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       # taz.de -- Proteste gegen Macrons Rentenreform: Angriff auf das Sozialsystem
       
       > Rente mit 64 – schön wär's? Wer den Widerstand gegen Macrons Rentenreform
       > verstehen will, muss die Besonderheit des französischen Sozialsystems
       > kennen.
       
   IMG Bild: Gegen die Renten-Reform und Frankreichs Premierministerin:Protest in Paris
       
       Mit 64 Jahren bei voller Rente in den Ruhestand zu gehen, davon können
       viele in Europa nur träumen. In Frankreich ist die [1][schrittweise
       Erhöhung des Rentenalters] von heute 62 auf 64 Jahre dagegen ein Affront.
       Der simple Vergleich mit dem gesetzlichen Rentenalter in Deutschland oder
       anderen EU-Staaten aber hinkt. Die Zahl allein wäre aus dem Zusammenhang
       gerissen. Um die aktuellen Proteste gegen die von Emmanuel Macron geplante
       Rentenreform zu verstehen, muss man den ganz eigenen, französischen Kontext
       mitbedenken.
       
       Seit 1981 der sozialistische Präsident François Mitterrand das Rentenalter
       auf 60 senkte, gilt diese relativ frühe Pensionierung in Frankreich als
       soziale Errungenschaft und als Kernstück der gesamten Sozialpolitik. Die
       Arbeitnehmer*innen haben seit Langem akzeptiert, dass ihre niedrigen
       Löhne durch einigermaßen großzügige Sozialleistungen und durch ein
       funktionierendes System kompensiert wurden.
       
       Die Altersrente ist in Frankreich Teil der Sécurité sociale, zu der auch
       die öffentliche Krankenkasse, die Unfallversicherung und die Kasse für die
       Familienzulagen gehört. Wer nun ein Stück aus diesem Gesamtwerk
       herausbrechen will, muss mit entsprechend heftigen Reaktionen rechnen. Bei
       einer Niederlage in diesem Kampf um das Rentenalter ist, so die Befürchtung
       vieler, auch der Rest der sozialen Sicherheit nicht mehr gewährleistet.
       
       Die kurzfristige Anhebung des Rentenalters für die nach 1961 Geborenen
       kommt der angekündigten Schlachtung einer heiligen Kuh gleich. Betroffene
       und Gewerkschaften betrachten Macrons Pläne als Frontalangriff. Jedes Mal,
       wenn die Regierung bisher an den [2][sozialen Errungenschaften rüttelte],
       kam es zu sehr heftigen Konflikten. 1995 musste die Regierung Alain Juppé
       nach mehrwöchigen Protesten eine Rentenreform zurückziehen. Heute kommt
       hinzu, dass sich in den letzten Jahren in vielen Bevölkerungsschichten ein
       [3][Zorn auf die „Privilegierten“] und das System angestaut hat, der (wie
       schon bei den [4][Gelbwesten-Protesten]) schnell eskalieren kann.
       
       Auch in Frankreich ist die Lebenserwartung gestiegen, und viele
       Senior*innen wären durchaus fit genug, um beruflich auch jenseits der 65
       aktiv zu bleiben. Bereits heute müssen die zukünftigen Rentner*innen in
       Frankreich für volle Leistungen 42 Jahre lang gearbeitet und Beiträge in
       die Altersvorsorge bezahlt haben, und da oft zu viele Lücken bestehen – die
       Studienjahre zählen beispielsweise für die meisten nicht –, setzen sie
       schon heute, wenn möglich, die Arbeit über die derzeit offizielle
       Altersgrenze von 62 Jahren fort.
       
       Anderseits ist zwischen 55 und 60 Jahren bereits die Hälfte aus der
       Berufstätigkeit ausgestiegen – und dies oft nicht freiwillig. Das
       Stellenangebot für „Senioren“ auf dem Arbeitsmarkt ist karg. Macrons
       Forderung an sie, länger zu arbeiten, klingt für sie vor diesem Hintergrund
       heuchlerisch. In Wirklichkeit bedeutet die Anhebung des Rentenalters und
       die Verlängerung der erforderlichen Beitragsjahre in vielen Fällen schlicht
       eine kleinere Rente.
       
       20 Jan 2023
       
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