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       # taz.de -- Hamburger Initiative gegen Gendersprache: Beim Sprechen bin ich konservativ
       
       > Verständlichkeit geht vor. Deshalb ist es gut, dass eine Volksinitiative
       > Hamburger Behörden das Gendern verbieten will – auch wenn die CDU
       > mitmacht.
       
   IMG Bild: Gendersensibler Wahlkampf: Ein Helfer bei einer Veranstaltung der Grünen 2021 in Cottbus
       
       Wer in der Jugend nicht links ist, hat kein Herz, wer im Alter noch links
       ist, keinen Verstand. So ähnlich geht ein Sprichwort. Ich bin schon älter
       und immer noch links. Aber seit ich Mittwoch früh das Hamburger Abendblatt
       aufschlug, befinde ich mich in Schwierigkeiten. Die Hamburger CDU, so war
       [1][dort zu lesen], wird die [2][Volksinitiative] „Schluss mit der
       Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ unterstützen.
       
       Fein, war mein erster Gedanke. Dann wird das wenigstens was. Denn ich finde
       es besser, wenn Behörden weder Genderstern noch Doppelpunkt benutzen. In
       der taz steht es immer noch uns Autoren frei, ob wir diese Sonderzeichen
       verwenden. Ich tue es nicht, denn ich finde es am wichtigsten, dass Texte
       verständlich sind und gelesen werden. Das ist Tag für Tag eine
       Herausforderung. Deshalb mag ich den Stern nicht. Er ist sozusagen so etwas
       wie eine Arbeitserschwernis. Dass ein Text gar nicht erst gelesen wird, ist
       die Höchststrafe für Autoren.
       
       Statt die Sprache zu ändern, kommt es auf materielle Gleichberechtigung an
       und darauf, darüber zu schreiben. So wurde der [3][Rechtsanspruch auf
       Kinderbetreuung] erkämpft, den es noch gar nicht so lange gibt. Er hat die
       Mütter erst in die Lage versetzt, ihre Karriere für die Kinder nicht an den
       Nagel hängen zu müssen. Oder die Möglichkeit für junge Frauen, Kinderphase
       und Studium zu verbinden: So können sie später Professor oder Chefredakteur
       werden. Die Schreibweise ist dann zweitrangig.
       
       Seit ein paar Jahren sehe ich mich mit meiner Haltung in der Defensive:
       Seitdem das * [4][auch gesprochen wird als Lücke]. In immer mehr Runden,
       vor allem von jungen Uni-Absolventen, wird dieser „Glottisschlag“ benutzt.
       
       ## Glottis-Schlag erzeugt beim Zuhörer Druck
       
       Ich finde das unpassend. Denn diese Lücke zu sprechen, erfordert eine hohe
       Konzentration, die man seinem Gegenüber nicht abverlangen sollte. Ich muss
       dann immer daran denken, wie ein Sprachheilpädagoge erklärte, dass man
       Kinder, die stottern, auf keinen Fall korrigieren darf, das würde das
       Stottern nur verschlimmern: „Denken Sie an einen Tausendfüßler, der all
       seine Beine benutzen kann. Sagen Sie dem, heben sie mal das 324. Bein, dann
       weiß er nicht mehr, wie es mit den anderen geht.“
       
       Dieser Glottisschlag ist wie das 324. Tausendfüßlerbein. Es ist für viele
       Menschen eine Hürde, überhaupt vor einer Gruppe flüssig zu reden. Und dass
       viele Menschen frei sprechen können, ist auch ein emanzipatorisches Ziel!
       
       Dieses Vorsprechen neuer Sprachregeln hat auch etwas Schulmeisterliches. So
       à la: „Ich hab ja meine Vokabeln gelernt, und du?“ Und die Sprecher sind
       dabei überzeugt, gerade alles richtig zu machen. Aber sie erzeugen auch
       einen Anpassungsdruck bei etwas, das privat ist und bleiben sollte: das
       eigene Sprechen.
       
       Den Anlass für die [5][Hamburger Volksinitiative] gab der rot-grüne Senat,
       indem er 2021 seinen [6][Behörden und Ämtern empfahl, gendersensible
       Sprache zu nutzen]. Die zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne)
       sagt nun laut dem Hamburger Abendblatt, dass sie niemandem „Vorschriften
       machen“ wolle, wie er schreibt oder spricht. Auch müssten, bevor Texte
       unverständlich sind oder Wortungetüme entstehen, „der Stern und der
       Doppelpunkt mit gesundem Menschenverstand eingesetzt werden“. Ja, was denn
       nun? Ab und an mal ein Doppelpunkt im Wort, und dann ist gut? Dann kann man
       es auch gleich lassen.
       
       Doch nun kriegen wir eine Volksinitiative und damit eine stadtweite
       Polarisierung. Und die CDU stellt sich auf die Straße, um Unterschriften
       gegen diese Sprachregeln zu sammeln. Damit nützt sie auch sich selbst, weil
       sie ein Thema für den nächsten Wahlkampf hat. Allerdings könnte sie dabei
       auch Stimmen verlieren – je nachdem welche Dynamik dieser Streit
       entwickelt. Zu Recht können sich ja nun auch jene gegängelt fühlen, die
       gern gendern.
       
       Die CDU vereinnahmt die Sache. Und ich wiederum werbe höchst ungern für die
       CDU, weil ich Teile ihrer Programmatik nicht gut finde, [7][zum Beispiel in
       der Sozial- und Bildungspolitik]. Ich bin nur im Bezug auf die Sprache
       konservativ, sonst aber immer noch links – und bei Verstand.
       
       2 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.abendblatt.de/hamburg/article237508583/gendern-debatte-sternchen-wokismus-woke-pc-cdu-hamburg-unterschriften-sprache-volksinitiative.html
   DIR [2] /Angst-vor-Sprachvorschriften/!5903815
   DIR [3] /Kommentar-Kita-Volksinitiative/!5480335
   DIR [4] /Cis-und-trans-Frauen/!5813685
   DIR [5] https://vds-ev.de/aktionen/aufrufe/hamburger-volksinitiative-schluss-mit-gendersprache-in-verwaltung-und-bildung/
   DIR [6] https://www.hamburg.de/contentblob/15266014/bbbfd7425d6780879805ae34060d7133/data/hinweise-geschlechtersensible-sprache.pdf
   DIR [7] /Hamburger-Vorwahlkampf/!5586204
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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