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       # taz.de -- Rechte Ausschreitungen in Brasilien: Bolsonaro-Fans stürmen Kongress
       
       > Anhänger des abgewählten rechten Präsidenten besetzen stundenlang
       > Regierungsgebäude in Brasília. Internationale Unterstützung für Präsident
       > Lula.
       
   IMG Bild: Demonstrant:innen vor dem Präsidentenpalast in Brasília
       
       Brasília rtr/afp/dpa/epd/ap/taz | In Brasilien sind Anhänger des
       abgewählten rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro [1][in das
       Kongress-Gebäude] sowie den Obersten Gerichtshof eingedrungen. Erst am
       Abend (Ortszeit) bekamen Spezialeinheiten der Polizei den stundenlang
       besetzten Kongress wieder unter Kontrolle. Militärpolizei und
       Präsidentengarde räumten ebenfalls den Präsidentenpalast und das Oberste
       Gericht, in die die militanten Anhänger ebenso eingedrungen waren und
       Zerstörungen angerichtet hatten. Mehr als 200 Randalierer wurden
       festgenommen.
       
       Auf Videoaufnahmen örtlicher Medien war am Sonntag zu sehen, wie mehrere
       Tausend Menschen in beiden Gebäuden in der Hauptstadt Brasília [2][Fenster]
       und Möbel zerstörten. Ihre Zahl wurde auf etwa 3.000 geschätzt.
       
       Die Polizei in Brasília war auf den Ansturm der militanten
       Bolsonaro-Anhänger nicht vorbereitet. Sie versuchte vergeblich, die
       Menschen mit Wasserwerfern aufzuhalten. Schreiende und mit Stöcken
       bewaffnete Demonstranten umstellten [3][einen Polizisten einer
       Reiterstaffel und stießen ihn vom Pferd].
       
       Die Demonstrant:innen überwanden Polizeiabsperrungen im
       Regierungsviertel. Auf den Bildern war zudem zu sehen, wie Demonstranten
       auch den nahe gelegenen Präsidentenpalast Planalto stürmten. Mehrere
       Dutzend Demonstrant:innen liefen die Rampe zum Kongressgebäude hinauf,
       um das Dach des Gebäudes zu besetzen, wie ein AFP-Fotograf beobachtete.
       Männer mit Brasilienflaggen liefen durch Flure und Büros, wie am Sonntag
       [4][im Fernsehsender TV Globo] zu sehen war.
       
       Auf sozialen Medien wurden Bilder verbreitet, die auf eine Plünderung des
       Gerichtsgebäudes durch die in Gelb und Grün gekleideten Angreifer
       hindeuteten. Später teilte das Oberste Gericht mit, die Sicherheitskräfte
       hätten die Kontrolle über das Gebäude wiedererlangt. Einige Demonstranten
       seien im Parkhaus festgenommen worden. Eine Stellungnahme von Bolsonaro lag
       zunächst nicht vor.
       
       Später verbreitete Bilder zeigten bewaffnete Polizeikräfte in Konfrontation
       mit den Demonstrant:innen vor und in den Regierungsgebäuden.
       
       ## Lula macht Bolsonaro verantwortlich
       
       Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva hat den Angriff von radikalen
       Anhängern seines Vorgängers verurteilt. Er bezeichnete die Vorgänge in
       Brasília als Barbarei. [5][Auf Twitter bezeichnete Lula] die Menschen, die
       in den Kongress und den Präsidentenpalast eingedrungen seien als
       Faschisten. „Alle Vandalen werden gefunden und bestraft“, sagte der
       Staatschef am Sonntag. [6][„Wir werden auch herausfinden, wer sie
       finanziert hat.“]
       
       [7][Lula warf Bolsonaro vor], für die Ausschreitungen verantwortlich zu
       sein. Der ehemalige Präsident habe in mehreren Reden dazu aufgerufen.
       
       Lula war zum Zeitpunkt der Attacke nicht in Brasília. Er war in die Stadt
       Araraquara im Bundesstaat São Paulo gereist, um sich über die Folgen der
       schweren Unwetter in der Region zu informieren. Erst am späten Sonntagabend
       reiste Lula zurück nach Brasília und schaute sich die Schäden in den
       Gebäuden an.
       
