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       # taz.de -- Die Wahrheit: Leck mich doch!
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (163): Die Kunde von der
       > Kröte erweitert sowohl das Wissen als auch das Bewusstsein.
       
   IMG Bild: Eine der größten Kröten ihrer Art in Australien: „Toadzilla“
       
       Es gibt keine „Krötenküsser“ mehr (mit Kröten arbeitende Amphibienforscher
       und -maler: siehe taz.v 30.10. 2017), dafür jedoch immer mehr
       „Krötenlecker“. Ihnen geht es allein um den Schleim auf der Krötenhaut, den
       einige Arten absondern, wenn man sie massiert: Er enthält halluzinogene
       Substanzen. Das Sekret der südamerikanischen Aga-Kröte (Bufo marinus) wird
       geraucht, zu einem Sud gekocht oder direkt abgeleckt. Es enthält Hormone
       wie Adrenalin und Dopamin sowie Halluzinogene und Bufotoxine, die von allen
       Kröten der Gattung Bufo produziert werden.
       
       Schon die drei Hexen in Shakespeares Tragödie „Macbeth“ wussten dies für
       ihren magischen Trank zu nutzen: „Kröte du, die Nacht und Tag Unterm kalten
       Steine lag, Monatlanges Gift sog ein, (Kommst) in den Topf zuerst hinein.“
       Eher zum Nachdenken regte dagegen der Vorschlag in Peter Handkes
       „Publikumsbeschimpfung“ an: „In jeder zerdärmten Kröte die Abwesenheit
       Gottes erkennen!“
       
       Die Aga-Riesenkröte wurde in Australien zur Vernichtung von Schadinsekten
       eingeführt und dann selbst zu einem gefährlichen Schädling, der Teile der
       einheimischen Tierwelt bedroht. Wegen ihres giftigen Schleims hat sie in
       Australien keine Fressfeinde, sieht man von den Menschen ab, die gerade
       daran interessiert sind – das Krötenlecken kam zuerst Down under auf. Aber
       auch die Maya nutzten bereits den Schleim der Aga-Kröte, „um sich bei
       rituellen Festen in rauschhafte Ekstasen zu katapultieren“, schreibt
       Beatrix Langer in ihrer Natur- und Kulturgeschichte „Kröten“ (2018).
       
       ## Verdünnter Schleim
       
       Die psychoaktive Substanzen absondernden Bufonidae umfassen 52 Gattungen
       mit 635 Arten. Eine dieser Arten – die Erdkröte – hat es unter anderem in
       die versumpfte Ruine der Festung Küstrin verschlagen, wo die Gruppe
       „Urbanart“ 2004 eine Kunstschau organisierte. Der Beitrag des Künstlers
       Georg Winter bestand darin, dass Gift dieser Kröte zu thematisieren, indem
       er ihren Schleim mit Wasser verdünnte und in Gläsern anbot. Allzu sehr
       verdünnt, wie ich im Namen der Probierer dort hinzufügen möchte.
       
       Auf tierwelt.ch fand ich jedoch später den Hinweis, dass der Schleim der
       Erdkröte (Bufo bufo), aber auch der seltenen Kreuzkröte (Bufo calamita) und
       der Wechselkröte (Bufo viridis) sowieso nur eine geringe Menge
       „berauschender Substanzen“ enthält.
       
       Anders verhält es sich mit dem potenten Sekret der Colorado-Kröte (auch
       Sonora-Wüstenkröte, Bufo alvarius, genannt), die unter den „Krötenleckern“
       so beliebt ist, dass die Art im Bundesstaat New Mexico bereits als
       gefährdet eingestuft wurde. Daher bitten die US-Behörden: Keine Kröten mehr
       abschlecken!
       
       Die Krötenjunkies, auch „toads“ (Kröten) genannt, bezeichnen Bufo alvarius
       als „LSD-Kröte“, allerdings wirkt das Bufotenin im Gegensatz zum LSD nur
       etwa eine halbe Stunde. Die Metapher „eine Kröte schlucken“ kann durch
       diese Praxis eine ganz andere Bedeutung bekommen. Seit 2011 ist das
       Rauschgift in den USA verboten, aber im Terrarium darf man die Tiere weiter
       halten – auch in Deutschland.
       
       Die Wüstenkröte lebt wegen der Hitze neun Monate im Jahr unter der Erde,
       erst mit dem Winterregen kommt sie nachts aus ihrem Loch. Sie wird bis zu
       vier Jahre alt, in Gefangenschaft auch schon mal über zehn Jahre. Man kann
       sie täglich „melken“. „Nach der Einnahme verspürt der Konsument in der
       Regel ein warmes Gefühl, Euphorie und starke visuelle und auditive
       Halluzinationen“, heißt es auf Wikipedia.
       
