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       # taz.de -- Eintopf der Creole- und Cajun-Küche: Sumpfig, sämig und gut wie Gumbo
       
       > Dieses Gericht aus New Orleans ist eine Entdeckung – und eine
       > schokobraune Roux die Basis unergründlicher Tiefe.
       
   IMG Bild: Gumbo aus Louisiana: Dunkle Roux gibt dem Eintopf aus der Creole- und Cajun-Küche seine Tiefe
       
       New Orleans liegt inmitten des Mississippi-Deltas, teilweise unter dem
       Meeresspiegel. Sümpfe umgeben die Stadt, Flüssiges und Festes vereinen sich
       zu einem besonderen Ort. Und mittendrin: Gumbo, ein Grundnahrungsmittel
       dort. Der Geschmack vertraut und fremd zugleich, die Farbe zwischen Rot,
       Grün und Braun changierend; tief und unergründlich wie das gesamte Gericht,
       das mit seiner morastigen Flüssigkeit an die kilometerlangen Sumpfgebiete
       und Wasserzüge erinnert, die man auf dem Weg [1][nach New Orleans]
       passiert.
       
       Das Gumbo kann Suppe oder Eintopf sein, es ist Aushängeschild der Creole-
       und Cajun-Küche. Erstmals erwähnt wird es 1802, doch erst mit dem
       TV-Zeitalter dringt der Ruf des magischen Gerichts in andere Teile der USA.
       Heute findet man es hin und wieder sogar in Europa auf Speisekarten.
       
       Das Nationalgericht Louisianas spiegelt die verwobene Geschichte seiner
       Bewohnerinnen und Bewohner wider. Spanische und französische,
       westafrikanische und indigene Menschen prägten die Region und ihre Küche.
       Dabei [2][spielte auch die Sklaverei eine Rolle], zugleich gab es
       historisch viele freie Schwarze und wurde die bis heute gültige,
       rassistische Einteilung in „Schwarz“ und „Weiß“ erst später von den
       protestantischen Angloamerikanern aus dem Norden über die Bevölkerung
       gebracht, doch das ist eine Geschichte für sich, wenn sie auch tief im
       Gumbo mitschwingt.
       
       Auch die Vorfahren von Leah Chase kamen aus allen Himmelsrichtungen nach
       New Orleans. Chase, die 2019 im Alter von 96 Jahren starb, gilt bis heute
       als Queen des Gerichts, in ihrem Lokal „Dooky Chase“ [3][bewirtete sie
       einst auch Präsident Obama]. Zwischendurch musste sie ihrem Gast, der sich
       etwas zu aufdringlich den Kochtöpfen näherte, auf die Finger klopfen: „Er
       sollte nicht mein Gumbo verpfuschen!“
       
       ## Von Mythen umrankt
       
       Bei der Zubereitung sollte man ein paar Dinge beherzigen: Mythenumranktes
       Herzstück jedes Gumbos ist die Roux, also eine Mehlschwitze, angerührt aus
       gleichen Teilen Pflanzenöl und Mehl, je eine Tasse. Bei mittlerer
       Temperatur rührt man ständig weiter. Während sie sich strohblond und
       erdnussfarben, später schokoladenbraun verfärbt, entwickelt die Mischung
       einen fast beißenden Gestank, bis sie schließlich nussig und herzhaft
       riecht. Die Legende besagt: Je dunkler die Roux, desto besser, tiefer,
       unergründlicher das Gumbo. Nichts anbrennen lassen!
       
       In die Roux wird nun die berühmte Holy Trinity geworfen, die klein
       gewürfelte Dreifaltigkeit aus etwa gleichen Teilen Zwiebel, grüner Paprika
       und Staudensellerie. Es brutzelt und zischt, während das Gemüse langsam
       gart. Ist die Zwiebel glasig, kippt man mit ordentlich Brühe (Huhn, Gemüse
       oder gar Fisch – je nach Gusto) auf.
       
       Das war es beinahe schon. Jetzt kommt die Kür. Meeresfrüchte, Meeresfrüchte
       mit Wurst, Wurst mit Hühnchen oder alles auf einmal: Tierische Proteine
       gehören zwingend ins Gumbo. In ländlichen Regionen kommt hinein, was die
       Jagd hergibt, im Zweifel sogar Eichhörnchen. Shrimps und Langusten sind
       typisch, aber in Louisiana werden auch andere Krustentiere im Ganzen ins
       Gumbo geworfen.
       
       ## Mit Thymian abgeschmeckt
       
       Als Gewürz eignet sich eine Mischung aus Thymian, Cayennepfeffer,
       geräuchertem Paprika-, vielleicht einer Prise Knoblauchpulver, Salz und
       Pfeffer. Hühnchen kann vorher mit Gewürzen angebraten werden, wenn nicht
       ohnehin Reste vom Vortag übrig sind. Zu einem Chicken & Sausage Gumbo
       gehört in jedem Fall die in Scheiben geschnittene Andouille Sausage, eine
       kräftige Wurst aus geräuchertem Fleisch, Pfeffer und Gewürzen.
       
       Als Ersatz zum Nachkochen außerhalb Louisianas empfehlen sich Varianten
       wie Paprika-Kolbasz, polnische Krakauer oder spanische Chorizo. Es gibt
       aber auch eine vegetarische Variante: Gumbo z’Herbes, so sein Name in
       diesem wunderbar ausgedacht klingenden Louisiana-Französisch, war in der
       katholisch geprägten Region mit neun Arten Blattgemüse ein Gericht für den
       fleischfreien Karfreitag. Es wird allerdings gänzlich anders zubereitet.
       
       Wenn sich die Geschmäcker einige Stunden lang vermählt haben, kommen noch
       die in Scheiben geschnittenen Okraschoten hinzu. Sehr authentisch wäre
       jetzt noch eine Prise Filé, kleingemahlenes Pulver des Sassafrasbaumes, das
       vor dem Servieren über das Gericht gestreut wird. Mit Reis servieren,
       fertig!
       
       Ein gutes Gumbo ist so intensiv, wie es gerade noch erträglich scheint. Wie
       kann eine Handvoll so simpler Zutaten eine solche Geschmacksexplosion
       entfalten? Pure Alchemie. Wonach aber schmeckt das Gericht nun? Ein
       bisschen nach Brateneintopf, das macht die Roux. Wer zehn Leute befragt,
       erhält zehn verschiedene Antworten. „Verrückt und gleichzeitig überhaupt
       nicht verrückt“ lautet eine. Das Gumbo ist kulinarisches Zeugnis einer
       Region, ihrer Menschen und ihrer Geschichte, das Widersprüche nicht
       auflöst, allzu schlichte Dualismen aber schon.
       
       21 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /300-Jahre-New-Orleans/!5525517
   DIR [2] /Neuer-Lucky-Luke-Band-vor-US-Wahl/!5722016
   DIR [3] https://www.indiatoday.in/lifestyle/people/story/meet-the-95-year-old-chef-who-has-bowled-over-obama-and-oprah-1263334-2018-06-18
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina J. Cichosch
       
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