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       # taz.de -- Ausstellung über Musik und Kunst: Töne sehen, Farben hören
       
       > „Broken Music Vol. 2“ im Hamburger Bahnhof Berlin widmet sich dem
       > Verhältnis von Bildender Kunst und Musik. Und erinnert an einen
       > Plattenladen.
       
   IMG Bild: Hans Peter Kuhn, „gelbe MUSIK“ (1998) Installation Außenansicht
       
       Klänge sind immer flüchtig, daher sind sie nicht darauf bedacht, in die
       Geschichte einzugehen“, hat der kanadische Jazzkritiker und -poet Paul
       Haines einmal die Unwägbarkeiten beim Erfassen von Sound umschrieben.
       Festgehalten und für die Ewigkeit bewahrt werden Klänge seit 1887 für
       gewöhnlich auf Schallplatten.
       
       Wobei es beim Hören nicht allein um Klang geht. Bilder, Fotos und Texte auf
       dem Albumcover begleiten und erweitern das Hörmaterial, über die akustische
       Ebene hinaus liefern Grafiken und Worte Anleitungen für den Genuss, der
       beim Hören entsteht.
       
       Seit den späten 1940er Jahren wird die Schallplatte im Format LP gepresst,
       ursprünglich, um klassische Musik zu vermarkten, und spätestens seither
       interessieren sich auch Bildende Künstler:innen dafür, was mit
       Schallplatten jenseits von Musikhören noch anstellbar ist.
       
       ## Wahre Freundschaft
       
       Zum Beispiel [1][auf dem Album „Wahre Freundschaft“], 1978 veröffentlicht
       von den feministischen Künstlerinnen [2][Valie Export] & Monsti Wiener.
       Bevor Songs erklingen, ist zu hören, wie die beiden ihre Kopfhörer
       aufsetzen und welche Schalter sie am Aufnahmegerät betätigen. Zu hören ist
       auch das Surren einer Filmkamera. Und zu sehen gibt es das Cover ihres
       Albums in der Ausstellung „Broken Music Vol. 2“ im Hamburger Bahnhof in
       Berlin.
       
       In dieser Schau werden anschaulich die weitverzweigten Verbindungen
       zwischen Musik, Bildender Kunst, Feldaufnahmen und Lautpoesie
       hergestellt, so dass sich ein erweitertes synästhetisches Klangverständnis
       wie von selbst ergibt: Hunderte Plattencover hängen an den Wänden, baumeln
       an Schnüren von den Hallendecken oder sind als Faksimiles in Holzfächern
       zum Durchblättern und Anfassen gelagert.
       
       Mit einem Audioguide lässt sich auch ein Teil der auf den Platten
       festgehaltenen Klänge hören. Verschiedene Sektionen wie „Die Avantgarde“,
       „Conceptual Art“ und „Fieldrecordings“ sind wie Genrefächer in einem
       Plattenladen sortiert.
       
       ## Walzer für ein Dreieck
       
       Wobei „Broken Music Vol. 2“ keine reine Cover-Art-Ausstellung ist und auch
       keine Vinylarchäologie betreibt: Raumgreifende Klanginstallationen, etwa
       „Walzer für ein Dreieck“ von Rolf Julius und eine begehbare Klangskulptur
       von Bernhard Leitner, sind Bestandteil der Schau. „Walzer für ein Dreieck“
       ist eine Assemblage von Schalen, Töpfen, Pfannen, Steinen, Schnüren,
       Drähten und Teelöffeln. Teilweise sind diese mit Pulver gefüllt, verkabelt
       und mit Lautsprechern amplifiziert. Fast unmerklich knarzt und knirscht es.
       
       Ganz anders ein Film über Gittergeflechte, die Klang erzeugen, die der in
       den USA lebende Italiener Harry Bertoia „Sonambients“ nannte, was sich eher
       wie ein Drone anhört. Zu sehen sind auch Zeichnungen von Bildenden
       Künstlern wie A. R. Penck, [3][Raymond Pettibon] und [4][Jean-Michel
       Basquiat], die mit (Pop)-Musik und Freejazz in enger Verbindung stehen,
       Cover für Alben von Popkünstler:Innen gestalteten oder selbst Musik
       veröffentlicht haben.
       
       „Broken Music Vol. 2“ ist eine Fortsetzungsgeschichte mit erweiterter
       Aktualisierung. Der Ausstellungstitel nimmt Bezug auf eine frühere Schau:
       „Broken Music“ hieß eine Ausstellung, die Ursula Block 1989 in Berlin
       kuratierte und wiederum auf so betitelte Mobilés und Collagen Bezug nahm,
       die der tschechische Künstler Milan Knizak in den 1960ern aus zerstörtem
       Vinyl formte. Seine Arbeiten stellten damals einen Bruch mit
       konventionellen Hörgewohnheiten auf der Bildebene dar.
       
