URI: 
       # taz.de -- Strafen für Klimaschützer in Australien: 24 Minuten Blockade, 15 Monate Haft
       
       > Australische Bundesstaaten gehen mit drakonischen Strafen gegen
       > Klimaproteste vor. Doch die Bundesregierung bemüht sich, beim Klimaschutz
       > aufzuholen.
       
   IMG Bild: Harte Gangart: Polizisten vertreiben KlimaaktivistInnen in Sydney
       
       Sydney taz | Es waren 24 Minuten, die Deanna ‚Violet‘ Coco die Freiheit
       kosteten. So lange blockierte die 31-Jährige im April gemeinsam mit zwei
       weiteren Demonstranten eine Fahrspur auf der Hafenbrücke von Sydney. Autos
       hupten, Fahrer schimpften und spuckten die mit Transparenten und einer
       Signalrakete ausgerüsteten Aktivisten an. Alltag für die erfahrene
       [1][Klima]schützerin: Coco hatte schon mehrfach gegen die ihrer Ansicht
       nach ungenügenden Maßnahmen von Politik und Politikern gegen die globale
       Erhitzung protestiert. Doch dann kam die Polizei und führte die drei ab.
       
       „Diese Klima- und Umweltkrise wird schon bald zum Aussterben von Tier- und
       Pflanzenarten führen, zu Nahrungsmittelknappheit, einem Anstieg des
       Meeresspiegels und extremen Wetterbedingungen. Sie wird jeden Aspekt des
       Lebens, wie wir es kennen, bedrohen“, warnte Coco später in einem vom
       Online-Magazin Crikey veröffentlichten Schreiben. Der Artikel war mit einer
       ominösen Bemerkung versehen: „Wenn Sie das lesen, bin ich wegen eines
       friedlichen Protests zum Schutz der Umwelt ins Gefängnis geschickt worden.“
       
       Tatsächlich hatte ein Gericht in Sydney die junge Frau zuvor zu einer
       Strafe von 15 Monaten Haft verurteilt. Die Richterin des Bundesstaates New
       South Wales (NSW) warf Coco eine „emotionale Reaktion“ auf die
       Klimaveränderung und eine „kindische Aktion“ vor. Sie lehnte wie sonst nur
       bei Gewaltverbrechern eine Freilassung gegen Kaution ab. Erst knapp zwei
       Wochen später war ein Wiedererwägungsgesuch erfolgreich. Coco ist nun bis
       zu einem Berufungsverfahren im März vorläufig auf freiem Fuß.
       
       Die Härte der Bestrafung hat nicht nur RechtsexpertInnen alarmiert, sondern
       sogar die Vereinten Nationen auf den Plan gerufen. Clément Voule, der
       UN-Sonderberichterstatter für Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit,
       erklärte online: „Ich bin beunruhigt über die Haftstrafe, die ein
       NSW-Gericht gegen die Klimaschützerin Deanna Coco verhängt hat, und über
       die Weigerung, eine Kaution bis zu einer Berufungsverhandlung im März 2023
       zu gewähren.“ Friedliche Demonstranten sollten „niemals kriminalisiert oder
       inhaftiert werden“, so der Delegierte.
       
       Die Verhaftung und Inhaftierung von Deanna Coco ist kein Einzelfall. So
       sollen in Australien mindestens ein Dutzend Klimaaktivisten auf ihren
       Termin vor dem Richter warten. Bürgerrechtsbewegungen melden einen
       „explosionsartigen Anstieg der Verabschiedung von Gesetzen, die gezielt
       friedliche Proteste für mehr und sofortigen Klimaschutz unter Strafe
       stellen“. Gleichzeitig versucht der im Mai gewählte Labor-Premierminister
       Anthony Albanese, nach zehn Jahren einer klimaskeptischen konservativen
       Regierung die Glaubwürdigkeit Australiens auf dem internationalen Parkett
       wiederherzustellen. Nicht nur hat das Land seine Klimaziele marginal
       verbessert, Canberra rief jüngst eine neue Umweltbehörde ins Leben.
       
       Einer der größten Kritiker der Gesetzesinflation in den Bundesstaaten ist
       Bob Brown, Gründer der Grünen Partei und Urvater der Umweltproteste in
       Australien. Im Moment steht der 77-Jährige selbst wieder vor Gericht – auch
       ihm droht wegen eines Protestes Haft. Im Verlauf von 40 Jahren Aktivismus
       auf der Insel Tasmanien hat Brown schon Monate im Gefängnis verbracht. In
       den achtziger Jahren habe er geglaubt, sein Kampf zum Schutz von Urwäldern,
       gegen den Bau von Staudämmen und zur Erhaltung von Ökosystemen habe eine
       „neue Welle des Umweltaktivismus ausgelöst, der nie mehr so hart sein wird
       wie damals“, meint Brown. „Ich lag völlig falsch.“
       
       In allen großen Bundesstaaten hat sich das Klima für Klimaschützer deutlich
       verschärft. In New South Wales, das von einer konservativen Koalition
       regiert wird, wurde die Sorge wegen Verkehrsbehinderungen nach
       Klimaprotesten in Sydney Anfang des Jahres genutzt, um zweijährige Haft-
       und Geldstrafen von 22.000 Dollar (14.000 Euro) für „illegale Proteste“
       einzuführen. Die Gesetze, die gewaltfreie Aktionen auf Bahnstrecken,
       Brücken, Tunneln und öffentlichen Straßen unter Strafe stellen, wurden in
       Rekordzeit mit Unterstützung der Labor-Opposition verabschiedet. Wenige
       Wochen zuvor hatte die Regierung ein „hartes Durchgreifen gegen
       Umweltschützer“ angekündigt.
       
