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       # taz.de -- Comic-Klassikerausgabe: Ein Detektiv tappt in die Fülle
       
       > Alle Nick Knatterton-Strips in einem Band legt Carlsen vor: Rechtzeitig
       > zum 110. Geburtstag von Autor Manfred Schmidt, ohne editorischen Ehrgeiz.
       
   IMG Bild: Nick Knatterton: Zwischen Nationalstereoteypen und Sexismus platziert Autor Schmidt subversiven Witz
       
       Wow, was für ein Ziegel: Der Carlsen Verlag hat eine „Nick
       Knatterton“-Gesamtausgabe vorgelegt, als Band sieben seiner „Bibliothek der
       Comic-Klassiker“. Und er macht ordentlich was her: Fester Einband, Schuber
       mit gefälligem Cover und Lettering, die Reproduktionen in einem
       vernünftigen Format, und hätte man nicht Seite 148 als Seite 150 noch
       einmal gedruckt, es wäre wirklich alles tipptopp.
       
       Erstmals seit der Jubiläumsausgabe 1998 – damals bei Lappan, das
       mittlerweile zum Carlsen-Imperium gehört – versammelt der Band auf 440
       Seiten in chronologischer Reihenfolge sämtliche Strips mit dem [1][markant
       karierten Detektiv als Helden], die der in Bremen aufgewachsene Cartoonist
       und Comic-Pionier Manfred Schmidt veröffentlicht hat.
       
       Eine gute Nachricht! Noch immer fällt ja die Klassikerpflege im Segment
       deutschsprachiger Comic sehr dünn aus. Und es ist eine Binse, dass diese
       Missachtung noch immer damit zu tun hat, dass Comics früher als Schund
       galten, auch wenn das Feuilleton sie schon lange liebt. Es gibt aber noch
       ein anderes, gegenläufiges Hemmnis im Hinblick auf die Kanonisierung der
       Neunten Kunst.
       
       Und das hat man beim Carlsen Verlag schon in der bisherigen Klassiker-Reihe
       vernachlässigt und bei dieser Ausgabe im Vorgriff auf den 110. Geburtstag
       des 1999 gestorbenen Autoren am 15. April leider gar nicht beachtet: Gerade
       infolge ihrer populären Ausrichtung erscheinen Comics schnell fremd. Sie
       bedienen sich unbekümmert aus ihrem Alltag. Sie spielen mit flüchtigen
       Ereignissen und kurzlebigen Moden. Das macht sie für die
       Zeitgenoss*innen ihres Entstehens leicht zugänglich und besonders
       lustig.
       
       ## Das Schwinden der Subversion
       
       Aber die Codes des Alltäglichen sind flüchtig; manche werden schon nach
       wenigen Jahren nicht mehr kapiert. Heißt: Ohne Erläuterungen bleiben ihre
       Anspielungen und teuflischen Kleinigkeiten unerkannt, sodass oft gerade der
       Aspekt ihres Humors verpufft, der als subversiv und avantgardistisch gelten
       kann. Übrig bleiben dann allzu oft rassistische und sexistische Spitzen,
       die unangenehm den politischen Witz überlagern.
       
       Das gilt gerade für Knatterton: Einerseits tappt der brillante Detektiv
       meist tölpelig-orientierungslos durch die Unübersichtlichkeit einer
       übervollen Welt. Schmidt hat seine Panels mit Details, vermeintlichen
       Spuren und ziellosen Parallelhandlungen, auf die mit schwarzen Pfeilen
       hingewiesen wird, derart vollgestopft, als ginge es partout darum, etwas zu
       überdecken.
       
       Andererseits hatte er sich vertraglich exklusiv an die Quick gebunden:
       Diese Illustrierte war von 1949 bis 1992 das Zentralorgan des deutschen
       Herrenwitzes. Ihre – und Schmidts – große Zeit waren die schwer
       begreiflichen 1950er-Jahre. Das ist eine Epoche gewesen, in der man es
       amüsant fand, Frauen als „bessere Hälfte“ ihres Gemahls und
       Haushaltsvorstands zu bezeichnen.
       