       Per Dekret ordnete Lula an, dass die Bundesregierung die Verantwortung für
       die öffentliche Sicherheit in Brasília übernimmt.
       
       ## Bolsonaro weist Kritik zurück
       
       In einer Reaktion am Sonntagabend wies Bolsonaro Lulas Vorwurf von sich,
       wonach er seine Unterstützer zum Aufstand ermuntert habe. Zugleich deutete
       Bolsonaro an, dass er die Aktion seiner Anhänger missbilligt. Friedlicher
       Protest sei Teil der Demokratie, doch Vandalismus und das Eindringen in
       öffentliche Gebäude seien „Ausnahmen von der Regel“, [8][schrieb er auf
       Twitter].
       
       ## Heftige Kritik an der Regionalregierung
       
       Die Chefin von Lulas regierender Arbeiterpartei (PT) hatte bereits kurz
       nach Beginn der Ausschreitungen schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen
       in der Hauptstadt Brasília erhoben. „Die Regierung des Bundesbezirks war
       unverantwortlich angesichts der Invasion in Brasília und im
       Nationalkongress“, [9][schrieb Gleisi Hoffmann am Sonntag auf Twitter].
       „Das war ein angekündigtes Verbrechen gegen die Demokratie, gegen den
       Willen der Wähler und für andere Interessen. Der Gouverneur und sein
       Sicherheitsminister, ein Anhänger von Bolsonaro, sind für alles
       verantwortlich, was passiert.“
       
       Kurz darauf ist der Sicherheitschef der Hauptstadt Brasília, Anderson
       Torres, entlassen worden. „Ich habe die Entlassung des Sicherheitsministers
       des Bundesdistrikts beschlossen und gleichzeitig alle Sicherheitskräfte auf
       die Straße geschickt, um die Verantwortlichen festzunehmen und zu
       bestrafen“, [10][schrieb der Gouverneur des Bundesbezirks, Ibaneis Rocha,
       auf Twitter]. „Ich bin in Brasília, um die Demonstrationen zu beobachten
       und alle Maßnahmen zu ergreifen, um die antidemokratischen Ausschreitungen
       im Regierungsviertel einzudämmen.“
       
       ## Erinnerung an den Sturm auf das US-Kapitol
       
       Die Ereignisse erinnerten an die Erstürmung des US-Kapitols fast auf den
       Tag genau vor zwei Jahren am 6. Januar 2021 [11][durch Anhänger des
       ehemaligen Präsidenten Donald Trump]. Auch der hatte nach seiner Abwahl zu
       Protesten aufgerufen, bei denen das Parlamenstgebäude gestürmt worden war.
       
       [12][Der linke Politiker Lula hatte vor einer Woche seinen Amtseid
       abgelegt]. Lula hatte [13][die Stichwahl Ende Oktober äußerst knapp gegen
       Bolsonaro gewonnen].
       
       Der Rechtspopulist Bolsonaro hatten den Sieg nicht anerkannt und das Land
       48 Stunden vor dem Ende seiner Amtszeit verlassen. Vor seinem Abflug nach
       Florida wandte er sich an seine Anhänger und rief sie zum Kampf gegen Lula
       auf. Sie haben seit der Stichwahl gegen deren Ausgang protestiert und einen
       Militärputsch gefordert, um eine Amtsübernahme von Lula zu verhindern.
       Dieser ist zum dritten Mal im Amt. Er war bereits von 2003 bis 2010
       Staatsoberhaupt.
       
       Die Kluft zwischen beiden Lagern in der Gesellschaft ist so tief wie nie
       seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie 1985. Beide Politiker machten
       sich im Wahlkampf gegenseitig massive Vorwürfe etwa wegen Korruption und
       haben damit zur Polarisierung der Gesellschaft beigetragen. Lula war 2018
       wegen Bestechlichkeit verurteilt worden und hatte eineinhalb Jahre im
       Gefängnis verbracht. 2021 wurden die Urteile gegen ihn aufgehoben. Seine
       Zeit im Gefängnis habe seinen Sinn für soziale Gerechtigkeit verstärkt,
       sagten Vertraute.
       