       Zwar zielt das Gesetz laut Generalstaatsanwalt Mark Speakman auf
       „anarchistische Demonstranten“ ab. Doch „da die Bestimmungen so locker
       formuliert und so ungenau sind, können die Gesetze auf fast jede Situation
       angewendet werden, in der sich Menschen auf einer Straße aufhalten“, sagt
       der Rechtsanwalt Mark Davis, der Coco vor Gericht vertritt. Das Gesetz gebe
       „der Polizei einen unbegrenzten, völlig willkürlichen Ermessensspielraum,
       jeden auf einer Straße zu verhaften, der gegen irgendetwas protestiert,
       nicht nur gegen das Klima“, so Davis.
       
       In den von Labor regierten Bundesstaaten Victoria und Queensland sieht die
       Situation nicht besser aus. Im August hat sich die konservative Opposition
       in Victoria mit der progressiven Regierung von Premier Daniel Andrews
       zusammengetan, um ähnliche Gesetze zu verabschieden. Die Politik setzte
       sich damit über schwere Bedenken von Bürgerrechtsgruppen, Gewerkschaften
       und Umweltschützern hinweg. Schon vor drei Jahren hatte die Labor-Regierung
       von Queensland im Eiltempo weitreichende Einschränkungen des Rechts auf
       Protest durchgesetzt, die mit nicht belegten Behauptungen über
       „extremistisches“ Verhalten von Umweltschützern begründet wurden. Die
       daraus resultierende Gesetzgebung erweitertet die polizeilichen
       Durchsuchungsbefugnisse und kriminalisiert „gefährliche Sicherungsmittel“.
       Dazu gehört auch Sekundenkleber, den Aktivisten verwenden könnten, um sich
       an Gehsteigen oder Gebäuden zu befestigen.
       
       ## Abhängig von Steuern der Klimakiller
       
       Kritiker wie Bob Brown meinen, die Regierungen der Bundesstaaten würden auf
       Druck der Wirtschaft mithilfe der Gesetze versuchen, abweichende Meinungen
       zu unterdrücken. Die Steuerkassen aller drei großen Bundesländer sind stark
       von klimabelastenden Branchen abhängig – Kohle und Gas, Holz- sowie
       Schwerindustrie.
       
       Zumindest in einigen Fällen scheint aber auch Ideologie die treibende Kraft
       hinter der Verfolgung gewaltfreier Protestierender zu sein. Der als
       neoliberal geltende Premier von NSW, Dominic Perrottet, bezeichnete die
       Inhaftierung von Deanna Coco als „erfreulich“. „Wenn Demonstranten unsere
       Lebensweise gefährden wollen, dann sollten sie mit der vollen Härte des
       Gesetzes dafür bestraft werden“, so der konservative Politiker.
       
       Bürgerrechtler und führende Akademiker sehen in den Maßnahmen eine
       Unterwanderung des Rechts auf Protest. Der Physiker und
       Klimawissenschaftler Bill Hare verurteilte Perrottets Erklärung auf Twitter
       als eine der „regressivsten, antidemokratischsten Äußerungen“, an die er
       sich in Australien „seit Langem“ erinnern könne. Hare – Co-Autor des
       Vierten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC – fügte hinzu, dass die
       durch Proteste verursachten „Unannehmlichkeiten nicht mit den
       katastrophalen Risiken für die Umwelt und den schweren Schäden für unsere
       Lebensweise vergleichbar sind, die durch die Emissionen fossiler
       Brennstoffe verursacht werden“.
       
       8 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Urs Wälterlin
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Australien
   DIR Schwerpunkt Klimaproteste
   DIR Meinungsfreiheit
   DIR klimataz
   DIR Mexiko
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR CO2-Emissionen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nachruf: Er war der organisierten Kriminalität im Weg
       
       Eine Woche kämpften Ärzte um sein Leben, nun ist der mexikanische Umwelt-
       und Menschenrechtsaktivist Marco Antonio Suástegui gestorben.
       
   DIR Proteste gegen Autobahnbau in Frankfurt: Fechi und Lützi sollen bleiben
       
       Eine geplante Autobahn durch den Fechenheimer Wald sorgt in Frankfurt für
       Proteste. Wie in Lützerath Enttäuschung über die Grünen.
       
   DIR Aussagefähigkeit von Klimamodellen: Es ist heiß in Mordor
       
       Wissenschaftliche Modelle prognostizieren das Klima. Auch das von
       Mittelerde wurde schon modelliert. Alles hilfreich, aber leider selten
       eindeutig.
       
   DIR CO₂-Bilanz von veganem Essen: Veganuary lohnt sich
       
       Den Januar nutzen viele, um vegane Ernährung auszuprobieren. Diese hat
       nicht nur niedrigere Emissionen, sondern trägt auch zur CO₂-Bindung bei.