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       # taz.de -- Im griechischen Urlaubsort bleiben: Olymp schmeckt nur in kleiner Dosis
       
       > In einem nordgriechischen Bergdorf steht die Zeit still. Die
       > Gesprächsthemen sind tiefgehend, Fürsorge selbstverständlich. Aber hier
       > für immer bleiben?
       
   IMG Bild: Blick auf das Kloster von Agios Dimirios in Kamarina und dem Denkmal von Zalongo
       
       Als ich an diesem stillen Morgen aus der Tür trete und über endlose
       bewaldete Hügel auf das Meer am Horizont schaue, überlege ich, wie es wäre,
       hier zu bleiben. Sich niederzulassen. Kamarina, ein Dorf mit ein paar
       hundert Seelen [1][in der nordgriechischen Region Epirus], hat eine
       unwirkliche Magie. Auf einem Bilderbuchplateau gelegen, wirkt es nicht
       provinziell, sondern wie eine irdische Fassung des Olymps; eine andere
       Welt, ohne Lebensmittelgeschäfte und nur durch einen täglichen Bus mit der
       Erde verbunden.
       
       Kamarina ist ein Ort, wo einen die Nachbarin des Airbnb mit Geschenken
       überhäuft, mit selbstgebackenem Kuchen und Brot, selbstgemachten Teig- und
       Süßspeisen, mit Obst, Eiern und Fisch. Ihre alte Mutter lädt uns ein und
       wir sitzen stundenlang im Garten, mit Händen und Füßen und dem Englisch der
       Tochter übers Leben redend, während die Zeit stillsteht.
       
       Wir sind zufällig in Kamarina gelandet, genauer gesagt: haben uns zuletzt
       fast auf allen vieren dorthin geschleppt. Direkt nebenan liegt die antike
       Stätte Cassope, und weil wir eine Art Antike-Stätten-Mottowanderung machen,
       bot sich Kamarina zum Übernachten an. Rund 40 Kilometer vom Ausgangsort
       über teils ordentlich Höhenmeter – ach komm, das passt schon. Das erste
       Drittel ist toll, das zweite funktionales Vorankommen, das dritte pure
       Qual. Ich ahnte nicht, dass ein Körper so viele Facetten von Schmerz und
       völliger Erschöpfung ausdrücken kann. Als wir in der Dunkelheit nach
       Kamarina hineinstraucheln, erkennt die Restaurantwirtin sogleich die Lage
       und telefoniert. Die nette Nachbarin des Airbnb holt uns die letzten Meter
       mit dem Auto ab.
       
       Die warmherzige Frau hat zwischenzeitlich in der Großstadt gelebt, aber sie
       ist nach Kamarina zurückgekehrt. Hier sei das Leben gut, sagt sie. Das ist
       ihr wichtiger als Karriere. Die alte Mutter [2][hat in Australien] und
       Deutschland gearbeitet, auch sie kehrte zurück. Und ich verstehe gut,
       warum. Viel wird selbst angebaut, die Gesprächsthemen sind tiefgehend,
       Fürsorge selbstverständlich, Eile gibt es nicht. Alles hat Zeit. Ist das
       das Paradies?
       
       Und doch bin ich nach ein paar Tagen nicht böse, als wir weitergehen. Jeden
       Tag in friedlicher Harmonie bei Nachbar:innen im Garten zu verbringen,
       abgekapselt von der Außenwelt: Das ist auch erdrückend. Es fehlt die
       Dynamik, der Konflikt, und das Meer am Horizont mag ein schöner Anblick
       sein, aber schöner noch ist es, ihn zu erweitern. Der Olymp schmeckt nur in
       kleiner Dosis.
       
       Der Abschied von der Nachbarin und der alten Mutter ist emotional. Sie
       laden uns ein, mit mehr Zeit wiederzukommen. Und wir nehmen es uns fest
       vor. Aber wenn ich eines vom Reisen gelernt habe, dann, dass solche
       Vorsätze fast immer am nächsten Ortsrand zerschmelzen.
       
       15 Jan 2023
       
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