       Die Emanzipation der Weimarer Zeit war verdrängt, die der 70er noch fern.
       Wer nicht weiß, dass die Knatterton-Geschichten, die wöchentlich in diesem
       Mistblatt erschienen, sich zwangsläufig in den misogynen Strukturen dieser
       Welt bewegen, übersieht, dass Schmidt die von ihr vorgegebenen Muster nicht
       nur bedient, sondern oft zart ironisch zu unterlaufen versucht.
       
       Auch wenn er ihn dann zuverlässig als Eifersuchtsdrama verharmlost: Sein
       Werk inszeniert auch den Kampf der Geschlechter. Die Handlung wird von
       dominanten Frauen und raffinierten Schurkinnen vorangetrieben. Das kommt
       nicht von ungefähr.
       
       Schmidt wurde im April 1913 in Bad Harzburg geboren. Sein Vater hatte kurz
       darauf eine Papierfabrik geerbt, lebte fortan von der Rendite und frönte
       dem Müßiggang. Deswegen trennte sich die Mutter von ihm. Sie zog allein mit
       den drei Kindern nach Bremen. Ihren Sohn Manfred schickt sie dort aufs
       Reformgymnasium Am Barkhof, seit 1909 koedukativ, als erstes der Stadt.
       
       In der macht Schmidt Abitur, und dort beginnt er auch ein Kunst-Studium an
       der – fortschrittlichen – Staatlichen Kunstgewerbeschule. Er bricht es 1933
       ab, um in Berlin Filmkarriere zu machen, was scheitert. Zeichnerisch
       hingegen war er so etwas wie ein Wunderkind: Schon im Alter von 14 Jahren
       soll er regelmäßig Karikaturen bei den rechtskonservativen Bremer
       Nachrichten und der nationalliberalen Weser-Zeitung untergebracht haben –
       gegen Geld.
       
       Die Mühe, dieses Frühwerk ausfindig zu machen, hat man sich bei Carlsen
       leider gespart. Völlig außer Acht gelassen hat man zudem Schmidts
       [2][spätere Tätigkeit als Propagandazeichne]r, die ihm erlaubt hat, sich
       durch den Zweiten Weltkrieg zu lavieren.
       
       ## Hass auf Soldateska
       
       Dabei wäre ein Werk wie das Buch „Lachendes Feldgrau“ von 1941 nicht nur
       [3][wegen der Zusammenarbeit mit dem problematischen, aber
       humoristisch-virtuosen Wahlhamburger Truppenunterhalter Hans Reimann] („Die
       Feuerzangenbowle“) interessant. Deutlich spannender ist zu erkunden ob und
       wie sich der [4][Kontrast artikuliert, in dem es zu Schmidts Überzeugungen
       steht].
       
       Denn hier entwirft er Cartoons, deren Komik sich gerade aus der
       wechselseitigen Durchdringung von zivilem Leben und Krieg speist. Dabei ist
       er von Grund auf und glaubwürdig Antimilitarist. Seinem Sohn wird er
       später, so [5][wenigstens hat es Schmidts Tochter vor zehn Jahren der FAZ
       erzählt], die Ausbildung zum Flugkapitän bei der Lufthansa verbieten, weil
       Uniformen ihm ein Greuel sind.
       
       Ein echter Hass auf jede Soldateska bricht sich immer wieder Bahn in den
       Knatterton-Geschichten. Die Wiederbewaffnungsdebatte sucht sie heim wie ein
       Gespenst ein Spukschloss. Die Verbrechen, durch die Knatterton ratlos irrt,
       bis sie sich aufklären, werden oft genug im Dienste der Rüstungsindustrie
       begangen. Deren Erstarken karikiert Schmidt grimmig und mit einer
       wachsenden Erbitterung.
       
