URI: 
       # taz.de -- Protest gegen Ausverkauf bei Gruner+Jahr: Das Flaggschiff wird abgewrackt
       
       > Beschäftigte von Gruner+Jahr haben in Hamburg mit einer „kreativen
       > Mittagspause“ gegen den Ausverkauf des Verlagshauses protestiert.
       
   IMG Bild: Haben die Nase voll von Verkaufsgerüchten: Mitarbeiter:innen von Gruner+Jahr
       
       Hamburg taz | „Die Sorgen scheinen überhandzunehmen, eine allgemeine
       Verunsicherung schleicht sich in die Gesellschaft ein.“ Doch: „Wir haben
       mehr in der Hand, als es scheint.“ Mit diesen Worten beginnt ein Essay, der
       in der ersten Ausgabe des neuen Jahres der in Hamburg produzierten
       RTL-Zeitschrift Geo erschienen ist. Zehn Autor*innen präsentieren dort
       „neun Gründe“, weshalb wir trotz allem „mit Zuversicht ins neue Jahr
       blicken können“.
       
       Sorgen, allgemeine Verunsicherung – das sind auch Schlagworte, die die
       Stimmungslage der Mitarbeitenden von Geo und anderen ehemaligen
       Gruner+Jahr-Titeln beschreiben. Dass sie viel „in der Hand haben“ und mit
       „Zuversicht“ auf das Jahr 2023 blicken können, lässt sich allerdings nicht
       sagen. Seit rund einem Monat geistern wild klingende, aber nicht
       unsubstanzielle Spekulationen durch die Medien, dass die mehrheitlich zu
       Bertelsmann gehörende [1][Sendergruppe RTL] sich [2][fast aller
       Zeitschriften entledigen] will.
       
       Längst ist die Stimmung in Wut umgekippt, weshalb am Mittwoch rund 250
       Mitarbeitende im Rahmen einer „kreativen Mittagspause“ auf der
       Fußgängerbrücke vor dem Verlagshaus am Baumwall protestiert haben. „Stoppt
       den Ausverkauf“, lautete dabei die am häufigsten zu sehende Parole.
       
       Außerdem protestierten die Mitarbeitenden mit auf Pappen geklebten
       Titelbildern von Mom, Beef!, oder Guido sowie mit Plakaten, die auf
       Fernsehserien („Notruf Hafenkante“) oder den Bertelsmann-Stammsitz
       anspielten („Gütersloh, wir haben ein Problem“).
       
       ## Appell an den „Rabenvater“ bei RTL
       
       Auch Würdigungen des Bertelsmann-Vorstandschefs Thomas Rabe („Rabenvater“)
       durften natürlich nicht fehlen. Und Redakteur*innen eines Ablegers der
       Frauenzeitschrift Brigitte formulierten auf einem Plakat apokalyptisch:
       „Brigitte Be GREEN – Themen: Überleben des Planeten – Eigenes Überleben:
       Ungewiss.“
       
       Das Unheil für die seit vielen Jahren mit abrupten und abstrusen
       Strategiewechseln konfrontierten Mitarbeitenden des Verlags begann sich
       2021 zu verschärfen, [3][als RTL Gruner+Jahr übernahm]. Die aktuellen
       Verkaufsspekulationen begannen mit einem Bericht in der Süddeutschen
       Zeitung kurz vor Weihnachten. Demnach stehen außer dem Stern alle Titel des
       alten Gruner+Jahr-Verlags zum Verkauf. „Man kann dem Bertelsmann-Chef
       Thomas Rabe nicht vorwerfen, beim Ausradieren des Gruner+Jahr-Verlags
       übertriebene Sensibilität an den Tag zu legen“, [4][schrieb daraufhin die
       für derlei Kritik an Konzernherrschern sonst nicht bekannte FAZ].
       
       Andere Quellen gehen davon aus, dass neben dem Stern noch zwei, drei
       weitere Titel „sicher“ seien. Um die Brigitte gebe es einen
       „Bieterwettbewerb“, weiß der Branchendienst meedia.de. Das Manager Magazin
       schreibt in seiner Februar-Ausgabe, der Zeitschriftenverkauf, den bei RTL
       ein sogenannter Transformationsbeauftragter verwalte, verlaufe „chaotisch“.
       „Noch im Januar“ wolle Bertelsmann-Boss Rabe, der seit Sommer auch bei RTL
       Deutschland an der Spitze steht, „nun entscheiden, welche Titel welchen
       Käufern angeboten werden sollen“.
       
       Die Interessenvertretung Freischreiber teilt die potenziellen
       Verkaufsobjekte in einem Schreckensszenario in zwei Kategorien auf: „Titel,
       die direkte Mitbewerber wegkaufen, aber nicht weiterführen; und Titel, die
       zwar andere Verlage übernehmen, aber aus den eigenen Redaktionspools
       bedienen und bei denen künftig Renditeziele über allen anderen stehen.“ Die
       freien Journalistinnen und Journalisten, deren Interessen die Organisation
       vertritt, bangen um die relativ lukrativen Aufträge von Brigitte, Eltern
       und Co.
       
