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       # taz.de -- FDP-Spitzenkandidat über Koalitionen: „In Zehlendorf sind das andere Grüne“
       
       > Sebastian Czaja (FDP) setzt bei der Wiederholungswahl auf ein Bündnis mit
       > CDU und SPD. Zusammenarbeit mit den Grünen kann er sich nicht vorstellen.
       
   IMG Bild: Sebastian Czaja, Spitzenkandidat der Berliner FDP, hofft auf Prozente
       
       taz: Herr Czaja, wird am 12. Februar überhaupt gewählt? 
       
       Sebastian Czaja: Ja.
       
       So sicher sind Sie? Obwohl es möglich ist, dass [1][das
       Bundesverfassungsgericht das Berliner Urteil zur Wahlwiederholung] noch
       kippt? 
       
       Das ist ja ein völlig legitimes Verfahren, dass man Dinge, die ein Gericht
       entschieden hat, noch mal hinterfragt. Dennoch gehe ich davon aus, dass wir
       am 12. Februar wählen. Und wie Sie draußen an den vielen Plakaten sehen
       können, bereiten sich auch alle anderen Parteien darauf vor und machen
       Wahlkampf.
       
       Sie selbst wollen ja die Wiederholung, auch weil Sie dann danach
       mitregieren möchten. Mitglieder Ihrer Fraktion aber gehören zu denen, die
       [2][zum Bundesverfassungsgericht gegangen] sind. 
       
       Wir haben eine Situation, wo tatsächlich zwei Parlamentarier der FDP sich
       der Verfassungsbeschwerde angeschlossen haben neben ganz vielen SPD
       Parlamentariern und …
       
       … na ja, ganze drei, darunter allerdings Ex-Finanzsenator Matthias Kollatz.
       
       … das ist deren ganz persönliche, private Entscheidung. Es ist aber keine
       Position der FDP Berlin und keine Position der Fraktion hier im
       Abgeordnetenhaus. Wir glauben, dass in diesem Scheitern große Chancen
       liegen. Denn das Chaos in der Stadt, das seinen Höhepunkt mit der
       gescheiterten Wahl hat, ist ein Weckruf für uns Berlinerinnen und Berliner,
       die Dinge neu zu verhandeln und grundsätzlich anzugehen.
       
       Sie streben ja eine bürgerliche Koalition mit der CDU an. Wenn man aber die
       jetzigen Umfragewerte zusammenrechnet, dann fehlen da noch rund 20 Prozent
       zu einer Mehrheit im Parlament. 
       
       Wir gehen davon aus, dass die Union höchstwahrscheinlich vorne liegen wird,
       was sich so in Umfragen abzeichnet. Es darf gegen die CDU als Wahlsiegerin
       nicht wieder eine Linkskoalition gebaut werden, wie das 2017 schon mal in
       Bremen geschehen ist. Deshalb braucht es eine starke FDP an der Seite der
       CDU, mit der wir gemeinsam die Reformen in der Stadt angehen wollen.
       
       Trotzdem fehlt da noch ein dritter Partner. Sie haben dafür jüngst die
       Grünen ausgeschlossen, als Koalitionspartner bliebe also nur die SPD. Warum
       machen Sie das? 
       
       Mir fehlt die Vorstellungskraft, wie es gelingen soll mit Grünen, die in
       Berlin für Enteignung stehen, die die Citymaut wollen und das Auto in der
       Innenstadt grundsätzlich verbieten möchten. Interessant zu sehen ist, dass
       die CDU sich eine Zusammenarbeit mit den Grünen anscheinend problemlos
       vorstellen kann – mir erschließt sich noch nicht, wie man mit denen in
       diesen Fragen Politik machen soll.
       
       Wieso nicht? Das geht doch auf Bundes- genauso wie auf Bezirksebene. In
       Steglitz-Zehlendorf haben Sie als dortiger FDP-Vorsitzender 2021 ja selbst
       die Gespräche mit den Grünen geführt. 
       
