschulen und vielen
       Gymnasien im ländlichen Raum „das Wasser abgegraben“, sagte Tischner. „Wo
       der Ausbau der Gemeinschaftsschule nicht realistisch ist, kann man ihn
       jetzt nicht mit Gewalt verordnen.“
       
       ## CDU mag keine Gemeinschaftsschulen
       
       Linke und Grüne wiesen die Kritik der CDU zurück: „Herr Tischner hat
       offensichtlich einen anderen Gesetzentwurf auf dem Tisch als den, den wir
       im Landtag eingereicht haben“, sagte der bildungspolitische Sprecher der
       Linksfraktion, Torsten Wolf. Rothe-Beinlich von den Grünen erklärte, dass
       der Gesetzentwurf „sehr moderat den wohnortnahen Ausbau der
       Gemeinschaftsschulen“ vorschlage. „Daraus eine Abwicklung der Regelschulen
       in Thüringen zu konstruieren, ist mehr als abenteuerlich.“
       
       Gemeinschaftsschulen sind bei der CDU traditionell unbeliebt. In Sachsen
       zum Beispiel blockierte die Union jahrelang die Einführung dieser Schulart.
       Erst im Sommer 2020, nachdem mehr als 50.000 Menschen einen Volksantrag
       unterschrieben hatten, entschied sich [3][die Kenia-Koaliton für
       Gemeinschaftsschulen] – allerdings mit hohen Hürden. Heute gibt es in ganz
       Sachsen nur drei solcher Schulen.
       
       Ähnlich sieht es in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg aus: In
       beiden Ländern waren es rot-grüne Regierungen, die die Gemeinschaftsschulen
       einführten. Und in beiden Ländern sorgte die CDU nach Regierungswechseln
       für Rückschritte. In Baden-Württemberg beispielsweise kann man nur an zwölf
       der 323 Gemeinschaftsschulen Abitur machen. Das hat die CDU durchgesetzt,
       die ein Aus des Gymnasiums befürchtet.
       
       In Thüringen stellt sich nicht nur die Opposition quer. Auch der
       Lehrerverband ist gegen das Vorhaben der Regierungskoalition: „Die
       Regelschule sollte das Herzstück der Bildung in Thüringen sein. Die Pläne
       der Landesregierung würden die Regelschulen erneut erheblich schwächen“,
       teilte der Verband mit. Darüber hinaus seien die Schulen für niemanden ein
       wirklicher Gewinn. „Dort sitzen unter Umständen Kinder mit
       sonderpädagogischem Fördergutachten neben hochbegabten künftigen
       Abiturienten. Auf diese Weise kann weder angemessen gefördert noch
       gefordert werden.“
       
       Die Landeselternvertretung hält ein längeres gemeinsames Lernen zwar
       generell für vorteilhaft. Nur mache der gravierende Lehrer:innenmangel
       die Umsetzung schwierig, erklärte Sprecherin Claudia Koch der taz: „Der
       Personalschlüssel an Gemeinschaftsschulen ist noch mal höher als an
       Regelschulen.“ Vor diesem Hintergrund sehe der Verband das rot-rot-grüne
       Vorhaben kritisch.
       
       14 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
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