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       # taz.de -- Tarifauseinandersetzungen 2023: Hohe Erwartungshaltung
       
       > Für knapp 11 Millionen Beschäftigte wird es in diesem Jahr
       > Tarifverhandlungen geben. Den Auftakt machen der öffentliche Dienst und
       > die Deutsche Post.
       
   IMG Bild: Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat sich viel vorgenommen, hier ein Streikfoto von 2020
       
       Berlin taz | Frank Werneke gibt sich entschlossen. „Ich finde, die
       Forderung passt gut in die Landschaft“, sagt der Vorsitzende von Verdi. Am
       24. Januar beginnen in Potsdam die Tarifverhandlungen für den öffentlichen
       Dienst des Bundes und der Kommunen. Eine Lohnsteigerung um stolze 10,5
       Prozent, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat will die
       Dienstleistungsgewerkschaft dabei für die rund 2,8 Millionen Beschäftigten
       erstreiten und notfalls auch erstreiken. Deren Kampfbereitschaft sei hoch,
       ist Werneke überzeugt.
       
       Noch ambitionierter geht Verdi in die ebenfalls im Januar startenden
       Tarifverhandlungen für die etwa 160.000 Beschäftigten der Deutschen Post.
       Nach einer bescheidenen Lohnanhebung um 2 Prozent im vergangenen Jahr
       sollen es nun 15 Prozent mehr werden.
       
       Das ist eine Forderung, die noch deutlich über dem Anspruch eines
       Inflationsausgleiches liegt, der ansonsten für die Gewerkschaften im
       Zentrum der Tarifauseinandersetzungen in diesem Jahr steht. Allerdings ist
       die Deutsche Post auch eine klassische Krisengewinnerin, die während der
       Coronapandemie massiv ihren Umsatz und ihre Gewinnmargen steigern konnte.
       Das sieht in etlichen anderen Branchen anders aus.
       
       Es wird kräftig tarifverhandelt werden in diesem Jahr. Für insgesamt knapp
       11 Millionen Beschäftigte laufen die Vergütungstarifverträge aus. Noch im
       Frühjahr beginnen auch die Verhandlungen bei der Deutschen Bahn, dem
       Kfz-Gewerbe, dem Bewachungsgewerbe, der Papier- und Pappe verarbeitenden
       Industrie, der Textil- und der Bekleidungsindustrie.
       
       ## Lebenshaltungskosten stark gestiegen
       
       Mitte des Jahres folgen unter anderem das Textilreinigungsgewerbe, die
       Kautschukindustrie, der Einzel- sowie der Groß- und Außenhandel. Ab Herbst
       steht dann das Gerüstebauerhandwerk und vor allem der öffentliche Dienst
       der Länder mit seinen knapp eine Million Beschäftigten auf dem Programm.
       Ende des Jahres geht es dann um die Holz- und Kunststoff verarbeitende
       Industrie. Hinzu kommen noch etliche kleinere Branchen, in denen ebenfalls
       verhandelt werden wird.
       
       Es braucht keine prophetischen Gaben, um vorauszusagen, dass es in vielen
       Bereichen schwierige und harte Tarifauseinandersetzungen werden. Angesichts
       der stark angestiegenen Lebenshaltungskosten ist die Erwartungshaltung der
       Beschäftigten auf wenigstens ausgleichende Lohnabschlüsse hoch.
       Gleichzeitig gilt wegen des Ukrainekriegs die wirschaftliche Situation
       vieler Unternehmen weiterhin als äußerst unsicher. Das lässt Arbeitskämpfe
       nicht selten als Balanceakte erscheinen: das Bestmögliche herauszuholen,
       ohne Arbeitsplätze zu gefährden.
       
       ## Schlechte Bilanz für Beschäftigte 2022
       
       In welch schwieriger Situation sich die seit längerem schon [1][unter
       Mitgliederschwund leidenden Gewerkschaften] befinden, ist mit einen Blick
       zurück auf 2022 zu erkennen. Denn das vergangene Jahr war kein gutes für
       abhängig Beschäftigte. Gegenüber 2021 stiegen die Tariflöhne in Deutschland
       gerademal um durchschnittlich 2,7 Prozent. Was bei einer Steigerung der
       Verbraucher:innenpreise um 7,8 Prozent de facto ein Minus im
       Portemonnaie bedeutete.
       
       Es sei „zu einem in der Geschichte der Bundesrepublik bislang einzigartigen
       Reallohnverlust“ gekommen, konstatiert Thorsten Schulten, der Leiter des
       Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI)
       der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
       
       Ein Problem war, dass in vielen Branchen aufgrund von längerfristig
       wirksamen Verträgen 2022 keine Tarifverhandlungen stattgefunden haben.
       Dadurch war es den Gewerkschaften in diesen Bereichen nicht möglich, auf
       die gestiegenen Lebenshaltungskosten mit entsprechenden Lohnforderungen zu
       reagieren. So gab es für rund 12 Millionen Beschäftigte nur bescheidene
       Gehaltssteigerungen von durchschnittlich 2,6 Prozent, die bereits früher
       vereinbart worden waren. Hier rächte sich die Zurückhaltung der
       Gewerkschaften in der Coronazeit, die bereits 2021 zu einem Reallohnverlust
       geführt hatte.
       
       ## Mickrige Abschlüsse in der Druckindustrie
       
       Neue Tarifverträge wurden 2022 für etwa 7,4 Millionen Beschäftigte
       abgeschlossen. Das auch dabei der durchschnittliche Zuwachs nur bei bei 2,9
       Prozent liegt, resultiert zum einen aus sehr mickrigen Abschlüssen
       beispielsweise in der Druckindustrie, bei den Tageszeitungen oder im
       privaten Bank- sowie dem Versicherungsgewerbe, die auch in diesem Jahr den
       dort Beschäftigten einen erheblichen Reallohnverlust bescheren werden. Zum
       anderen wirkt sich aus, dass vereinbarte höhere Tarifsteigerungen und
       Inflationsausgleichsprämien oft erst in diesem und dem kommenden Jahr
       wirksam werden. Das gilt insbesondere für die Chemie- sowie die Elektro-
       und Metallindustrie.
       
       Die enorm gestiegene Inflation stelle die Tarifpolitik „vor vollkommen neue
       Herausforderungen, auf die sie immer nur mit einer gewissen Zeitverzögerung
       reagieren kann“, resümiert Schulten. Nach seiner Ansicht stehen die
       Gewerkschaften bei den Tarifrunden in diesem Jahr nun „in erster Linie vor
       der Aufgabe, weitere Kaufkraftverluste der Beschäftigten möglichst zu
       verhindern“. Leicht wird das nicht.
       
       2 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Auftakt-des-DGB-Bundeskongress/!5850891
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
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