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       # taz.de -- Beraterin Dobler über Gewalt im Sport: „Beschwerden wurden bagatellisiert“
       
       > Seit Mai gibt es eine unabhängige Anlaufstelle gegen Gewalt für
       > Sportler:innen. Nadine Dobler spricht über schwierige Strukturen und
       > Mentalitäten.
       
   IMG Bild: Die Probleme der Aufarbeitung von Gewalt zeigen sich gerade im deutschen Handball
       
       taz: Frau Dobler, was passiert, wenn sich Sportler:innen über „Anlauf
       gegen Gewalt“ bei Ihnen melden? 
       
       Nadine Dobler: Oft wollen die Sportler:innen einordnen, was passiert
       ist. Sie wollen wissen, ob es wirklich Gewalt ist, was sie erfahren haben.
       Je nach Fall können wir die Betroffenen auch mit unserer Psychologin oder
       der juristischen Beratung in Kontakt bringen. Wir von der Ansprechstelle
       bleiben aber unabhängig davon längerfristig mit den Betroffenen in Kontakt.
       Unser Ziel ist es, sie und ihr Umfeld so zu stärken, dass sie sich selbst
       helfen können.
       
       [1][„Anlauf gegen Gewalt“ gibt es jetzt seit etwa einem halben Jahr.] Das
       Projekt wird wissenschaftlich begleitet. In der Auswertung nach den ersten
       sechs Monaten steht, dass sich die meisten Betroffenen erst melden, wenn
       die Gewalterfahrung über ein Jahr zurückliegt. Warum? 
       
       Viele können diese Meldung erst machen, wenn sie nicht mehr selbst im
       System stecken. Sie müssen persönlich in der Lage sein, darüber zu
       sprechen. Das dauert oft Jahre. Allerdings haben auch viele Betroffene die
       Probleme im Verein schon angesprochen, als es damals akut war. Doch oft
       wurde ihnen nicht zugehört, oder die Beschwerden wurden bagatellisiert.
       
       Das scheint auch im Frauenhandball so gewesen zu sein. Sie haben über 30
       Betroffene beraten, die [2][von Übergriffen und psychischer Drangsalierung
       durch den Trainer André Fuhr] berichtet haben. Dieses Verhalten scheint in
       der Frauenhandball-Bundesliga lange ein offenes Geheimnis gewesen zu sein.
       Welche Strukturen führen dazu, dass so etwas so lange geduldet wird? 
       
       Ich kann nur mutmaßen und denke, dass da vieles zusammengekommen ist. Oft
       gibt es bei Vereinen und Verantwortlichen den Gedanken: Solange etwas nicht
       strafrechtlich relevant ist, kann es auch nicht so schlimm sein. Aber es
       gibt ja auch unabhängig davon unzählige Formen von Gewalt. Außerdem kann
       ich mir vorstellen, dass auch das Geschlecht eine Rolle spielt. Dass die
       Beschwerden lange nicht ernst genommen wurden, hat sicher auch damit zu
       tun, dass es Frauen waren, die sich beschwert haben. Und zwar über Männer,
       die wiederum im Verein gut miteinander in Verbindung standen. Ich denke, es
       gab auch eine Art Kumpanei unter Männern.
       
       Was halten Sie davon, dass die Aufarbeitungskommission nach nur einem Monat
       wegen „persönlichen Differenzen“ wieder aufgelöst wurde? Welche Botschaft
       sendet das an Betroffene? 
       
       Ich weiß, dass es bei der Auflösung vor allem um inhaltliche Differenzen
       geht, nicht um persönliche. Dass so schnell klargeworden ist, dass es ein
       unterschiedliches Verständnis davon gibt, wie Aufarbeitung stattfinden
       soll, und der DHB direkt reagiert hat, ist erst mal positiv. Jetzt kommt es
       darauf an, wie und wann es mit einer neuen Kommission weitergeht. [3][Der
       DHB muss sich das Vertrauen der Betroffenen erarbeiten.]
       
       Welche Rolle spielt Geschlecht beim Thema Gewalt im Sport? 
       
       Auch in der Gesellschaft, außerhalb des Sports, ist es ja so, dass Männer
       häufig in Positionen mit Macht sind. Der Sport ist zusätzlich oft noch
       etwas traditioneller strukturiert. Der Anteil an Männern in
       Führungspositionen ist enorm groß. Das begünstigt eine ungleiche
       Machtverteilung. Auch bei uns haben sich bisher deutlich mehr Frauen
       gemeldet, die Gewalt erlebt haben, als Männer. Ich kann mir aber auch gut
       vorstellen, dass Männer Übergriffe seltener ansprechen und psychische
       Gewalt länger ertragen. Auch das wäre ja ein Resultat aus einem
       traditionellen Männlichkeitsbild.
       
       In dem Halbjahresbericht steht, dass die häufigste Gewalt, die dokumentiert
       wurde, psychische Gewalt war. Welche Rolle spielt die im Sport? 
       
       Es ist manchmal schwer, das abzugrenzen, denn es gibt diese Mentalität: Wer
       gewinnen will, muss auch leiden können. Es ist im Leistungssport natürlich
       tatsächlich so, dass nicht jedes Training Spaß macht. Aber das ist mit
       „psychischer Gewalt“ nicht gemeint. Gemeint ist damit eine ganze Stimmung,
       die aufgebaut wird, eine ganze Kultur, die gewalttätig ist. In der man
       kleingemacht wird, in der man sich nicht traut, etwas anzusprechen, weil
       einem gesagt wird, dass man sich nicht so anstellen soll. Im Sport
       herrschen oft noch alte Strukturen, die völlig überholt sind. Heute weiß
       man, dass ein positives Trainingsklima viel erfolgreicher sein kann als
       eine autoritäre Herrschaft von oben. Aber das ist einfach noch nicht
       überall angekommen.
       
       Sie kennen sich selbst gut im Leistungssport aus, denn Sie haben selbst in
       der Bundesliga Fußball gespielt. Hilft das bei der Arbeit in der
       Ansprechstelle? 
       
       Ja, man versteht vieles besser. Warum Sportler:innen zum Beispiel nicht
       einfach den Verein wechseln können, wenn es Probleme gibt. Denn auf einem
       hohen Leistungsniveau gibt es oft keine große Auswahl. Man versteht einfach
       besser, warum Sportler:innen sich das antun, wenn man selbst aus dem
       Umfeld kommt.
       
       Als Kind sind Sie außerdem selbst Betroffene von Gewalt im Sport geworden.
       Inwiefern prägt das Ihre Arbeit? 
       
       Wenn ich berate, denke ich natürlich nicht ständig daran. Aber ich kann gut
       verstehen, wie Muster bei traumatischen Erfahrungen entstehen und wieso man
       sich dann auf eine bestimmte Art verhält. Aber das können auch andere Leute
       lernen, die sich mit der Thematik auseinandersetzen. Meine Erfahrung hilft
       also schon, aber es ist nicht meine einzige Expertise.
       
       16 Jan 2023
       
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