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       # taz.de -- Reporter in Mexikos Drogenkrieg: Win-win-Situation mit Opfern
       
       > Der Kampf gegen die „Narcos“ wird in Mexiko zu einem medialen Spektakel.
       > Diejenigen, die kritisch berichten, werden weiterhin verschleppt und
       > bedroht.
       
   IMG Bild: Ein brennender Lkw im im mexikanischen Bundestaat Sinaloa nach der Festnahme von Ovidio Guzmán Anfang Januar 2023
       
       Was ist seltsam daran, dass zwei Männer in einem Video zugeben, dass sie
       eine Facebook-Seite betreiben? Eigentlich nichts. Es sei denn, die beiden
       leben in Mexiko. In Eisenketten gefesselt erklärten Fernando Moreno
       Villegas und Alan García Aguilar vergangene Woche in einem in den sozialen
       Netzwerken verbreiteten Film, sie seien Teil des Teams von „Escenario
       Calentano“. „Wir sind hier, weil wir die Folgen für die Veröffentlichungen
       bezahlen müssen, die wir gegen diese Personen in der Region Tierra Caliente
       der Bundesstaaten Mexiko, Michoacán und Guerrero publiziert haben“,
       erklären sie in dem von ihren Entführern gedrehten Video.
       
       Zwar sagen sie nicht, wen sie mit „diese Personen“ meinen, aber eigentlich
       weiß jeder, wer gemeint ist. Auf der Facebook-Seite „Escenario Calentano“
       stehen Texte, die sich mit der Zusammenarbeit von lokalen Politikern und
       der Mafiatruppe „Familia Michoacana“, der „Familie von Michoacán“,
       beschäftigen. Und das hat seinen Preis, auch wenn die beiden nur die
       Administratoren der Seite sind.
       
       Einen Tag nachdem das Video zirkulierte, wurde Moreno Villegas zusammen mit
       dem ebenfalls verschleppten Reporter Jesús Pintor Alegre an einem Flussufer
       lebend aufgefunden. Was mit García passierte, ist unklar. Wie so oft bleibt
       nichts anderes, als zu hoffen. In der Tierra Caliente regieren mehrere
       verfeindete kriminelle Organisationen.
       
       Nationalgardisten oder Polizisten bilden bestenfalls die Staffage, um den
       zahlreichen Kontrollstellen der Verbrecher den Anstrich von Normalität zu
       geben. Einige Kollegen der drei Männer protestierten. Weitere Hilfe, so
       sagen sie, hätte die „Familie“ verhindert. Offen berichten können sie in
       dieser Gegend im Südwesten nicht.
       
       Anders im nordmexikanischen Bundesstaat Sinaloa. Kaum ein Medium ließ es
       sich nehmen, Videos oder Fotos aus der Hauptstadt Culiacán zu
       veröffentlichen, nachdem dort Ovidio Guzmán, Chef des Sinaloa-Kartells und
       Sohn des in den USA inhaftieren Joaquín „El Chapo“ Guzmán, verhaftet wurde.
       Für das Spektakel sorgten die Kriminellen selbst.
       
       ## Erfolg mit Terror
       
       Sie zerstörten 250 Lkws und Autos, beschossen den Flughafen, griffen
       Armeehubschrauber sowie Ladengeschäfte an und errichteten 19 Blockaden, um
       den Abtransport ihres Chefs zu verhindern. Vor drei Jahren hatten sie mit
       solchem Terror Erfolg. Damals mussten die Soldaten Guzmán, „El Ratón“, die
       „Maus“, wegen der exzessiven Gewalt wieder freilassen.
       
       Zehn Armeeangehörige und 19 Kriminelle starben. War die Aktion trotzdem ein
       Erfolg? Diese Frage beschäftigt Kommentator:innen in den mexikanischen
       Medien. War es Zufall, dass die Gefangennahme kurz vor dem ersten Besuch
       des US-Präsidenten Joe Biden stattfand? Unmittelbar, nachdem ein Kommando
       des Sinaloa-Kartells ein Hochsicherheitsgefängnis in der Grenzstadt Ciudad
       Juárez stürmte und einen ihrer Bosse befreite? Tote hin oder her, die
       massenhaft veröffentlichten Bilder aus Sinaloa, der Wiege der mexikanischen
       Drogenmafia, zeigten ein Kriegsszenario, aus dem das Militär irgendwie als
       Sieger hervorging.
       
       Die Rauchschwaden, die brennenden Sattelschlepper, die Soldaten in
       Kampfmontur – der kurze Krieg mitten im Reich von „El Chapo“ ließ sich
       [1][live auf Twitter, Facebook und anderen Medien] verfolgen. Das kam
       beiden Kriegsparteien zupass. Die Sinaloa-Killer konnten ihre Kampfkraft
       demonstrieren – eine Botschaft, die nicht nur an die Sicherheitskräfte,
       sondern auch an die kriminelle Konkurrenz gerichtet ist. Und [2][Mexikos
       Präsident Andrés Manuel López Obrador konnte Biden] zeigen, dass er von der
       kritisierten zurückhaltenden Strategie „Umarmung statt Schüsse“ abgekommen
       und bereit sei, mit den „Narcos“ auf Konfrontation zu gehen.
       
       Medial gesehen eine Win-win-Situation. Doch wer interessiert sich
       angesichts solcher Spektakel für den Administrator einer Facebook-Seite,
       [3][der in der Provinz Guerrero Artikel] über die dortigen korrupten
       Machenschaften veröffentlichte? Die Hoffnung, dass Alan García Aguilar noch
       lebt, stirbt trotzdem zuletzt.
       
       18 Jan 2023
       
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