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       # taz.de -- Geschlechtliche Selbstbestimmung: Schottland stimmt für Gender-Gesetz
       
       > Durch eine Reform sollen trans Personen einfacher ihr Geschlecht
       > angleichen können. Doch die britische Regierung will das Gesetz genau
       > prüfen.
       
   IMG Bild: Wollte die Gesetzesreform: Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon (Archivbild)
       
       London taz | Das schottische Nationalparlament hat für eine Reform des
       Gesetzes zur Geschlechteranerkennung gestimmt: den Gender Recognition
       Reform Bill. Am Donnerstagnachmittag beschloss es die neuen Regeln, die es
       zukünftig erleichtern sollen, den Geschlechtseintrag auf offiziellen
       Dokumenten zu ändern. Der Abstimmung ging eine lange Debatte voraus.
       
       Im Parlament in Edinburgh stimmten 86 Abgeordnete dafür und 39 dagegen. Es
       gab keine Enthaltungen. Das Gesetz [1][unterscheidet sich gravierend von
       denen der britischen Regierung]. In Zukunft können Menschen in Schottland
       ihr Geschlecht ohne ein psychiatrisches Gutachten für Geschlechtsdysphorie
       bestimmen.
       
       Außerdem wurde das Mindestalter von 18 Jahren auf 16 Jahre heruntergesetzt
       sowie der Mindestzeitraum ab Beginn der Transition von zwei Jahren deutlich
       reduziert auf drei Monate – für 16- und 17-Jährige auf sechs Monate. In
       Wales, England und Nordirland beträgt er weiterhin zwei Jahre.
       
       Die Entscheidung geht auf ein [2][Versprechen von Nicola Sturgeon] zurück,
       der schottischen Regierungschefin und Parteiführerin der [3][schottischen
       Nationalpartei (SNP)]. Vor der Abstimmung gab es zwei öffentliche
       Konsultationen, zu denen es etwa 30.000 Rückmeldungen gab. Zuletzt setzte
       sich das Hoylrood-Parlament in Edinburgh ganze zwei Tage mit dem Entwurf
       auseinander. 153 Änderungsanträge waren eingereicht worden.
       
       ## Streit mit Westminster
       
       Die Diskussion führte zu innerparteilichen Debatten im gesamten Parlament.
       Innerhalb der SNP trat sogar die Ministerin für Sicherheit in den Kommunen,
       Ash Regan, zurück. Joanna Cherry, eine SNP-Abgeordnete im Londoner
       Westminster-Parlament, behauptete, ihre Kolleg:innen im schottischen
       Parlament hätten Angst, sich gegen ihre Fraktion zu stellen.
       
       Das neue Gesetz könnte außerdem zu Konfrontationen mit der britischen
       Westminster-Regierung führen. Der Schottland-Minister in London, Alister
       Jack, kündigte bereits an, die britische Regierung werde die Reform auf
       Herz und Nieren prüfen. Falls sie gegen das Gesetz für alle Nationen des
       Vereinigten Königreichs verstoßen sollte, werde die britische Regierung die
       Reform stoppen.
       
       Entsprechend hat die schottische Regierung das Gesetz sorgfältig
       formuliert, um nicht in Konflikt mit Gesetzen Westminsters oder
       Verpflichtungen laut der europäischen Menschenrechtskonvention zu kommen.
       So wurde einem Änderungsantrag nicht zugestimmt, der allen Personen eine
       Änderung verwehrt hätte, gegen die ein Strafverfahren wegen Sexualdelikten
       läuft.
       
       Verurteilte Straftäter:innen werden nicht automatisch ausgeschlossen,
       wie in einem Änderungsantrag der konservativen Fraktion gefordert.
       Stattdessen stehen sie unter strengerer Beobachtung und Prüfung. So soll
       verhindert werden, dass das Gesetz missbraucht wird, um sich Zugang zu
       Frauenbereichen zu verschaffen, die besonders geschützt sind.
       
       ## Proteste vor und im Parlament
       
       Zahlreiche Frauenorganisationen hatten in den vergangenen Tagen vor und im
       schottischen Parlament demonstriert. Nachdem einige aus dem
       Zuschauer:innenbereich laut „Schande“ zu den
       Parlamentarier:innen riefen, wurden sie aus dem Gebäude entfernt.
       
       Einige Parlamentarier:innen, darunter die Vorsitzende der konservativen
       Fraktion Rachael Hamilton, trugen während der Debatte Kleidungsstücke in
       den [4][Farben der Suffragetten-Bewegung]. Die Suffragetten kämpften vor
       mehr als hundert Jahren für das Frauenwahlrecht. Bei der aktuellen Debatte
       im schottischen Parlament symbolisierten die Farben eine [5][kritische
       Haltung zur Selbstbestimmung von trans Personen].
       
       Rachael Hamilton bemängelte, die Gesetzgebung gewährleiste nicht genug
       Sicherheit für Frauen. Um zu belegen, dass sie keine Einzelmeinung
       vertrete, zitierte Hamilton eine YouGov-Umfrage aus den vergangenen Wochen,
       in der sich die Mehrheit schottischer Wähler:innen aller Parteien gegen
       die Reform aussprach.
       
       Schottlands Regierungschefin Sturgeon versicherte hingegen, dass die
       Rechtsgebung nicht zu größerer Gefahr für Frauen führe. Stattdessen gebe es
       durch sie neue Sicherheitsprüfungen, während gleichzeitig der
       stigmatisierten trans community das Leben etwas einfacher gemacht werde,
       indem sie sich nicht länger den einschneidenden, traumatisierenden und
       entmenschlichenden medizinischen Untersuchungen unterziehen müssten.
       
       Sturgeon sei eine Feministin, die alles tue, um Freiheitsrechte zu
       schützen. Die SNP-Ministerin für soziale Gerechtigkeit, Shona Robison,
       führte zudem aus, dass trans Frauen weiterhin von Bereichen ausgeschlossen
       werden könnten, die für Frauen reserviert seien. Das müsse allerdings
       rechtlich begründet und verhältnismäßig sein.
       
       23 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
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