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       # taz.de -- Gesetzesvorhaben der Ampel-Koalition: An der Länderkammer vorbei
       
       > Die Unions-Mehrheit im Bundesrat zwingt die Ampel zu Tricks. Die
       > Gaspreisbremse hat sie so formuliert, dass die Länder nicht zustimmen
       > müssen.
       
   IMG Bild: Gut formuliert ist halb gewonnen: Wirtschaftsminister Habeck am 15. Dezember im Bundestag
       
       Berlin taz | Das Parlament hat entschieden, die Gaspreisbremse kommt. Ein
       Element fehlt allerdings in dem Gesetz, das der Bundestag am Donnerstag
       verabschiedet hat: Dass Gutverdiener*innen den Rabatt auf die
       Gasrechnung versteuern müssen, taucht darin nicht auf.
       
       Die Ampel hat eine solche Regelung eigentlich vorgesehen, um [1][die
       Preisbremse] sozial gerecht zu machen – Reiche mit großen Häusern und hohem
       Energieverbrauch sollen nicht übermäßig profitieren. Die Koalition ist von
       diesem Vorhaben auch noch nicht abgerückt. Einen Bundestagsbeschluss zur
       Besteuerung will sie aber erst 2023 treffen; das Wie und Wann ist noch
       offen.
       
       Der Grund für das Outsourcing: Hätte der Bundestag die Besteuerung im Paket
       mit der eigentlich Preisbremse beschlossen, hätte das gesamte Projekt
       hinterher auch im Bundesrat eine Mehrheit benötigt – ein Risiko, das SPD,
       Grüne und FDP lieber nicht eingehen wollten.
       
       Spätestens seit [2][dem Ärger mit dem Bürgergeld] ist die Ampel nämlich
       nervös bei Projekten, denen der Bundesrat zustimmen muss. Im November hatte
       die Union die Sozialreform in der Länderkammer zunächst blockiert. Im
       Vermittlungsausschuss erwirkte sie dann [3][Abschwächungen].
       
       ## Merz macht der Ampel das Leben schwer
       
       Solche Blockaden könnten sich bei anderen Gesetzesvorhaben wiederholen. Was
       die Sache besonders knifflig macht: In der Koalition glauben viele, dass es
       CDU-Chef Friedrich Merz in vielen Konflikten nicht so sehr um die Sache
       gehe, sondern darum, der Ampel das Leben schwer zu machen. Folgt man dieser
       Sichtweise, ist unberechenbar, welche Gesetze die Union noch alles
       aufhalten könnte.
       
       Dazu kommt: Aus Länderkreisen gibt es die Beschwerde, dass sich
       Bundeskanzler Olaf Scholz wenig Mühe gebe, unter den
       Ministerpräsident*innen frühzeitig um Unterstützung für
       Ampel-Projekte zu werben. Angela Merkel habe darauf viel mehr Zeit
       verwendet. Auch daher gebe es mittlerweile im Bundesrat mehr
       Konfliktsituationen als früher.
       
       Die Gegenstrategie der Ampel: Sie achtet jetzt verstärkt darauf, ihre
       Gesetzesentwürfe so zu gestalten, dass sie die Zustimmung der Länder gar
       nicht braucht.
       
       Zwar muss jeder Gesetzesentwurf auch im Bundesrat beraten werden. Eine
       ausdrückliche Zustimmung der Länderkammer ist aber nur erforderlich, wenn
       das Grundgesetz dies ausdrücklich vorschreibt. Die drei wichtigsten Fälle:
       wenn sich etwas an den Steuereinnahmen der Länder ändert, wenn sie den
       Bürger*innen etwas bezahlen sollen oder wenn der Bundestag ihnen
       Verwaltungsverfahren vorschreibt.
       
       Ein Gaspreisbremsengesetz mit Absatz zur Einkommenssteuer hätte auf diesem
       Weg also noch scheitern können. Ohne ihn durfte der Bundestag alleine
       entscheiden. Um die Bundesratsmehrheit für den noch fehlenden
       Steuerbeschluss kann sich die Ampel jetzt gesondert Gedanken machen.
       
       Ganz trivial wird allerdings auch das nicht, wie sich diese Woche an
       ähnlicher Stelle zeigt: Vor Inkrafttreten der eigentlichen Gaspreisbremse
       wird der Bund schon in diesem Dezember die Abschlagszahlungen von
       Gaskund*innen übernehmen. Ein Gesetz dazu ging im November durch den
       Bundestag und auch dabei hat die Ampel die Besteuerung ausgegliedert. Dass
       Gutverdiener*innen diese Hilfe versteuern müssen, hat sie stattdessen
       ins sogenannte Jahressteuergesetz geschrieben, das mehrere steuerrechtliche
       Änderungen vereint.
       
       Dieses Gesetz ist zwar zustimmungspflichtig. Die Ampel hoffte aber, dass
       der Bundesrat keine Probleme machen wird: Abgestimmt wird nur über das
       Gesetz als ganzes und darin befinden sich auch Punkte, die im Sinne der
       Union sind, darunter einige Steuererleichterungen.
       
       Aber ob das Gesetz in der letzten Bundesratssitzung des Jahres am Freitag
       wirklich eine Mehrheit bekommt, war bis zuletzt doch noch fraglich. Das
       wiederum liegt auch an einer neuen Regelung fürs Erben: Entsprechend einer
       Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts soll für die Berechnung der
       Erbschaftssteuer der Wert von Immobilien künftig höher angesetzt werden.
       