       ## Krach und Gebrabbel
       
       Ursula Block zeigte in der gleichnamigen Ausstellung wiederum
       Künstlerschallplatten, die in der akustischen und optischen Aufmachung über
       ihre Form als Tonträger ausschließlich für Musik hinausgehen: zum Beispiel
       Alben von Dieter Roth, Gerhard Rühm und Oswald Wiener, auf denen Krach und
       Gebrabbel zu hören, Fotos und Texte abgedruckt waren.
       
       „Broken Music Vol. 2“ fußt auf der rund 480 Exemplare fassenden
       Künstlerplatten-Sammlung von Ursula Block, die von der Nationalgalerie
       erworben und nun für die Ausstellung um rund 1.100 weitere Exponate ergänzt
       wurde. Es ist eine ganzheitliche Referenz an die Schallplatte als Träger
       von Klang und Informationen, als quadratische Bildfläche, die aus Papier
       und Karton selbst künstlerisch gestaltet werden kann. So gibt es auch eine
       Reihe von Easy-Listening-Covern zu sehen wie „Persuasive Percussion“, deren
       Schraffuren wie OpArt anmuten: Kommerzielle Musik ist kein Ausschlussfaktor
       für Bildende Kunst.
       
       „Broken Music Vol. 2“ ist eine Hommage an Ursula Block und ihre wichtige
       kuratorische Vorarbeit. Für ihren Mann, den Galeristen und Kurator René
       Block, hatte sie in dessen Ausstellung „Für Augen und Ohren“ (1980) in der
       Akademie der Künste in Berlin eine Phonothek eingerichtet, in der ein Teil
       der Werke gehört werden konnten. 1981 eröffnete Ursula Block dann ihren
       eigenen Plattenladen [5][Gelbe Musik], den sie bis 2014 in
       Berlin-Wilmersdorf führte.
       
       ## Zauberwort Synästhesie
       
       Mit Gelbe Musik nahm Block das Verhältnis von Kunst und Musik genauer in
       den Blick und sorgte für eine Distribution der oftmals in kleiner Auflage
       gepressten Künstler-Schallplatten. Zudem bot sie Freejazz, Industrialmusic
       und allerlei Underground an. „Töne sehen und Farben hören“, erklärte Block
       in einem Interview, sei ein Movens gewesen. „Es geht immer um Synästhesie.“
       
       Der Name ihres Plattenladens geht auf den russischen Avantgarde-Künstler
       und Bauhaus-Lehrer Wassily Kandinsky zurück, der mit der Farbe Gelb in
       einem Essay 1911 „eine scharf geblasene Trompete“ assoziiert. Ursula Block
       bot Musik an, aber auch Partituren, Objekte und Kunsteditionen. Und ihre
       Ausstellungen hatten immer mit einer Musik zu tun, die es anderswo nicht
       gab.
       
       Das machte Gelbe Musik zu einer Anlaufstelle nicht nur für
       Kunstinteressierte, sondern auch für eine Westberliner Szene zwischen
       Freejazz, Literatur und „Genialen Dilletanten“, die sich um Etablissements
       wie das Exil und SO36 gruppierte. Mit der Zeit bekam der Katalog von Gelbe
       Musik viele auch prominente Fans wie Björk und Sonic Youth, die, wenn sie
       in Berlin Station machten, dem Laden einen Besuch abstatteten.
       
       Mit dem Erbe von Gelbe Musik werden die Rieck-Hallen im Hamburger Bahnhof –
       vor Kurzem von Bund und Land Berlin gekauft und nun Teil der
       Nationalgalerie – zum Ausgangspunkt für eine immersive Erkundungstour, in
       der sich stundenlang hörend, sehend und staunend vor-, zurück- und
       seitwärts tasten lässt.
       
       Was mit einer Aufnahme von Antonio Russolos futuristischer Orchestermusik
       „Serenata“ von 1924 beginnt, endet mit zeitgenössischen Werken wie „Beyond
       the Yellow Haze“ [6][vom nigerianischen Künstler Emeka Ogboh] und dessen
       Feldaufnahmen eines Busbahnhofs und seiner gelben Fahrzeuge in Lagos nur
       vorläufig.
       
       15 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=C8kjRMKDlMI
   DIR [2] /Schau-in-der-Kunsthalle-Baden-Baden/!5728002
   DIR [3] /Ausstellung-von-Raymond-Pettibon/!5279229
   DIR [4] /Afro-amerikanische-Kunst-in-London/!5452032
   DIR [5] /Archiv-Suche/!383121&s=Ursula+Block&SuchRahmen=Print/
   DIR [6] /Fieldrecordingmusik-von-Emeka-Ogboh/!5874459
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
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