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       # taz.de -- AppleTV-Serie „Shrinking“: Der Perspektivwechsel
       
       > In „Shrinking“ steht ein Psychologe im Zentrum der Geschichte – und nicht
       > wie üblich die Patient*innen.
       
   IMG Bild: Paul (Harrison Ford) ist entsetzt über das Verhalten seines Angestellten
       
       [1][Psychoanalyse und Therapiesitzungen] waren schon oft ein guter Stoff
       für Komödien, von Woody Allens Gesamtwerk über Robert de Niro und Billy
       Crystal in „Reine Nervensache“ oder Meryl Streep in „Couchgeflüster“ bis
       hin zur Serie „Web Therapy“ mit Lisa Kudow. In den meisten Fällen liegt der
       Fokus dabei auf den Patient*innen, auf den großen und kleinen Sorgen,
       deretwegen sie auf der Couch liegen, und ihrem vom freudschen Gedankengut
       geprägten Verhältnis zum Gegenüber. Davon kann nun in „Shrinking“ nicht die
       Rede sein. Denn hier dreht sich alles um Therapeut*innen.
       
       Jimmy (Jason Segel) hilft tagein, tagaus im Zentrum für kognitive
       Verhaltenstherapie anderen Menschen mit ihrer mentalen Gesundheit, obwohl
       er eigentlich selbst ein wenig Unterstützung gebrauchen könnte. Seit vor
       einem Jahr seine Ehefrau unerwartet gestorben ist, betäubt er sich mit
       Alkohol und verliert seine ebenfalls trauernde Teenage-Tochter Alice
       (Lukita Maxwell) zusehends aus den Augen. Während die sich von der
       befreundeten Nachbarin Liz (Christa Miller) bemuttern lässt, funktioniert
       Jimmy im Job fast nur noch auf Autopilot. Bis ihm eines Tages der Kragen
       platzt. Als eine langjährige Patientin mal wieder allzu viele
       Entschuldigungen für den Ehemann findet, der sie emotional misshandelt,
       bricht es aus dem Psychologen heraus: Verlassen Sie ihn verdammt noch
       einmal einfach!
       
       Fortan beschließt Jimmy entgegen allem, was er gelernt hat, seinen
       Patient*innen nur noch ungefiltert das zu sagen, was er wirklich denkt,
       ohne Rücksicht auf Verluste. Kollegin Gabby (Jessica Williams) ist
       skeptisch und Mentor und Boss Paul (Harrison Ford) entsetzt, nicht zuletzt,
       als einer von ihnen – der junge Kriegsveteran Sean (Luke Tennie) – sogar im
       Gartenhaus seines Therapeuten einzieht. Doch Jimmy selbst geht es
       tatsächlich bald besser, und auch in den wichtigen Beziehungen in seinem
       Leben stellen sich Veränderungen ein, sei es zu Alice, Liz oder auch seinem
       Studienfreund Brian (Michael Urie).
       
       Ein liebenswerter, aber emotional angeschlagener Mann, der in seinem Beruf
       mit ungewöhnlichen, skeptisch beäugten Methoden unerwartete Erfolge erzielt
       und nebenbei in seinem Umfeld zwischenmenschlich einiges in Bewegung setzt?
       Wer bei dieser Prämisse [2][an die Comedyserie „Ted Lasso“] denkt, liegt im
       Fall von „Shrinking“ nicht falsch. Der Hauptdarsteller und Co-Schöpfer
       Jason Segel hat sich für die Serie mit Brett Goldstein und Bill Lawrence
       zusammengetan.
       
       ## Das eigentliche Highlight
       
       Recht schnell im Verlauf der Serie gerät die eigenwillige
       Auseinandersetzung des Protagonisten mit seinen Patient*innen in den
       Hintergrund. „Shrinking“ wird zu einer Workplace-Comedy, die sich vor allem
       auf den Umgang von Jimmy, Gabby und Paul miteinander sowie mit ihren
       Nächsten konzentriert. Wofür man akzeptieren muss, dass dies eine jener
       Komödien ist, in der sich unrealistischerweise alle zentralen Figuren gut
       zu kennen und ständig zu treffen scheinen.
       
       Fast noch mehr als bei „Ted Lasso“ gewinnt zwischendurch die
       Sentimentalität in der Geschichte zu sehr die Oberhand, doch das starke
       Ensemble sorgt dafür, dass am Ende der Humor nicht zu kurz kommt. Segel
       spielt verlässlich eine seiner üblichen melancholisch-netten Figuren,
       daneben setzen Miller, Williams oder Urie treffsicher Pointen.
       
       Eigentliches Highlight aber ist Harrison Ford, der weder mit Komödien noch
       mit Serien viel Erfahrung hat, aber aufs Wunderbarste sein eigenes
       Grummel-Image auf den Arm nimmt und – egal ob er lauthals zu Sugar Ray
       mitsingt oder high ist von zu vielen Marihuana-Gummibärchen – herrlich
       komisch ist.
       
       29 Jan 2023
       
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