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       # taz.de -- Berichterstattung über Iran: Es fehlt die linke Perspektive
       
       > Über die Proteste in Iran verfestigt sich ein liberales Bild: Im Kern
       > gehe es um individuelle Freiheiten. Das ist nicht falsch, aber
       > unvollständig.
       
   IMG Bild: Ein Polizeimotorrad brennt während eines Protestes gegen den Tod von Mahsa Amini im September 2022
       
       Wenn mich eines in den vergangenen Jahren geärgert hat, dann, dass linke
       und progressive Ideen in Deutschland wenig anschlussfähig sind. Es wundert
       mich also nicht, wenn in der Berichterstattung über Iran ein wesentlicher
       Aspekt kaum Beachtung findet: [1][Die Streiks der Arbeiter*innen].
       
       In einer Diktatur, in der unabhängige Gewerkschaften verboten sind, wie
       schon in der Schah-Zeit, gestaltet sich die Organisation unabhängiger
       Arbeiter*innen sehr schwierig. Treffen und Kommunikation finden
       heimlich statt. Als Gegenstück zur unabhängigen Organisation gibt es
       staatliche „Gewerkschaften“. In den Betrieben sind die Basidsch aktiv.
       Basidsch sind eine von Chomeini ins Leben gerufene paramilitärische
       Organisation von Freiwilligen als Teil der Revolutionsgarden mit
       zahlreichen Unterorganisationen. Sie unterdrücken die Opposition
       gewaltvoll. In den Betrieben beobachten sie ungewöhnliche Aktivitäten der
       Arbeiter*innen. Über Unliebsame werden Akten angelegt.
       
       Kommt es zu Protesten zum Beispiel für mehr Lohn, der in den vergangenen
       Jahren bei vielen Arbeiter*innen Monate zu spät oder gar nicht gezahlt
       wurde, werden sie als Unruhestifter*innen verhaftet, einige mussten
       das Land verlassen.
       
       Die wenigen westlichen Journalist*innen, die sich in Iran aufhalten dürfen,
       um ein bestimmtes Bild zu zeichnen – freie Berichterstattung ist verboten –
       beobachten die Lage meist von bestimmten Stadtteilen der
       Neun-Millionen-Stadt Teheran aus. Das ist aber je nach dem, von wo dort man
       berichtet, kein guter Gradmesser für die Einschätzung der Geschehnisse.
       Ebenso wenig taugen die Berichte von Verwandten, die einige
       Journalist*innen in der Diaspora im Westen wiedergeben und dabei zum
       Allgemeinplatz oder Politikum überhöhen, als verlässliche Quelle.
       
       ## Revolutionen sind nicht voraussehbar
       
       Was die wenigsten hierzulande wissen: Dass man es schon vor Beginn des
       revolutionären Prozesses in den reichen Vierteln Teherans mit dem Hidschab
       nicht so genau nahm. Es verfestigt sich ein Bild, wonach es bei den
       Protesten in Iran zentral um individuelle Freiheiten geht und gegen
       islamische Gesetze. Dass [2][die revolutionäre Bewegung] aber mindestens
       genauso für die Veränderung der materiellen Verhältnisse kämpft, ist den
       wenigsten klar.
       
       Revolutionen sind nicht voraussehbar. Die CIA hat Ende der 1970er ihre Hand
       dafür ins Feuer gelegt, in Iran würde keine passieren – und dann war sie
       da. Die Voraussetzungen in Iran sind alles andere als ideal, wie die
       Hinrichtungen und Repressionen zeigen. Streiks jedoch können revolutionäre
       Bedingungen begünstigen. In den kurdischen Städten hat man das verstanden
       und ist seit Jina Mahsa Aminis Tod am Streiken. Auch in Ölraffinerien und
       anderen Branchen wird gestreikt.
       
       Wenn gesellschaftsliberale Expert*innen dies analysieren, dann betonen
       sie den Status der Streikenden als ethnische Minderheit. Das ist nicht
       falsch. Aber dabei wird ihre ebenso revelante Armut außen vorgelassen. Es
       sind auch die armen Regionen Irans, wo das Regime hart zuschlägt. Linke
       Perspektiven könnten diese Aspekte einordnen. Sie wären in der Lage, die
       Ereignisse in Iran auch als Klassenkämpfe zu sehen – welche für
       revolutionäre Prozesse essenziell sind. In den Medien fehlt diese
       Perspektive derzeit schmerzlich.
       
       1 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Amina Aziz
       
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