       Noch dringender wäre freilich gewesen, den Ur-Knatterton aufzusuchen: Dafür
       hätte man doch nur vom Verlagsgebäude in der Völckerstraße zum Schlump
       rüberradeln müssen. Denn [6][die dortige Forschungsstelle für
       Zeitgeschichte] hat ja die entsprechenden Nummern der Wochenzeitung Die
       Grüne Post im Bestand, wenigstens auf Mikrofiche.
       
       In der hatte Schmidt im September 1935 – also [7][etwas mehr als ein Jahr
       nach dem Zwangsverkauf des Ullstein-Verlags an die Nazis] – die Story „Der
       Hilferuf der Maud O’Key“ veröffentlicht. Sie beginnt damit, dass der
       „weltberühmte Chikagoer Meisterdetektiv Nick Knatterton“ den schwarzen
       Umhänge-Vollbart in den Schrank hängt, die kugelsichere Weste ablegt und
       sich der Ruhe hingeben will.
       
       Also alles exakt wie 15 Jahre später im Comic „Der Schuss in den
       künstlichen Hinterkopf“. Und wie in dem klingelt, genau im Moment der
       Entspannung, das Telefon: Eine Unbekannte ruft um Hilfe und die Leitung
       wird „von ruchloser Hand“ gekappt.
       
       Verblüffender als die Gleichheit von Motiven und Handlungsabläufen ist aber
       der Unterschied der Zeichnungen: Statt der später für ihn typischen eckigen
       Figuren weisen alle Personen hier – Detektiv und Gangster – organisch runde
       Konturen auf, die Schmidt in seiner Zeit bei der Quick als Erotik-Signal
       für weibliche Figuren reserviert. Spektakulär sind die Schattenwürfe – und
       von rigoroser Klarheit ist die Bildaufteilung, die in der
       Wirtschaftswunderzeit gerade durch eine wimmelnde Unübersichtlichkeit
       bestechen wird.
       
       Carlsen bewirbt das Buch selbst als ein „besonderes Zeitdokument“. Aber
       ach!, noch nicht einmal für ein eigenes Vorwort, das Schmidts dieses
       kontextualisiert hätte, hat man Mittel und Muße gefunden: Das ist schon ein
       wenig trist. Denn, natürlich ist es gut, diese Geschichten jetzt alle
       sauber gedruckt zusammen zu haben.
       
       Wer aber die Klassiker-Behauptung ernst nimmt, sollte auch einen
       entsprechenden editorischen Aufwand betreiben, sprich: die Rätsel und
       Brüche des Werks, seine Entwicklungslinien wenigstens skizzieren. Zumal sie
       es lesenswerter machen: Sie lassen erahnen, in welche Kämpfe es verstrickt
       ist. Sie [8][zeigen die Abgründe, über die es balanciert]. Sie könnten
       zeigen, dass es uns noch etwas angeht.
       
       19 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nick-Knatterton-wird-65/!5255789
   DIR [2] /Ausstellung-zu-Comics-in-Deutschland/!5045863
   DIR [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Reimann_(Autor)
   DIR [4] https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/2VALNKQD7OVMFL7UKM4FKWA2UWSPFHFI?isThumbnailFiltered=true&query=%22Lachendes+Feldgrau%22&rows=20&offset=0&viewType=list&firstHit=QYXVICHOBY7KUGFM3J4NH4BFXO6JAKBO&lastHit=lasthit&hitNumber=2
   DIR [5] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bilder-und-zeiten/im-gespraech-annette-riedhammer-das-drama-des-begabten-vaters-12138363.html
   DIR [6] https://www.zeitgeschichte-hamburg.de/contao/index.php/startseite.html
   DIR [7] https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110630503-003/html?lang=en
   DIR [8] /Kuratorischer-Fehlschlag/!5388920
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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