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       # taz.de -- Mona Neubaur über Lützerath: „Es braucht die Kohle“
       
       > Die Räumung des Dorfs schmerze, sagt die grüne Klimaschutzministerin von
       > NRW, Mona Neubaur, im Interview. Aber der RWE-Deal diene dem größeren
       > Wohl.
       
   IMG Bild: Folgenreicher Deal mit RWE: Mona Neubaur, grüne Ministerin für Wirtschaft und Klimaschutz in NRW
       
       taz: Frau Neubaur, [1][Lützerath wird seit Mittwochmorgen geräumt] – wie
       von Ihnen und dem grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit RWE
       vereinbart. Sind Sie zufrieden? 
       
       Mona Neubaur: Wir leben in einem Rechtsstaat. Und in dem gilt, was Gerichte
       ausgeurteilt haben: RWE hat das letztinstanzlich bestätigte Recht, auf
       Lützerath und die Kohle darunter zuzugreifen. Trotzdem [2][konnten wir
       erreichen, dass der Kohleausstieg in NRW um acht Jahre auf 2030 vorgezogen
       wird], dass fünf Dörfer erhalten und dass rund 280 Millionen Tonnen Kohle
       unter der Erde bleiben. Aber klar, die Bilder aus Lützerath bewegen mich
       natürlich, das ist doch gar keine Frage.
       
       Nicht nur Klimaaktivist:innen, auch die Grüne Jugend und Grünen-Abgeordnete
       argumentieren, die Kohle unter Lützerath werde gar nicht gebraucht. Haben
       Sie sich von RWE über den Tisch ziehen lassen? 
       
       Wir haben mehrere unabhängige Sachverständige prüfen lassen, ob der Erhalt
       von Lützerath möglich, ob die Verstromung der darunterliegenden Kohle
       wirklich nötig ist. Das Ergebnis ist: Der russische Angriff auf die
       Ukraine, der Zwang, ohne russisches Gas auskommen zu müssen, erfordert
       Dinge, die ich als grüne Ministerin nicht gerne tue – das können Sie mir
       glauben. Trotzdem: Um die Energieversorgung Nordrhein-Westfalens und
       Deutschlands zu sichern, müssen wir kurzfristig mehr Braunkohle verstromen.
       Dafür braucht es die Kohle unter Lützerath in den kommenden ein bis zwei
       Jahren.
       
       Trotz der drohenden Klimakatastrophe? 
       
       Der Tagebau Garzweiler wird um die Hälfte verkleinert, das ist für den
       Klimaschutz ein sehr gutes Ergebnis. Damit bleiben rund 280 Millionen
       Tonnen Kohle in der Erde, werden 280 Millionen Tonnen klimaschädliches
       Kohlendioxid weniger ausgestoßen. Dazu kommt: Vor dem Abriss gerettet
       werden auch fünf Dörfer und drei Feldhöfe. Im rheinischen Revier verliert
       damit niemand mehr seine Heimat.
       
       Die grüne Landtagsabgeordnete Antje Grothus rechnet vor, im schon
       bestehenden Tagebau Garzweiler lägen noch 115 Millionen Tonnen Kohle. Dazu
       kämen weitere 45 Millionen Tonnen im sogenannten Südfeld neben Lützerath –
       und mehr als 30 Millionen Tonnen jährlich kann RWE in Garzweiler überhaupt
       nicht fördern. 
       
       Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben mit dem
       Kohleverstromungsbeendigungsgesetz beschlossen, unter anderem zwei Blöcke
       des Kraftwerks Neurath länger im Markt zu lassen. Damit die laufen können,
       müssen wir die Kohle unter Lützerath, die sich in besonderem Maße eignet,
       verfügbar machen.
       
       Noch einmal: Warum wird Lützerath geräumt, wenn die vorhandenen Vorräte
       auch ohne Zerstörung des Dorfes noch für fünf Jahre reichen? 
       
       Wie die Bundesregierung haben auch wir in Nordrhein-Westfalen gerade in den
       aktuellen Krisenzeiten die sichere gesamtwirtschaftliche Energieversorgung
       ganz Deutschlands im Blick. Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die
       Ukraine mussten wir so schnell wie möglich von russischem Gas unabhängig
       werden. Gleichzeitig wollen wir die letzten drei deutschen Atomkraftwerke
       abschalten. Unabhängige Sachverständige sagen uns, dass wir deshalb leider
       für kurze Zeit zusätzlichen Braunkohle-Strom ins Netz geben müssen.
       
       Vom letzten Herbst aus gesehen ist das verständlich. Jetzt aber sind die
       Gasspeicher voll und Stromausfälle nicht in Sicht. Wäre es politisch nicht
       klüger gewesen, die Räumung abzublasen? 
       