       Für Hunde ist der amphibische Schleim tödlich, aber einige „Studien
       belegen, dass das Krötengift beim Menschen Symptome von Depression, Angst
       und Stress lindern kann,“ wie der Stern berichtete. „Aufgrund seiner
       psychedelischen Wirkung ist im Bundesstaat Kalifornien der Besitz von
       Krötengift, dem sogenannten Bufotenin, illegal. Mancherorts zahlen Leute
       jedoch für ein Retreat, in dem sie mit Krötengift behandelt werden,
       zwischen 250 Dollar für eine Zeremonie in den Wäldern von Osttexas und
       8.500 Dollar für eine vergoldete Strandkulisse im mexikanischen Tulum.“
       
       Der US-Journalist Michael Pollan hat für seine Recherchen über Psychedelika
       „Verändere dein Bewusstsein“ (2022) neben LSD und Psilocybin auch „die
       Kröte“ geschluckt, deren chemische Bezeichnung „5-MeO-DMT“ ist. Er
       unternahm diese teuren Experimente jeweils mit einer „psychedelischen
       Anleitung“. Bei der Bufotenin-Einnahme war es eine Therapeutin aus dem
       Staat Sonora im Norden Mexikos, wo sie „die Kröten einfängt und ihr Gift
       abzapft“.
       
       Die Tiere sind nicht schwer zu fangen, weil sie nachts im Lichtstrahl
       erstarren, so dass man sie einfach packen kann. Die Sonora-Wüstenkröte hat
       wie die meisten Kröten Warzen und ist sandfarben, sie ist ferner ungefähr
       so groß wie eine Männerhand und besitzt auf beiden Seiten des Nackens große
       und an den Beinen kleine Drüsen. Man drückt diese behutsam zusammen und
       hält einen Spiegel davor, um die Spritzer des psychoaktiven Sekrets
       aufzufangen. Über Nacht trocknet der Stoff und verwandelt sich dabei in
       flockige braune Kristalle, erzählte die Therapeutin dem Journalisten.
       
       ## Beeindruckende Erfolgsquote
       
       Sie arbeitet in einer Klinik, in der „Drogensüchtige mit einer Kombination
       aus Iboga, einer psychedelischen Pflanze aus Afrika und 5-MeO-DMT behandelt
       werden – anscheinend mit beeindruckender Erfolgsquote.“ Daneben reist sie
       „mit ihren Kapseln aus kristallisiertem Krötengift und ihrem Zerstäuber
       durch ganz Nordamerika“. Sie sieht nicht aus wie eine Schamanin oder
       curandera aus, sondern eher wie ein Yuppie, meint Pollan.
       
       Der westlichen Wissenschaft ist die Droge erst seit einem 1992 publizierten
       Artikel mit dem Titel „Identität einer neuweltlichen psychoaktiven Kröte“
       bekannt. „Das Ganze ist noch wenig erforscht“, dennoch gibt es inzwischen
       wie beim Mutterkorn (LSD) und beim Psilocybin-Pilz eine synthetische
       Variante des Wirkstoffs. Pollan fand im Internet vor allem
       Erfahrungsberichte – „und viele davon klangen erschreckend“.
       
       Dennoch traute er sich, legte sich auf eine Matratze und ließ sich von
       seiner Trip-Advisorin Rocio eine Pfeife mit den Kristallen reichen. „Sie
       bat mich, der Kröte zu danken.“ Die Wirkung der Droge kam schnell: Pollan
       spürte einen gewaltigen Energiestrom, begleitet von einem mörderischen
       Dröhnen, das seinen Kopf erfüllte. Ihn packte schreckliche Angst, plötzlich
       wurde sein „Ich“ in eine Konfettiwolke verwandelt.
       
       „Es war einfach grauenvoll“, schrieb er, aber dann gab es eine
       „Rückentwicklung“, und er „schlüpfte“ langsam wieder in sein vertrautes
       „Ich“: „Die Ordnung der Dinge wurde wiederhergestellt“. Zwar wusste Pollan
       auch Monate später noch nicht, was er von diesem Trip halten sollte, aber
       beim Ausfüllen eines wissenschaftlichen Fragebogens ergaben seine Punkte,
       dass er eine „ ‚komplette‘ mystische Erfahrung“ geschafft hatte – wenn auch
       „knapp“.
       
       Chinesische Ärzte benutzen das Krötensekret schon lange gegen
       Herzbeschwerden, während man hier früher eher die Organe von Kröten
       empfahl, unter anderem gegen Krebs. Mich stört an diesem Gebrauch von
       Kröten der verdammte Darwin’sche Utilitarismus: Dass wir für alle
       Kreaturen einen Nutzen suchen – und nicht einfach ein interesseloses
       Wohlgefallen an ihrer Lebensweise aufbringen.
       
       30 Jan 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
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