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       # taz.de -- Geistige Wegbereiter der Nazis: Mönche und Krieger
       
       > Die Neue Sachlichkeit steht für ein progressives Menschenbild. Dass sie
       > sich auch rechten Ideologien andiente, analysiert Volker Weiß.
       
   IMG Bild: Christian Schad im Jahr 1980
       
       Viele Museen in Deutschland arbeiten derzeit an einer Revision der eigenen
       Kunstgeschichtsschreibung. Lange galt die Kunst der Klassischen Moderne
       allgemein als progressiv, sozialkritisch, von den Nazis verfemt und daher
       auch nach dem Zweiten Weltkrieg als recht unbescholten.
       
       Doch sollte man in der heutigen Kunstvermittlung differenzierter auf die
       künstlerischen Strömungen der Weimarer Zeit schauen, das zeigt nicht nur
       der Fall des [1][Expressionisten Emil Nolde.] Die Weimarer Avantgarden
       konnten den Nationalsozialismus vorausgreifen, sich rechten Ideologien
       andienen, weshalb man sie auch lieber im Plural nennen sollte.
       
       Der Historiker Volker Weiß publiziert vielfach über die politische Rechte
       und ihre europäische Ideengeschichte. In der Neuen Nationalgalerie Berlin,
       Mies van der Rohes gläsernem Tempel für die Moderne, analysierte er bei
       einem Vortrag, wie sich eine rechte Kunsttheorie auch in einer Malerei
       niederschlagen konnte, die vor allem für ihren sozialen Verismus und ihr
       progressives Menschenbild bekannt ist: die Neue Sachlichkeit.
       
       Man kennt Christian Schads Porträt der „Sonja“ von 1928. Das Bildnis einer
       modernen Frau, kurzes Haar mit tief in die Stirn fallender Wasserwelle, die
       Packung Camel vor ihr auf dem Cafétisch, schaut sie einen direkt an. Schads
       nüchterner, isolierter Blick auf diese Frau, der sie so selbstbestimmt
       darstellt, macht die „Sonja“ zu einem viel zitierten Werk für diese Malerei
       zwischen 1920 und 1940.
       
       ## Angeblicher Nationalcharakter
       
       Christian Schad wird wenige Jahre nach Anfertigung des Bildes versuchen,
       sich den Nazis anzubieten. Doch die Formensprache, die er anwendete, diese
       Reduktion, die Bekennung zum Sachlichen, sie wurde, so führt Weiß aus,
       bereits im späten 19. Jahrhundert in einem rechtsideologischen Kunstdiskurs
       aufgegriffen, vom damals äußerst populären Kulturpessimisten Julius
       Langbehn etwa.
       
       In Abgrenzung zum Pomp des Wilhelminismus habe sich in den Debatten um
       einen vermeintlich deutschen Nationalcharakter in der Kunst das Motiv einer
       Ästhetik der Kargheit ausgeprägt, mythisch formuliert: eine „Ästhetik der
       Mönche und Krieger“. Anfang 1900 brachte dann der
       völkisch-nationalistische Publizist Arthur Moeller van den Bruck, der 1923
       „Das dritte Reich“ veröffentlichen sollte, eine Begeisterung für die
       Technik in die rechte Kunsttheorie ein, forderte eine neue Schönheit mit
       aggressiven modernen Formen. „Eine Stahlplatte ist für die Kultur
       wertvoller als eine Dichtung voller erlesener Subtilitäten“, zitiert Weiß
       ihn.
       
       In Carl Grossbergs Traumbild „Dampfkessel mit Fledermaus“ von 1928
       verschwimmt dann die strenge Darstellung der Maschine mit einem
       Irrationalismus. Und Franz Radziwill überhöht 1927 die Backsteinarchitektur
       einer Schleusenanlage bei Petershörn zu einer mittelalterlichen Burganlage.
       Der Mystizismus und der historische Revisionismus eines Moeller van den
       Bruck sind auch in diesen Bildern der Neuen Sachlichkeit zu erkennen.
       
       ## Widersprüche einer Gesellschaft
       
       Die Malerei der Neuen Sachlichkeit, so resümiert Weiß, zeigt aber letztlich
       die Widersprüche einer Gesellschaft in der Weimarer Republik. Diese
       spiegelten sich besonders in der Kunst Rudolf Schlichters. Um 1926 fertigte
       er noch das berühmte Porträt Bert Brechts an: große Nase, der Hemdkragen
       unkorrekt, in der überformt großen Schriftstellerhand eine Zigarre.
       Schlichter hatte ihn drauf, den kritischen, beschlagenen Blick der Neuen
       Sachlichkeit.
       
       Doch vier Jahre später wird er Ernst Jüngers Band „Krieg und Krieger“ nur
       noch Gewalt verherrlichend mit einem aufragenden Weltkriegspanzer voller
       Blutschlieren illustrieren. Jüngers Essay „Die totale Mobilmachung“ ist
       Teil des Bandes. Schlichter war zunächst Kommunist und sollte sich im Laufe
       der 1920er immer mehr rechts radikalisieren.
       
       10 Jan 2023
       
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