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       # taz.de -- TV-Programm ohne trans Menschen: Vermeintliche Zwangsvertransung
       
       > Unser Autor hat circa 200 Fernsehfilme und -serien aus dem Jahr 2022
       > gesehen. Sein Fazit: Die meisten Geschichten kommen ohne Queers aus.
       
   IMG Bild: Im Biopic „Alice“ ist das Queersein nicht alles bestimmend
       
       Während der letzten Monate habe ich sehr viel deutsches Fernsehen geguckt.
       Beruflich. Ich durfte dabei helfen, das Fernsehprogramm des vergangenen
       Jahrs für den Grimme-Preis in der Kategorie „Fiktion“ zu sichten. Eine
       ambivalente Freude, einerseits liebe ich Fernsehen und gut erzählte
       Geschichten – andererseits ist Fernsehen oft betulich, bürgerlich und
       polizeiverliebt.
       
       An die 200 Fernsehfilme und -serien aus 2022 hab ich angeschaut. Man wird
       dabei ein bisschen verrückt, aber man erkennt Muster. Es ist schier
       unglaublich, wie viele Plots einzig auf der Idee aufbauen, [1][dass die
       bürgerliche, weiße, hetero Kleinfamilie] aus der Margarinewerbung insgeheim
       total kaputt ist.
       
       Er tötet sie, sie tötet ihn, irgendwer tötet sich selber oder zumindest den
       Hund. Oder es gibt ein furchtbares Geheimnis, eine große Schuld,
       schleichenden Wahnsinn, Eifersucht, Gewalt, Trauma, gestörte Kindheiten,
       natürlich alles in schönen Häusern am Stadtrand. Die Variation besteht oft
       nur noch in der Frage, ob die Kleinfamilie am Ende kaputt bleibt (Drama,
       Krimi) oder sich zusammenrauft (Melodrama, Komödie).
       
       Klar, dass diese Geschichten meistens ohne Queers auskommen. Ich zähle in
       meiner Auswahl zirka zehn Filme oder Serien mit L,G,B und T als
       Hauptfiguren. Dann noch mal so viele, wo queere Figuren immerhin wichtige
       Rollen im Ensemble spielen (zum Beispiel bei „Babylon Berlin“). Dann hie
       und da eine Lesbe, die ein- zweimal durchs Bild läuft. Das ist
       #besseralsnix und sowieso #besseralsfrüher. Und ich muss loben, dass bei
       den meisten queeren Hauptfiguren das Queersein wichtig, aber nicht alles
       bestimmend war. In den „Tatort“-Filmen[2][„Das Opfer“] und
       [3][„Schattenleben“] etwa, oder im [4][Biopic „Alice“].
       
       ## Zehn Prozent sind nicht viel
       
       Fortschritt also. Und doch: Zehn Prozent sind nicht viel, wenn man bedenkt,
       dass neunundneunzig Prozent des Publikums queere Geschichten dringend
       brauchen – weil sie selber LGBT sind, oder Verwandte, Freund*innen,
       Vorgesetzte …
       
       Schmunzeln muss ich außerdem, wenn Konservative schreiben, dass das
       öffentlich-rechtliche Fernsehen „Exekutivorgan“ der „Translobby“ sei
       (Cicero). Eine einzige trans/nonbinäre Hauptfigur hat es dieses Jahr ins
       Fernsehen geschafft: in der ZDF-Serie „Becoming Charlie“. Bei „Notruf
       Hafenkante“ trat außerdem in einer Folge ein trans Mann auf, und natürlich
       darf die wunderbare [5][Zazie de Paris] in jedem Frankfurt-„Tatort“ drei
       Sätze sagen. Alles weit entfernt von unverhältnismäßiger
       Trans-Repräsentation. Das Herbeifantasieren einer öffentlich-rechtlichen
       Zwangsvertransung ist eine typische reaktionäre Überkompensation, wenn
       plötzlich nicht mehr alles Queere als krank und problematisch dargestellt
       wird.
       
       Witzig oder? Dass wir so gern Familien dabei zugucken, wie sie sich
       gegenseitig umbringen, traumatisieren und in den Wahnsinn treiben. Aber
       echter Horror ist, wenn sie trans und zufrieden sind.
       
       26 Jan 2023
       
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