       Wir haben dort aber Grüne, die dem Realo-Flügel angehören. Mit denen haben
       wir verabreden können, Eigentum zu schaffen, die Schloßstraße als
       Einkaufsstraße nicht zu einer zweiten gesperrten Friedrichstraße zu machen
       und die Uferwege am Wannsee nicht zu enteignen.
       
       Und nur 13 Kilometer vom Rathaus Zehlendorf entfernt soll das im
       Abgeordnetenhaus nicht möglich sein? 
       
       In Zehlendorf sind das völlig andere Grüne als die, die wir in der Breite
       der Stadt erleben. Deshalb ist der Unterschied schon genau so zu
       beantworten, wie ich es gerade gemacht habe.
       
       Aber die Grüne, mit der Sie dort die Zusammenarbeit vereinbart haben,
       Susanne Mertens, ist inzwischen Grünen-Landesvorsitzende. 
       
       Parteien sind ja nicht allein von Einzelpersonen geprägt,
       
       … was man auch anders sehen kann
       
       … sondern immer durch einen Abwägungsprozess der gesamten Parteiführung und
       Mitgliedschaft.
       
       Woher kommt denn die Hoffnung, dass es für eine Linkskoalition nicht wieder
       für eine Mehrheit reicht? In den Umfragen ist das trotz aller Probleme
       weiter so.
       
       Diese Wahl ist ja ein Weckruf. Und wer die letzten sechs Jahre Rot-Rot-Grün
       und Rot-Grün-Rot erlebt hat, der muss eben auch festhalten, dass diese
       Koalition an vielen Stellen nicht schafft, was dringend notwendig gewesen
       wäre, nämlich eine ernsthafte Verwaltungsreform auf den Weg zu bringen, die
       Frage der Wohnungsnot in Berlin zu lösen, die Anspannung in unserem Straßen
       aufzulösen.
       
       Ihre Argumentation mit dem Weckruf klingt [3][kaum anders als im Sommer
       2021, als es auch schon viele Probleme gab] und es doch erneut zu einer
       Mehrheit für eine Linkskoalition kam. 
       
       Wissen Sie was? Die Argumentation klingt auch nicht viel anders als 2016.
       Damals habe ich in dieser Stadt einen Wahlkampf gemacht mit der Überschrift
       „Riskieren wir, dass etwas funktionieren könnte“. Passiert ist aber nichts.
       
       Das [4][Thema Verwaltungsreform] haben vor der Wahl nun fast alle Parteien
       für sich entdeckt. Für Sie gehört dazu, die Stadträte abzuschaffen also
       quasi die Minister in den Bezirksämten, und fast alles zentral zu regeln.
       Warum sollen die Dinge besser laufen, wenn der Blick von vor Ort fehlt? 
       
       Ich habe in meinen politischen und auch in meinen wirtschaftlichen
       Erfahrungen als Bürger dieser Stadt immer wieder erlebt, dass sich diese
       Doppelstrukturen wechselseitig im Weg stehen. Und wenn der Stadtrat in
       einem Bezirk nicht das gleiche Parteibuch hat wie die Bildungssenatorin
       oder der Stadtentwicklungssenator, kommt es dazu, dass man sich gegenseitig
       blockiert statt voranbringt. Das ist aber genau das, was uns Berliner so
       tierisch nervt, dieses Pingpong, dieses dauernde Hin und Her zwischen den
       Ebenen.
       
       [5][Verwaltungs-Pingpong] beklagen Politiker seit Jahrzehnten, geändert hat
       sich wenig. 
       
       Wir können nicht stolz darauf sein, dass die FDP die letzten 30 Jahre nicht
       mitregiert hat. Aber wir haben dieses Chaos nicht angerichtet. Wir würden
       gern Verantwortung übernehmen, um dieses Chaos endlich aufzuräumen.
       