       Bei der Protestaktion am Mittwoch verlasen nun zwei Mitglieder
       verschiedener Redaktionsbeiräte einen Brief, den sie [5][an die
       Bertelsmann-Eigentümerfamilie Mohn geschrieben] hatten. Darin wehren sich
       die Beiräte „gegen die Spaltung, die betrieben wird“. Ihre Botschaft:
       „Gruner+Jahr ist ein Gesamtpaket, das sowohl in der redaktionellen
       Zusammenarbeit als auch im Werbemarkt funktioniert.“
       
       ## Vor neun Monaten schien es eine Zukunft zu geben
       
       Gerade mal ein Dreivierteljahr ist es her, dass [6][RTL eine neue
       Organisationsstruktur präsentierte], in die die Zeitschriftentitel
       integriert wurden. Darin sind fünf übergeordnete Themenbereiche aufgeführt,
       für die insgesamt 14 Oberchefredakteur*innen verantwortlich zeichnen.
       Ihnen sind wiederum Titel-Chefredakteur*innen untergeordnet.
       
       Dieses Leitungsfunktions-Organigramm erweckte noch den Eindruck, als gäbe
       es eine Zukunft für die Zeitschriften bei RTL. Das hinderte die neuen
       Herrscher im August 2022 aber nicht daran, den Namen Gruner+Jahr quasi aus
       dem Hamburger Stadtbild verschwinden zu lassen: Sie ersetzten am Gebäude am
       Baumwall das alte grün-weiße Verlagslogo durch RTL-Schilder.
       
       Martin Klingberg, Mitglied der Verdi-Betriebsgruppe bei den
       RTL-Zeitschriften, erinnerte während der kreativen Mittagspause nun daran,
       dass die früheren G+J-Hierarchen Stephan Schäfer und Oliver Radtke, die
       heute nicht mehr für RTL tätig sind, 2021 versprochen hatten, es werde „bei
       der Fusion keiner auf der Strecke bleiben. Wir erwarten, dass das
       Versprechen eingehalten wird“. Anja Westheuser vom Deutschen
       Journalisten-Verband sagte, es stünden derzeit nicht nur „journalistische
       Vielfalt“ und Arbeitsplätze auf dem Spiel, sondern „auch die
       Glaubwürdigkeit von RTL Deutschland und Bertelsmann“.
       
       Einer der zehn Autor*innen der Optimismus verbreitenden
       Geo-Titelgeschichte hat übrigens schon seinen Abschied angekündigt: Horst
       von Buttlar, im Hauptamt Chefredakteur beim Wirtschaftsmagazin Capital,
       wechselt zur Wirtschaftswoche.
       
       Dass einer der einflussreichsten Journalisten des Hauses – von Buttlar ist
       einer von zwei Oberchefredakteuren „n-tv, Wirtschaft & Wissen“ – in den
       Sack haut, sehen viele Mitarbeitende als Indiz dafür, dass
       Zeitschriftenjournalismus bei RTL keine Zukunft hat.
       
       26 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Chef-Wechsel-bei-RTL/!5873311
   DIR [2] /Fusion-von-RTL-und-GJ/!5884852
   DIR [3] /Abschied-von-Gruner--Jahr/!5827323
   DIR [4] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/wie-bertelsmann-chef-rabe-gruner-jahr-abschafft-18368594.html
   DIR [5] https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/gruner-jahr-redaktionen-wehren-sich-gegen-zerschlagung-a-1cdbd012-b690-4235-85ad-bdef9e48a612
   DIR [6] /Umstrukturierung-des-RTL-Konzerns/!5855488
       
       ## AUTOREN
       
   DIR René Martens
       
       ## TAGS
       
   DIR Gruner + Jahr
   DIR RTL
   DIR Bertelsmann
   DIR Medien
   DIR Hamburg
   DIR Wirtschaft
   DIR GNS
   DIR Stellenabbau
   DIR Gruner + Jahr
   DIR Kolumne Flimmern und Rauschen
   DIR RTL
   DIR Gruner + Jahr
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Stellenabbau bei Gruner +Jahr: Kabale und Magazine
       
       Der Stellen- und Magazinabbau von Gruner +Jahr kommt, weil den Eigentümern
       die Inhalte egal sind. Nicht, weil es unprofitabler Journalismus wäre.
       
   DIR Großer Stellenabbau bei Gruner + Jahr: Lustloses Imperium
       
       RTL will über 20 Titel des früheren Verlags Gruner + Jahr einstellen. Rund
       500 Stellen sollen wegfallen. Die Belegschaft hat aber Kampfgeist.
       
   DIR Fusion von RTL und G+J: Mit dem Journalismus ist es vorbei
       
       Bertelsmann hat einen neuen Imagefilm. Journalismus taucht darin nicht auf.
       Dabei gehören auch die Magazine von Gruner + Jahr zur Medienbutze.
       
   DIR Umstrukturierung des RTL-Konzerns: Journalismus-Offiziere
       
       Die neue Struktur des RTL-Konzerns ist kompliziert. Und zeigt
       Top-down-Strukturen, bei denen Journalist*innen nicht das letzte Wort
       haben.
       
   DIR Abschied von Gruner + Jahr: Erst Dummheit, dann Mutwillen
       
       Mit der Auflösung von Gruner + Jahr in RTL endet auch der Traum von einem
       idealen Verlag. Silke Burmester hat ihn eine Zeit lang mitgeträumt.