       Es ist einfach nicht seriös, sich darauf zu verlassen, dass dieser Winter
       schön mild bleiben wird und den kommenden dabei aus den Augen verlieren.
       Wir müssen einfach das Worst-Case-Szenario im Blick haben – also
       Energiesicherheit auch ohne russisches Gas, auch bei einem harten
       Temperatursturz und leeren Gasspeichern. Gleichzeitig tun wir alles, die
       Braunkohleverstromung so schnell wie möglich zu reduzieren und die fossilen
       Energieträger am besten noch vor 2030 aus dem Markt zu verdrängen. Deshalb
       bauen wir die Erneuerbaren massiv aus, etwa durch die Schaffung neuer
       Flächen für Windräder und Solarkraft.
       
       Wenn Ihre Argumente alle so schlüssig sind – warum muss Lützerath dann von
       mehr als 1.000 Polizist:innen geräumt werden? 
       
       Die Proteste in Lützerath sind selbstverständlich legitim, solange sie
       friedlich sind. Aber noch mal: Die Rechtslage ist eindeutig. Damit die
       Räumung besonnen und sicher ablaufen kann, braucht es leider viele
       Polizist:innen.
       
       Bei [3][der Räumung des Hambacher Walds hat es einen Toten] und Verletzte
       gegeben. Fürchten Sie, dass die Situation auch in Lützerath eskaliert? 
       
       Wichtig ist, dass sowohl die Besetzer:innen als auch die
       Polizist:innen besonnen bleiben, damit möglichst niemand zu Schaden
       kommt.
       
       Wie lange wird die Räumung noch dauern? Setzt die Polizei alles daran, die
       Klimaaktivist:innen noch vor der für Samstag angekündigten
       Demonstration zu vertreiben? 
       
       Fragen zur Einsatztaktik müssen Sie der Polizei stellen.
       
       Zu der Großdemo wird nicht nur Klima-Ikone Greta Thunberg erwartet – auch
       200 Prominente aus dem Kulturbereich fordern einen Räumungsstopp und eine
       Neubewertung der Verträge mit RWE. Wie sehr schadet Lützerath dem Image der
       Grünen? 
       
       Natürlich ist es schmerzhaft, die aktuellen Proteste zu sehen. Deshalb
       müssen wir Grüne noch deutlicher herausstellen, was die Vereinbarung ganz
       konkret bedeutet: Durch den um acht Jahre vorgezogenen Kohleausstieg
       bleiben mindestens 280 Millionen Tonnen Kohle im Boden und verhindern wir
       die Zerstörung von fünf Dörfern. Aber natürlich brauchen wir die
       Unterstützung der Klimabewegung, die für erneuerbare Energien, für mehr
       Klimaschutz streitet – so wie es die Aktivist:innen von Fridays for
       Future gerade zu Beginn getan haben. Klimaschutz ist Menschheitsaufgabe,
       sie betrifft uns alle.
       
       In NRW stehen die nächsten Landtagswahlen erst 2027 an. In Berlin wird
       dagegen am 12. Februar gewählt. Fürchten Sie dort keine Stimmenverluste für
       die Grünen? 
       
       Wir werden als Grüne gemeinsam weiter hart für echten Klimaschutz arbeiten.
       Deshalb gibt es auch in Berlin für alle, die möglichst viel Klimaschutz
       wollen, die sich eine Mobilitätswende, eine Wärmewende wünschen, nur ein
       Angebot – und das sind die Grünen.
       
       [4][Grüne wie die Leverkusener Bundestagsabgeordnete Nyke Slawik erklären
       dagegen], die Räumung habe sie von den Grünen entfremdet. Wird die
       Braunkohle zur Zerreißprobe für die Partei? 
       
       Natürlich bewegt es Grüne angesichts der Klimakrise, Maßnahmen wie die
       temporäre Zuschaltung von Braunkohlekapazität zu ermöglichen. Das macht
       niemand mit Lächeln und Leichtigkeit. Trotzdem dürfen wir nicht in die
       Situation kommen, dass Unternehmen Arbeitsplätze streichen, weil die
       Energiesicherheit nicht mehr gegeben ist oder es zu sozialen Verwerfungen
       kommt. Wir müssen die Transformation zu mehr Klimaschutz ohne große Brüche
       hinbekommen – das wissen wir als Grüne.
       
       Noch einmal ganz persönlich: Sie haben selbst jahrelang gegen die
       Braunkohle gekämpft. Jetzt sind Sie das Feindbild der Klimabewegung. Wie
       fühlt sich das an? 
       
       Als ich mein Amt als Ministerin angetreten habe, war mir klar, dass ich
       Verantwortung übernehmen und auch schwierige Entscheidungen treffen muss –
       sich davor zu drücken, dafür bin ich nicht der Typ.
       
       13 Jan 2023
       
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