       ## Solidarität aus den Nachbarstaaten
       
       Vertreter anderer linksgerichteter Regierungen in Lateinamerika sagten Lula
       umgehend ihre Unterstützung zu. Der Präsident Kolumbiens, [14][Gustavo
       Petro, versicherte auf Twitter] Lula und den Brasilianern seine
       Solidarität. Der Faschismus habe beschlossen, einen Staatsstreich zu
       begehen, so Petro weiter. Er rief zu einer Dringlichkeitssitzung der
       Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf.
       
       Auch der argentinische Präsident Alberto Fernandez sprach von einem
       Putschversuch und bot Unterstützung an. Lulas Regierung habe Chiles volle
       Unterstützung angesichts des „feigen, abscheulichen Angriffs auf die
       Demokratie“, [15][schrieb Präsident Gabriel Boric auf Twitter]. Der
       mexikanische Außenminister Marcelo Ebrard schrieb ebenfalls über den
       Kurznachrichtendienst, sein Land stelle sich gegen jeden Angriff auf
       demokratische Institutionen.
       
       Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) war am Sonntagabend einer
       der ersten deutschen Politiker, die die Lage in Brasília kommentierten. Er
       hoffe sehr, „dass Polizei & Einsatzkräfte die Rechtsradikalen bald
       zurückdrängen können“, [16][schrieb Özdemir auf Twitter] und fügte hinzu:
       „Egal wo, am Ende wollen Rechtsradikale & Faschisten immer das eine:
       Demokratie zerstören.“
       
       Später verurteilte auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock die
       Erstürmung der Gebäude „Was in (der Hauptstadt) Brasília passierte, war ein
       feiger und gewalttätiger Angriff auf die Demokratie“, schrieb Baerbock am
       Montag auf Twitter. „Unsere ganze Solidarität gilt dem brasilianischen
       Volk, seinen demokratischen Institutionen und Präsident Luiz Inácio Lula da
       Silva.“
       
       UN-Generalsekretär António Guterres hat den Sturm auf
       Regierungsinstitutionen in der brasilianischen Hauptstadt verurteilt. Er
       sei aber zuversichtlich, dass der Wille des Volkes und die Institutionen
       des Landes respektiert würden, teilte Guterres auf Twitter mit.
       
       Der britische Außenminister James Cleverly versicherte dem brasilianischen
       Präsidenten Inácio Lula da Silva die Unterstützung seines Landes. „Die
       gewaltsamen Versuche, die Demokratie in Brasilien zu untergraben, sind
       nicht zu rechtfertigen“, twitterte er.
       
       8 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/Metropoles/status/1612146430864510976
   DIR [2] https://twitter.com/guilherme_amado/status/1612177212920463361
   DIR [3] https://twitter.com/Metropoles/status/1612179284914851842
   DIR [4] https://g1.globo.com/df/distrito-federal/noticia/2023/01/08/bolsonaristas-radicais-entram-em-confronto-com-a-policia-na-esplanada-e-sobem-rampa-do-congresso-nacional-em-brasilia.ghtml
   DIR [5] https://twitter.com/LulaOficial/status/1612191803901444098
   DIR [6] https://twitter.com/LulaOficial/status/1612191807940460545
   DIR [7] https://twitter.com/LulaOficial/status/1612194283796434945
   DIR [8] https://twitter.com/jairbolsonaro/status/1612242019564548097
   DIR [9] https://twitter.com/gleisi/status/1612157382129238020
   DIR [10] https://twitter.com/IbaneisOficial/status/1612179567351066624
   DIR [11] /Kapitol-Ausschuss-in-den-USA/!5903361
   DIR [12] /Brasilien-nach-Bolsonaro/!5903636
   DIR [13] /Lula-gewinnt-die-Stichwahl-in-Brasilien/!5891471
   DIR [14] https://twitter.com/petrogustavo/status/1612160925859028992
   DIR [15] https://twitter.com/GabrielBoric/status/1612171319789117440
   DIR [16] https://twitter.com/cem_oezdemir/status/1612176412743553024
       
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