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       # taz.de -- Mindestens fünf Tote in Kabul: Wie die Taliban, nur extremer
       
       > In Afghanistan verübt der lokale Ableger des „Islamischen Staats“ erneut
       > einen blutigen Anschlag. Der Gruppe sind die Taliban nicht konsequent
       > genug.
       
   IMG Bild: Ein Mitglied der Taliban-Sicherheitskräfte in der Nähe des Außenministeriums nach dem Anschlag
       
       Berlin taz | Der Angreifer hatte sich die Feierabendzeit für seinen
       Anschlag ausgesucht. Kurz vor 16 Uhr Ortszeit sprengte er sich am Mittwoch
       an einem Seiteneingang des Kabuler Außenministeriums in die Luft, nachdem
       er vergeblich versucht hatte, mit einer Tasche und einer umgehängten
       Schusswaffe in das Gebäude zu gelangen. So schilderte es ein Augenzeuge
       gegenüber afghanischen Medien.
       
       Bei dem Anschlag starben nach Taliban-Angaben mindestens fünf Menschen.
       [1][Der „Islamische Staat – Provinz Chorasan“ (ISKP)], der in Afghanistan
       und Pakistan aktive regionale Ableger des weltweit terroristischen
       Netzwerks IS, bekannte sich zu dem Anschlag und behauptete, dabei seien 20
       Menschen getötet worden.
       
       Frühere Mitarbeiter des Ministeriums, die nun im Exil leben, posteten Fotos
       umgekommener Kollegen in sozialen Medien, was auf eine höhere Zahl von
       Toten hindeutet.
       
       Stefano Sozza, Landesdirektor der italienischen Nichtregierungsorganisation
       Emergency, die in Kabul das größte Hospital für Kriegsopfer betreibt,
       sagte, man habe über 40 Verletzte des Anschlags aufgenommen. Es sei „der
       erste Angriff 2023 mit Massenopfern“, sagte er, und „sicher der mit den
       meisten Patienten seit Anfang 2022“.
       
       ## ISKP geht auch gegen Taliban-Verbündete vor
       
       Allerdings hatte ISKP sich auch zu einen [2][Anschlag] am 1. Januar am
       Eingang zum militärischen Teil des Kabuler Flughafens bekannt, der zu einer
       unbekannten Zahl von Opfern geführt hatte.
       
       ISKP verübt seit der [3][Machtübernahme der Taliban] immer wieder Anschläge
       auf deren Strukturen und Sicherheitskräfte. Die Gruppe wirft den Taliban
       vor, nicht konsequent genug die Errichtung eines islamischen Systems zu
       betreiben und um internationale Anerkennung zu buhlen.
       
       Zuletzt ging ISKP auch gegen die internationalen Hauptverbündeten der
       Taliban vor. Im Dezember versuchte die Gruppe, den Geschäftsträger der
       pakistanischen Botschaft in Kabul zu ermorden. Im selben Monat stürmten
       ISKP-Kämpfer ein Kabuler Hotel, in dem chinesische Geschäftsleute wohnten
       und verletzen fünf von ihnen.
       
       Im September sprengte sich ein IS-Kämpfer vor der russischen Botschaft in
       die Luft und tötete zwei Zivilisten und zwei russische Mitarbeiter.
       Hauptangriffsziele bleiben jedoch die große schiitische und andere
       religiöse Minderheiten.
       
       ## Unterstützung erhält ISKP aus Pakistan
       
       ISKP verfügt über keine nennenswerte soziale Basis im Land mehr, seit die
       Gruppe salafistische Dorfgemeinschaften in Teilen Ostafghanistans durch
       eine mehrjährige Schreckensherrschaft so sehr gegen sich aufgebracht hatte,
       dass diese die Taliban und die Truppen der damaligen Regierung zu Hilfe
       riefen.
       
       In koordinierten Offensiven verdrängten die beiden eigentlich verfeindeten
       Parteien ISKP aus ihren Basen in den Provinzen Kunar und Nangrahar.
       Allerdings verfügt die Gruppe offenbar weiterhin über Rückzugsgebiete in
       entlegenem Gebirgstälern in dieser Region.
       
       Unterstützung erhält sie zudem offenbar durch militante antischiitische
       [4][Gruppen aus Pakistan], die seit Jahrzehnten im Grenzgebiet operieren.
       
       Größter Rekrutierer dürfte allerdings die Gewalt des Regimes gegen den
       islamistischen Kontrahenten sein. Die Taliban gehen systematisch gegen das
       Milieu vor, das mit ISKP sympathisiert, salafistische Prediger, Moscheen
       und Gemeinden in Afghanistans Städten, darunter Kabul. Dabei kam es auch zu
       Gruppenhinrichtungen.
       
       ## Brutalität führt zu weiterer Brutalität
       
       Ähnlich rekrutierten schon [5][die Taliban], wie die westlichen Truppen und
       ihre afghanischen Verbündeten in ihrem 20-jährigen Krieg erfahren mussten.
       Die unter Präsident Barack Obama und der damaligen Außenministerin Hillary
       Clinton begonnene US-Kampagne zur „Enthauptung“ der Taliban durch Tötung
       zielte nicht nur auf Taliban-Führer ab, sondern auch auf die zweiten und
       dritten Reihen.
       
       Das sorgte nicht nur für neuen Zulauf, sondern es entstand eine neue
       Generation von Kämpfern mit antiwestlicher Radikalisierung. Das könnte sich
       jetzt wiederholen – wenn auch in einer Miniaturvariante.
       
       12 Jan 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Ruttig
       
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