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       # taz.de -- Robert Forster „The Candle and the Flame“: Das Leben und die Endlichkeit
       
       > Das neue Album des australischen Singer-Songwriters Robert Forster ist
       > eine berührende Antwort auf die Krebsdiagnose seiner Frau.
       
   IMG Bild: Hat seine eigene Vorstellung von „beauty“: Robert Forster
       
       Wer wissen möchte, ob es sich lohnt, das neue Album „The Candle and the
       Flame“ des australischen Singer-Songwriters Robert Forster zu hören, sollte
       sich das Video zu seinem Song „She’s a Fighter“ anschauen. Den hat Forster
       über und für seine deutsche Frau Karin Bäumler geschrieben.
       
       Sie musste sich einer Chemotherapie unterziehen, nachdem im Juli 2020
       Eierstockkrebs bei ihr diagnostiziert wurde. Im Video sitzt sie im Kreis
       der vierköpfigen Familie, trägt eine graue Kurzhaarfrisur und spielt
       Xylophon. Text hat sie keinen, aber zweimal, in der Mitte und am Ende des
       zweiminütigen Kleinods, gibt sie ein langgestrecktes, befreit gehauchtes
       „Haaaaahhhh“ von sich.
       
       „Unser Sohn Louis spielt ja längst mit seiner eigenen Band The Goon Sax“,
       sagt Forster der taz. „Mit uns Eltern zusammen wurde er dagegen noch nie
       beim Musizieren gesehen. Und unsere Tochter Loretta ist überhaupt noch nie
       öffentlich als Musikerin in Erscheinung getreten. Wir wussten also, dass
       dieses Video ein starkes Statement wird.“ Allerdings.
       
       ## Pop-Klischees werden weggewischt
       
       Denn was in diesen nur wenig mehr als zwei Minuten alles eingefangen ist,
       lässt sich nur nach und nach fassen. Natürlich ist da die Endlichkeit, aber
       mehr noch das Leben. Die zwei jungen Erwachsenen, die trotz ihrer Schönheit
       und Coolness in einem gewöhnlichen Musikvideo kaum auffallen würden. Hier
       aber feiern sie nicht nur standesgemäß ihre Jugend.
       
       Den Song für die erkrankte Mutter, könnte man als rituell bezeichnen (drei
       Akkorde, stakkatohafter Rhythmus). Dabei hauen sie in die Saiten – als
       Percussion drischt Louis zudem wütend auf einen Einkaufswagen ein –, als
       ginge es um Leben und Tod. Und darum geht es ja auch. Emotionalität,
       stellvertretend für Versprechen und Transzendalität im Pop. Musiker werden
       als jüngerer Teil eines Generationenzusammenhangs erkennbar und dadurch zu
       Menschen, nicht nur zu Figuren.
       
       Daneben Karin Bäumler und Robert Forster, von denen sich jüngere,
       glamourösere Versionen ihrer selbst (Bäumler als Teil der Band Baby You
       Know, Forster als Teil der Band Go-Betweens) ebenfalls im Netz
       recherchieren lassen. Sie wirken gealtert und verletzlich. Gleichzeitig
       sehr lebendig und stark. Wie viele Pop-Klischees und -Lügen von Jugend und
       alterndem Genie, von Coolness und Originalität, von „it is better to burn
       out than it is to rust“ werden in diesem Song mit einem Handstreich
       weggewischt.
       
       ## Familie als Keimzelle lebendiger Popmusik
       
       Die Mythen werden nicht unbedingt durch etwas Besseres, aber vielleicht
       durch etwas Wahreres, etwas Wirklicheres ersetzt. Und die Kleinfamilie, das
       bürgerliche Zwangsgebilde, hier als Keimzelle lebendiger, berührender,
       stärkender, vielleicht sogar rettender Popmusik. Hat man so was schon
       gesehen und gehört?
       
       „She’s a Fighter“ ist der einzige von neun Songs auf „The Candle and the
       Flame“, den Robert Forster nach der Krebsdiagnose seiner Frau komponiert
       hat. Trotzdem hört sich das Album vor diesem biografischen Hintergrund
       anders an, [1][als es jemals sonst geklungen hätte].
       
