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       # taz.de -- Filmreihe über Dokumentarfilmer: Der Mensch als Stilbruch
       
       > Natur und Landschaft in extrem stilisierten Schwarzweig-Bildern: die
       > Reihe „Alfred Ehrhardt – Der filmende Bauhäusler“ im Hamburger
       > Metropolis-Kino.
       
   IMG Bild: Alfred Ehrhardt bei Filmaufnahmen
       
       Bremen taz | Die Spiralen in Muschelhäusern, die Verzweigungen und Knospen
       von Korallen, die Wellenlinien im Wattsand, Ströme glühender Lava und
       Muster im Gletschereis: Das ist, was [1][Alfred Ehrhardt] in seinen
       Kurzfilmen in Szene gesetzt hat. Menschen kamen in ihnen kaum vor – mal als
       kleine Punkte an einem isländischen Geysir, mal als eine entfernte
       Kutschenladung bei einer Watttour am Nordseestrand. Sie wirken wie
       Stilbrüche in den kalten, in sich perfekten Formenwelten, die Ehrhardt
       abbilden wollte.
       
       So ist er bis in die 1970er-Jahre [2][ein Bauhäusler geblieben], einer, der
       die Reduktion auf Formen zum Ziel seiner Kunst machte. Tatsächlich hatte er
       Ende der 1920er ein Jahr lang in Dessau studiert. Er war in die Malklasse
       von Paul Klee gegangen und freundete sich mit Wassily Kandinsky an. Als
       Maler aber stellte er nur ein einziges Mal in seinem Leben aus, 1931 in der
       Kunsthalle Hamburg.
       
       Als „kulturbolschewistischer“ Künstler bekam er dann 1933 ein Berufsverbot
       und arbeitete als Organist und Chorleiter in Cuxhaven. Dort entdeckte er
       das Wattenmeer als eines seiner wichtigsten Motive – nicht mehr als Maler,
       sondern als Fotograf und Filmemacher.
       
       „Urkräfte am Werk“ nannte er 1937 seinen ersten knapp 20-minütigen
       Dokumentarfilm, in dem Sand, Wind und Wellen die Hauptrolle spielten. Aber
       es gab darin auch noch eine niedliche Einstellung von einem kleinen Jungen,
       der sein Holzmodell-Boot in einem Priel schwimmen lässt.
       
       ## Auch Nazikitsch wurde hocgespühlt
       
       Seinen Stil hatte Ehrardt damals also noch nicht gefunden. Doch immerhin
       war er schon so erfolgreich, dass er 1941 seinen in Island gedrehten Film
       „Nordische Urwelt“ in die Kinos bringen konnte. Ja, da wird im Erzähltext
       und mit der pathetischen, spätromantischen Musik auch Nazikitsch
       hochgespült. Aber ein faschistischer Künstler war Ehrhardt nun überhaupt
       nicht. Stattdessen waren die 1950er-Jahre seine Blütezeit. Damals
       entwickelte er seinen Stil und als ein Vertreter der modernen Kunst der
       frühen Nachkriegszeit war er damit ganz auf der Höhe der Zeit.
       
       Schon 1948 gründete er die Produktionsfirma „[3][Alfred-Ehrhardt-Film]“,
       mit der er bis 1973 etwa 60 sogenannte Kulturfilme drehte. Am besten war er
       immer dann, wenn er zeigte und nicht belehrte. Da feierte er die Schönheit
       von Natur und Landschaft in extrem stilisierten Bildern – meist in
       Schwarz-Weiß. Drei dieser Filme über Muscheln und Korallen werden bei der
       Gala zum 20-jährigen Bestehen der Alfred-Ehrhardt-Stiftung am Dienstag im
       Hamburger Metropolis-Kino von der Musikgruppe „Adventure Trio of Formal
       Excitement“ neu vertont.
       
       Zumindest bei dem Film „[4][Korallen – Skulpturen der Meere]“ aus dem Jahr
       1964 wäre dies ein Sakrileg, wenn er nicht bei der zweiten gezeigten
       Filmauswahl am 17. 1. noch einmal mit der Originalmusik gezeigt würde.
       Diese wurde von Oscar Sala komponiert und auf dem von ihm und dem Ingenieur
       Friedrich Trautwein 1930 entwickelten Trautonium eingespielt. Dieses frühe
       elektronische Instrument und sein einziger Virtuose sind berühmt: Sala
       produzierte darauf 1963 die Musik für Alfred Hitchcocks Film „Die Vögel“.
       
       Auch musikalisch war Ehrhardt da also ganz auf der Höhe seiner Zeit. Auch
       in einigen seiner anderen Filme ist die Musik moderner Komponisten zu
       hören, meist aber hat er sich an Klassiker wie Bach, Tschaikowski oder
       Bruckner gehalten. Das klingt manchmal ein wenig pathetisch, aber
       altmodisch wirken Ehrhardts Filme erst, wenn in ihnen gesprochen wird.
       
       ## Sehen, sehen und noch einmal sehen
       
       So endet sein Film „Kunst unserer Zeit 2“ über die zweite Documenta mit dem
       Satz: „Es ist nicht schwer, solche Kunst zu verstehen. Das einzige Rezept
       heißt: sehen, sehen und noch einmal sehen.“ Solche Stilblüten klingen heute
       unfreiwillig komisch, was den völlig humorlosen Ehrhardt – so einige seiner
       vom Kuratoren Thomas Tode befragten Mitarbeiter*innen – wohl tief
       getroffen hätte.
       
       Sein Sohn Jens Ehrhardt kann dagegen hoffentlich mitlachen. Er gründete vor
       20 Jahren die Alfred-Ehrhardt-Stiftung, deren Hauptaufgabe darin besteht,
       die Werke seines Vaters zu digitalisieren und zu restaurieren. Eine Auswahl
       der Film, die so wieder öffentlich zugänglich gemacht werden, zeigt das
       Metroplis im Januar. Interessant ist dabei der letzte Abend am 31. Januar:
       „Islands Aggregatzustände“ mit Filmen, die Ehrhardt bei seinen Reisen auf
       seine Lieblingsinsel gemacht hat.
       
       Hier feiert er „Eis und Feuer“ ähnlich leidenschaftlich wie später Werner
       Herzog. Aber diesen Kommentarsatz wird der Fantasy-Autor George. E. Martin
       wohl kaum bei Ehrhardt geklaut haben, als er seinen Romanzyklus, der dann
       als „Game of Thrones“ verfilmt wurde, „A Song of Ice and Fire“ nannte.
       
       15 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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