       ## Leicht hat es auch die Union im Bundesrat nicht
       
       Die Union forderte nun, im Gegenzug auch die Freibeträge für Erb*innen zu
       erhöhen und drohte andernfalls mit der Blockade des ganzen Gesetzes. Einen
       vermeintlichen Kompromiss schlugen die Ampel-Fraktionen im Bundestag am
       Mittwoch vor: Der Bundesrat solle das Jahressteuergesetz erst mal
       verabschieden. Sollte sich die Länderkammer anschließend auf eine eigene
       Gesetzesinitiative zu den höheren Freibeträgen einigen, würde die Ampel der
       wiederum im Bundestag zustimmen.
       
       Ob die Länder das aber schaffen? Im Moment verfügen die acht Länder, in
       denen die Union mitregiert, im Bundesrat über 39 Stimmen. Außer in Bayern
       koaliert sie aber überall mit Ampel-Parteien, die an das Agreemenet der
       Bundestagsfraktionen nicht gebunden sind. Und im Bundesrat gilt in der
       Regel: Ist sich eine Landesregierung nicht einig, enthält sie sich.
       
       Enthaltungen zählen wiederum wie Nein-Stimmen. Das macht es der Union auf
       der einen Seite so einfach, Gesetze aus dem Bundestag zu blockieren. Das
       macht es ihr auf der einen Seite aber auch schwer, in der Länderkammer eine
       Mehrheit für eigene Initiativen zu erreichen.
       
       All diese Feinheiten des Staatsrechts werden die Ampel auch bei ihren
       Vorhaben im neuen Jahr begleiten. Komplett umgehen kann die Koalition den
       Bundesrat wahrscheinlich bei der geplanten Erleichterung von
       Einbürgerungen. Die Union würde auch dieses Projekt gerne verhindern. Aber
       sollte die Ampel darauf verzichten, den Ländern genaue Vorschriften zur
       Durchführung der Einbürgerungsverfahren zu machen, hat der Bundesrat hier
       wohl nichts zu sagen. Das Innenministerium prüft den Punkt derzeit
       besonders gründlich.
       
       ## Wackelt die Unions-Mehrheit?
       
       Schwieriger ist es beim nächsten sozialpolitischen Großprojekt der Ampel:
       Die Einführung der Kindergrundsicherung, deren Eckpunkte die
       Bundesregierung Anfang 2023 vorstellen möchte, wird ohne Zustimmung des
       Bundesrats kaum gelingen. Theoretisch könnte die Union hier blockieren.
       
       Doch selbst wenn sich CDU-Chef Friedrich Merz zu einem ähnlichen Kurs wie
       beim Bürgergeld entschließen, ist fraglich, ob er auch praktisch erneut
       Erfolg hat. CDU-Landesverbände mit Regierungsverantwortung haben oft einen
       eigenen Kopf und ein großes Selbstbewusstsein. Dem Vernehmen nach zeigten
       schon in den Verhandlungen über das Bürgergeld einige
       CDU-Ministerpräsidenten ein weit größeres Interesse an einer Einigung als
       der Parteichef.
       
       Bei der Kindergrundsicherung könnte dieses Interesse noch stärker
       ausgeprägt sein. Vergangene Woche sprach sich Karl Laumann,
       CDU-Sozialminister in Nordrhein-Westfalen, für das Projekt aus. In
       Schleswig-Holstein haben sich CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag
       darauf verständigt, Initiativen des Bundes gegen Kinderarmut „im Grundsatz
       wohlwollend“ zu begleiten.
       
       Und schließlich ist noch nicht mal gesagt, dass CDU und CSU ihre
       Blockademehrheit rein zahlenmäßig noch lange behalten. 2023 stehen vier
       Landtagswahlen an. Dass die CSU in Bayern aus der Regierung fliegt, kann
       man wohl ausschließen. Dass die CDU in Berlin oder Bremen neu in die
       Regierung kommt, ist zumindest nicht sehr wahrscheinlich. Spannend könnte
       daher die Wahl in Hessen im Herbst werden. Flöge die CDU dort aus der
       Regierung, verlöre sie im Bundesrat fünf Stimmen – und damit die Mehrheit.
       
       Schon nach der letzten Landtagswahl 2018 hätte es in Hessen rechnerisch
       eine Ampel-Mehrheit gegeben. Die Grünen wären dabei aber die stärkste Kraft
       gewesen und die FDP wollte nicht unter einem grünen Ministerpräsidenten in
       die Regierung eintreten. Würde heute neu gewählt, wäre die Konstellation
       Umfragen zufolge ähnlich. Mit Blick auf den Bundesrat gäbe es für die FDP
       diesmal ein Argument mehr, sich nicht zu verweigern.
       
       Einerseits. Andererseits: Inhaltlich liegen die Liberalen mit der Union oft
       auf einer Linie. Manchmal kommen ihr die Muskelspiele von CDU und CSU in
       der Länderkammer also insgeheim auch gelegen. Von allen drei Ampel-Parteien
       profitiert sie zumindest am stärksten von den aktuellen Mehrheiten im
       Bundesrat.
       
       15 Dec 2022
       
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