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       # taz.de -- Hinfällig am Beckenrand: Ein Schwimmbad baut ab
       
       > Das „Festland“ in Hamburg-Altona ist ein Familienbad, in dem viel
       > geschwommen wird. Doch das Alter setzt ihm zu – genau wie den Gästen.
       
   IMG Bild: Auch Schwimmbäder können gebrechlich werden
       
       Hamburg taz | An einer viel befahrenen Straße, über die schwere Lastwagen
       donnern und öfter die Sirenen der Polizeiautos heulen, liegt mein
       Schwimmbad. Im Dunkeln leuchtet es wie ein Raumschiff, das hier im
       Nirgendwo zwischen der Reeperbahn und Altona gelandet ist. Durch die großen
       geschwungenen Scheiben lässt sich von der Straße aus eine Wasserlandschaft
       erkennen, mit Pools, Rutschen und Dinosauriern.
       
       Die Dinosaurier stehen am Rande der Becken und können Wasser speien, es
       gibt begehbare Vulkane, Grotten, Wasserfälle. Umgangssprachlich nur
       „Dinobad“ genannt, haben es die Verantwortlichen bei den Hamburger
       Bäderbetrieben „[1][Festland]“ getauft, wahrscheinlich, um den Blick auf
       die Attraktionen außerhalb des Wassers zu lenken.
       
       ## Das erste Seepferdchen
       
       Das Festland ist ein beliebtes Freizeitbad, an guten Tagen herrscht in der
       Dinosaurierlandschaft drangvolle Enge. Ich kenne die Becken von Grund auf,
       zwischen den Dinosauriern musste ich, als Reittier meiner Töchter unter
       Wasser, an den Beinen der anderen Erwachsenen vorbeitauchen, das Wasser war
       trübe. Die große Kurvenrutsche war lange eine Attraktion, bis sie abgelöst
       wurde durch eine Schwimminsel, die im Spielbecken in der Halle nebenan
       vertäut lag.
       
       Noch eine Halle weiter, im Schwimmerbecken mit den Sprungtürmen, machte
       meine Tochter das Seepferdchen, vom Beckenrand aus sah ich zu. Später, bei
       unzähligen Schwimmkursen, schwamm ich auf der Nachbarbahn. Ich sah die
       Bademeister*innen, die offiziell „Schwimmmeister*innen“ heißen, kommen
       und gehen, besuchte das Schnellrestaurant hoch über der Dinolandschaft, in
       dem der nette junge Mann arbeitete, der bei jeder Bestellung
       „Ausgezeichnet, ausgezeichnet!“ sagte, bis er und die anderen weg waren,
       gekündigt. Die Arbeitsverträge waren nur befristet gewesen.
       
       Irgendwann wurden diese Besuche seltener, der Kinderbereich mit seinen
       Attraktionen war nicht mehr interessant und verschwand im Nebel der Zeit
       wie die Urzeitfiguren, die dort aufgestellt sind. An seine Stelle trat das
       Außenbecken mit seiner Tempobahn. Dort schwammen die Frühschwimmer, zu
       denen ich inzwischen gehörte.
       
       Es waren immer dieselben Leute: der ehemalige Wettkampfschwimmer, der für
       die 25 Meter nur zwölf Armzüge brauchte, die Frau mit Flossen und
       Taucherbrille, die sich im Delphin versuchte, die durchtrainierte
       Hochfrequenzkraulerin mit ihrem durchtrainierten Begleiter.
       
       So vergingen die Jahre, in den Duschen und in den Umkleidekabinen haben
       sich weißliche Kalkschleier ausgebreitet. Die batteriebetriebenen
       Schließmechanismen der Umkleideschränke sind störanfälliger geworden,
       Schwimmmeister mit Werkzeugkoffern rücken an, aber so ganz wird es nicht
       mehr.
       
       Unter den Stammgästen gab es einen älteren Herrn, der sich gerne mit einem
       Plumps ins Wasser fallen ließ, einmal kollabierte er vor unseren Augen,
       wollte sich aber nicht aus dem Wasser ziehen lassen. Auch ich bin älter
       geworden, inzwischen passiert es öfter, dass jemand beim Schwimmen von
       hinten anstößt. Aber ich schwimme weiter.
       
       Inzwischen ist das jedoch schwierig. Nach der [2][Coronazeit] klagen die
       Hamburger Bäder über zu wenig Personal. Im Sommer mussten die Freibäder
       tageweise schließen, im Herbst folgten die Hallenbäder. Zwei Tage die Woche
       ist das Festland seitdem für das große Publikum gesperrt, nur die
       Frühschwimmer, die Vereine und Schulen dürfen rein.
       
       Wegen des Ukrainekriegs wurde nicht nur die Wassertemperatur gesenkt, auch
       das Außenbecken wurde geschlossen. Während der kalten Tage im Dezember
       konnte ich zusehen, wie sich draußen auf dem Wasser, wo ich sonst schwamm,
       eine Eisschicht bildete.
       
       ## Die Invasion der Baustellenbänder
       
       Vor wenigen Wochen dann, drinnen wurde es zwischen Senioren, spielenden
       Kindern und Schwimmkursen eng, war plötzlich die rechte Bahn des
       Schwimmerbeckens gesperrt. Rot-weiße Baustellenbänder waren kreuz und quer
       darübergespannt. Die Beckenaufsicht erklärte, dass die Fliesen sich
       ablösten, es bestehe Verletzungsgefahr. Mittlerweile hat es auch die halbe
       linke Außenbahn erwischt. „Wenn einmal Wasser hinter den Kacheln ist, geht
       das immer weiter“, sagt einer der Rettungsschwimmer.
       
       Vor Kurzem war ich wieder zu langsam, jemand berührte von hinten meine
       Füße. Es war ein kleines Mädchen, das mit seiner Mutter Brustschwimmen
       übte.
       
       28 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.baederland.de/baeder/standorte/festland/
   DIR [2] /Hamburgs-Schwimmbaeder-unter-Druck/!5777496
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Wiese
       
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