       Warum liegt denn die FDP trotzdem in den jüngsten Umfragen nur bei 5
       beziehungsweise 6 Prozent und muss erneut darum bangen, an der
       5-Prozent-Hürde zu scheitern? 
       
       Warten wir doch mal das Wahlergebnis ab.
       
       Können wir machen. Sie können aber auch erklären, warum es allen
       Missständen zum Trotz keine größere Wechselstimmung und keinen Boom der FDP
       gibt. 
       
       Die Diskussion kenne ich von der Wahl 2016, die kenne ich von 2021. Am Ende
       sitze ich vor Ihnen und wir haben steigende Ergebnisse von über 7 Prozent
       erzielt. Und genau das ist auch unser Wahlziel. Je stärker das Ergebnis für
       die FDP, desto stärker das Mandat, wieder diese Verwaltung zu
       modernisieren.
       
       Mitten in den Wahlkampf hinein ist die [6][Debatte über die Ausschreitungen
       der Silvesternacht] geplatzt. Grünen-Fraktionschefin [7][Silke Gebel hat
       dazu im taz-Interview erneut ein Böllerverbot] gefordert. 
       
       Es ist eine Phantomdiskussion, die geführt wird.
       
       Wieso? Kein Böller, keine Munition für Attacken. 
       
       Zum einen wurde nicht nur mit Böllern attackiert, sondern auch mit einem
       Feuerlöscher oder mit Eisenstangen. Zum anderen müssen wir uns doch mit den
       Ursachen auseinandersetzen, nicht nur die Symptome bekämpfen. Wir haben in
       dieser Stadt ein Problem, wenn der 1. Januar zum 1. Mai wird, wenn wir
       erleben, dass Rettungs-, Ordnungs- und Einsatzkräfte angegriffen werden,
       und das nicht nur in der Silvesternacht, sondern auch unterjährig. Da
       müssen wir uns doch zuallererst die Frage stellen: Gibt es ein politisches
       Klima in der Stadt, was das still toleriert? Wer steht eigentlich hinter
       unseren Einsatzkräften? Ich stehe auf der Seite derer, die jeden Tag in
       dieser Stadt ihren Dienst leisten.
       
       Das ist aber auch bei Innensenatorin Iris Spranger von der SPD so, die
       Polizisten immer „die Kollegen“ nennt. 
       
       Selbst wenn man Frau Spranger das zugestehen möchte – wie oft haben wir in
       dieser Stadt eher diskutiert, dass wir die Beweislastumkehr einführen, wenn
       es um unsere Rettungs- und Ordnungskräfte geht, dass die sich erst mal zu
       rechtfertigen haben? Was hat das mit der Hemmschwelle ihnen gegenüber
       gemacht?
       
       Warum nicht beides tun – darüber reden und gleichzeitig aber auch Böller
       verbieten? Umso mehr, weil Ursachenforschung dauert, das nächste Silvester
       aber in weniger als 360 Tagen kommt. 
       
       Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn wir Böllerverbotszonen einrichten.
       Doch die müssen so organisiert sein, dass das Recht durchgesetzt werden
       kann und nicht ad absurdum führt. Aber mir scheint, dass man mit einem
       Böllerverbot einen Haken an die Sache machen und nicht mehr darüber reden
       will, warum das alles passiert ist.
       
       Manche befürchten, [8][eine Debatte werde zur Stigmatisierung von
       Migranten] genutzt. 
       
       Darum geht es doch gar nicht, dass hier jemand irgendjemand stigmatisieren
       will. Hier geht es doch um etwas ziemlich Grundsätzliches, nämlich darum,
       dass egal welcher Nationalität, egal welcher Staatsbürgerschaft, sich jeder
       an die Regeln in unserem Land zu halten hat. Nicht darüber zu reden heißt,
       eine Diskussion abzuwürgen, die wir dringend brauchen.
       
       9 Jan 2023
       
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