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       # taz.de -- Nicht-Akademikerkinder an der Uni: Ich bin hier falsch
       
       > Kinder, deren Eltern nicht studiert haben, haben es an der Uni schwerer.
       > Das Studentenwerk Schleswig-Holstein will sie unterstützen.
       
   IMG Bild: Die Unterstützung durch die Eltern ist für Studierende wichtig
       
       Kiel taz | Ich bin hier falsch – kann ich das überhaupt – bin ich wirklich
       schlau genug für die Uni?“ Solche Fragen, sagt Andrea Witthohn,
       beschäftigten junge Erwachsene, die als Erste in ihrer Familie eine
       Hochschule besuchen: „Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind Themen.“
       
       Die Psychologin berät beim [1][Studentenwerk Schleswig-Holstein]
       Studierende. Aus ihren Erfahrungen dort und ihrer eigenen Biografie kennt
       sie die Unsicherheiten, die mit dem nichtakademischen Hintergrund
       einhergehen, und will dieser Personengruppe eine Plattform zum Austausch
       bieten. Dabei schaut sie besonders auf die emotionalen und psychologischen
       Aspekte.
       
       Dass es schwierig sein kann, in das Uni-Milieu einzutauchen, hat Andrea
       Witthohn selbst erlebt. Die 33-Jährige stammt aus Heide in Dithmarschen an
       der Westküste von Schleswig-Holstein, ihre Eltern haben beide nicht
       studiert. „Dass das etwas ausmacht, habe ich erst später gemerkt“, erzählt
       sie.
       
       Etwa nach dem Abschluss ihres Studiums in Hamburg: „Andere hatten kaum
       Probleme mit dem Übergang in den Beruf. Da griff das Netzwerk, Papa hat ein
       Praktikum organisiert, Mama gab Tipps. Ich habe Kreise gedreht – auch
       innerlich. Meine Familie konnte mir nicht so helfen, wie es bei anderen der
       Fall ist.“
       
       ## Psychologische Probleme
       
       Witthohn engagierte sich während ihres Studiums bei [2][Arbeiterkind.de],
       einer bundesweiten Organisation für Studierende, die als Erste in ihrer
       Familie einen Universitätsabschluss anstreben. „Aber da geht es sehr oft um
       praktische und finanzielle Fragen“, sagt Witthohn. „Ich wollte das Thema
       von der psychologischen Seite angehen.“
       
       Die Gelegenheit bietet sich ihr jetzt beim Studentenwerk
       Schleswig-Holstein. Witthohn ist Ansprechpartnerin für psychologische
       Probleme, viele davon sind unispezifisch, wie Prüfungsangst oder
       Leistungsdruck.
       
       Die Selbstzweifel von Nichtakademiker-Kindern seien selten offen ein Thema,
       spielten aber unterschwellig eine Rolle, stellt die Psychologin fest.
       Gemeinsam mit den lokalen Gruppen von Arbeiterkind.de bot sie im Januar
       erstmals ein Onlinetreffen für Studierende aus nichtakademischen Familien
       an.
       
       Dass das deutsche Bildungssystem hohe Hürden für Arbeiterkinder aufbaut,
       zeigen Studien immer wieder. Laut dem 2022 erschienenen
       Hochschul-Bildungs-Report, [3][der die Entwicklungen der Coronajahre
       einbezieht], beginnen nur 27 Prozent der Jugendlichen aus
       Nichtakademikerhaushalten ein Studium. Haben die Eltern dagegen eine Uni
       besucht, folgen knapp 80 Prozent ihrer Kinder diesem Bildungsweg.
       
       In den Coronazeiten hätten sich die fehlenden Kontakte zu
       Kommiliton*innen und Lehrenden auf Studierende ohne akademischen
       Hintergrund besonders ausgewirkt, denn die Einsamkeit am heimischen
       Schreibtisch führte „oftmals zu Informationsdefiziten und mentalen
       Barrieren: Erststudierende verlieren den Anschluss und fühlen sich nicht
       zugehörig“, [4][heißt es in dem Bildungsreport].
       
       Um so wichtiger sei es, Jugendlichen zu vermitteln, dass sie eben nicht
       allein seien, sagt Andrea Witthohn. „Es geht darum, Mut zu machen.“
       
       Am ersten Treffen nahmen sechs junge Erwachsene aus drei Unistandorten
       teil, nicht überragend viel. Entmutigen lässt sich Witthohn dadurch nicht:
       Das nächste Treffen soll mit längerem Vorlauf und zu Beginn des Semesters
       stattfinden. Auch der Zeitrahmen muss sich ändern, denn die Teilnehmenden
       hatten viel zu berichten: „Wir hatten eine Stunde geplant, das war zu
       kurz.“
       
       29 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://studentenwerk.sh/de/das-studentenwerk-sh
   DIR [2] https://www.arbeiterkind.de/
   DIR [3] /Studium-waehrend-der-Coronapandemie/!5723903
   DIR [4] https://www.hochschulbildungsreport.de/sites/hsbr/files/hochschul-bildungs-report_abschlussbericht_2022.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Esther Geißlinger
       
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