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       # taz.de -- Jahreswechsel als Illusion: Das gute Leben für alle muss her
       
       > „Dinner for One“, die ziemlich unlustige Fernsehsendung, soll dieses
       > schreckliche Jahr beenden? Deutschland muss sein Feiertagsgame echt
       > upsteppen.
       
   IMG Bild: „Same procedure…?„ – Ja, leider
       
       Meine Friseurin hat mir erzählt, dass sie sich an Silvester einfach
       wegballern will. Die letzten zwei Jahre [1][in der Pandemie] sind die
       ersten ihrer Selbstständigkeit und es läuft noch nicht so, wie sie es sich
       Ende 2019 ausgerechnet hatte.
       
       Sie will dieses Jahr einfach mit einem harten Cut und billigem Schampus
       hinter sich lassen. Das verstehe ich gut, aber wünsche mir, Silvester wäre
       weniger auf Effizienz als auf einen mentalen Neuanfang ausgelegt. Ein
       ganzes Jahr soll man in nur einem Abend plus Katerkulanz am Neujahrstag
       hinter sich lassen.
       
       Ich bräuchte mindestens bis zum Frühling, um mich von diesem Jahr zu
       erholen. Gut, ich sehe ein, dass das nicht machbar ist. Aber dass der 2.1.
       ein Montag ist klatscht mir ins Gesicht, als ob dieses Jahr nicht genug
       Schellen verteilt hätte. [2][Silvester schafft] es nicht mir vorzugaukeln,
       dass sich im neuen Jahr etwas ändert.
       
       Das neue Jahr tut auch nie so, als ob die alten Probleme verschwinden
       werden. Im Gegenteil: Ab dem 2. erledigt man alles, was um die
       Weihnachtszeit herum liegen geblieben ist. In diesem Jahr fallen sowohl
       Weihnachten als auch Silvester auf ein Wochenende – wie unnötig ist das
       denn?!
       
       ## Langweiliges Feiertagsgame
       
       Klar, nicht alles war schlecht. Aber individuelle Glücksmomente sind ja für
       den politischen Lauf der Dinge nicht relevant. Was schlecht ist, bleibt es
       auch offenbar. Nur weil [3][25 Nazis festgenommen] worden sind, die einen
       Umsturz planten, ist die Terrorgefahr von rechts nicht gebannt. Und die
       Pandemie, sind wir die in 2023 los? Was ist mit dem Gesundheitssystem, das
       Karl Lauterbach nicht gebacken kriegt, zu reformieren?
       
       Schlecht bezahltes Personal auf der einen Seite, Patient*innen und ihre
       Angehörigen auf der anderen Seite kritisieren den auf Profit ausgerichteten
       Sektor gleichermaßen. Was ist mit teuren Preisen und niedrigen Einkommen?
       Was mit dem Krieg, den Russland in der Ukraine führt?
       
       Nicht zuletzt werde ich mir auch im neuen Jahr wohl oft die Frage stellen,
       wie viele Menschen in Iran noch getötet werden vom Regime? Wir könnten mit
       der Aufzählung noch bis morgen hier sitzen. Von all dem soll „Dinner for
       One“, die unlustigste Fernsehsendung neben dem Horrorfilm „Der Kleine Lord“
       mich über die Feiertage abholen. Nein, das funktioniert nicht.
       
       Deutschland muss sein Feiertagsgame echt upsteppen. Noruz, das Neujahrfest,
       das von Afghanistan über Iran bis Kurdistan gefeiert wird, dauert zwei
       Wochen! Im Frühling! Da kann man alle Sorgen vergessen und Hoffnung
       schöpfen. Aber so? Meine Friseurin hat Recht: Es muss etwas radikaler
       zugehen, damit man sich von den alltäglichen Sorgen, die man als Mensch
       ohne finanzielles Netz eben hat, ablenken kann.
       
       Damit meine ich nicht die Feierei an Silvester, also gönnen Sie sich ruhig.
       Aber vielleicht können wir im nächsten Jahr etwas radikaler werden mit
       unseren Forderungen für ein gutes Leben für alle. Damit man sich nicht von
       Wochenende zu Wochenende zu Feiertag schleppen muss.
       
       13 Dec 2022
       
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