       „Nehmen Sie die Songtitel, wie ‚There’s a Reason to Live‘, und auch viele
       der Texte, sie haben nach der Diagnose eine ganz neue Bedeutung bekommen,“
       sagt Forster. „Es ist geradezu unheimlich, wie gut manche meiner Songtexte
       zu dem passen, was danach passiert ist.“
       
       Ursprünglich hatte Robert Forster gar keine Pläne für ein neues Werk, aber
       er hat seine Lieder so oft mit seiner Frau gespielt, zu Hause, nach Tagen
       der Ungewissheit, dass ein Album mit diesen Songs irgendwann als das
       Richtige erschien.
       
       Eine schöne Vorstellung, wie die beiden zusammen im Wohnzimmer „Tender
       Years“ gespielt haben, eine Liebeserklärung Forsters an seine Frau, nach
       über 30 Jahren Ehe: „I see her through the ages / She’s a book of a
       thousand pages / That you can thumb / Images of her are vivid / Her beauty
       has not withered / From her entrance in Chapter One“.
       
       Auch dazu gibt es ein Video. Wir sehen Forster in der Küche in Brisbane
       dabei zu, wie er Müsli für sich und seine Frau zubereitet – eine banale
       Alltagstätigkeit, ungeschnitten, ungeschminkt, ohne künstliches Licht.
       
       ## Das Leben zelebrieren
       
       Forster macht sehr deutlich, dass seine Vorstellung von „beauty“ nichts mit
       Oberflächen zu tun hat. Er zelebriert das Leben, das ja bekanntlich das ist
       „what happens while you are busy making other plans“. [2][Auch die Musik
       ist wenig geschönt.] Keine Streicher, kein Klavier, die meisten Songs sind
       live aufgenommen, weil während der Chemotherapie nur wenig Zeit zur
       Verfügung stand – und auch niemand wusste, wie viel Zeit überhaupt noch
       bleibt.
       
       Sicher lässt eine*n das Wissen über den Hintergrund der Entstehung diese
       Musik anders hören. Aber auch in den Aufnahmen, in der Musik selbst steckt
       die Dringlichkeit, die Bedeutung, die die Worte und Töne durch Bäumlers
       Krankheit bekommen. „I don’t do drugs, I do time“, singt Forster mit seiner
       Frau im Duett. Wie das geht? Sich hinsetzen und erinnern, an ein Leben
       voller Ereignisse: „Make it stop and rewind / reimagine, redefine“.
       
       Forster erinnert sich auch an seine zweite Heimat Bayern, wo er lange mit
       seiner Frau gelebt hat: In „The Roads“ besingt er die Landschaft und
       Straßen rund um Regensburg, wo Karin Bäumler aufgewachsen ist.
       
       „Den Song habe ich im Januar 2020 geschrieben, als wir das letzte Mal dort
       waren. In Deutschland fährt immer Karin, ich bin Beifahrer und schaue aus
       dem Fenster. Da sind diese kleinen Straßen, die an einzelnen Häusern enden.
       Wir fahren durch kleine Ortschaften wie Hainsbach und Mengkofen. Diese
       Straßen sind so schön, sie bringen einen an andere Orte, sie zeigen einem
       Dinge.“
       
       ## Forsters Sicht auf Deutschland
       
       „Germany includes me a great deal“, sagt Forster, der aus diesem riesigen
       Land am anderen Ende der Welt kommt. Und das politisch in der Welt oft eher
       eine kleine Rolle spielt. Mit viel Sympathie blickt er auf das kleine
       Germany, das politisch eine große, aber selten glückliche Rolle spielt.
       
       Nur die deutsche Bürokratie, die fürchtet er. Aber Forster denkt weniger an
       die Politik als an die Menschen, die er in Deutschland lieben gelernt hat.
       Das Leben reduziert sich immer mehr auf wenige Dinge, die er in seinen
       Songs zu einer Essenz einkocht.
       
       Karin Bäumler ist derzeit auf dem Weg der Besserung. Sie sei „die große
       Kraft hinter der Musik“, sagt Forster. „Sie hat sich sehr über die
       Reaktionen auf die ersten Songs gefreut. Jetzt blickt sie gespannt darauf,
       wie das ganze Album ankommt.“
       
       29 Jan 2023
       
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