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       # taz.de -- Wahlen in Berlin: „Wir sind ein wichtiges Korrektiv“
       
       > Taser und Videoüberwachung wären in Berlin ohne die Linke schnell auf der
       > Tagesordnung, sagt deren innenpolitischer Sprecher Niklas Schrader.
       
   IMG Bild: Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linkspartei Berlin
       
       taz: Herr Schrader, Sie sind seit sechs Jahren Abgeordneter und sehen Ihrem
       Wiedereinzug ins Berliner Parlament entgegen, oder haben Sie da Zweifel? 
       
       Niklas Schrader: Das hängt vom Wahlergebnis ab. Ich bin auf Listenplatz 17
       …
       
       … ziemlich weit hinten. 
       
       Ich gehe aber davon aus, dass es klappt.
       
       Die CDU führt in den Umfragen. Halten Sie eine sogenannte
       Deutschland-Koalition aus CDU SPD und FDP für denkbar? 
       
       Es erfüllt mich mit einem gewissen Unbehagen, dass die
       SPD-Spitzenkandidatin gerade in diese Richtung blinkt. Wir Linken wollen
       uns natürlich weiter in einer Regierung einbringen. Gerade auch in der
       Innenpolitik sind wir unverzichtbar.
       
       Welche innenpolitischen Errungenschaften rechnen Sie sich nach sechs Jahren
       Regierungsbeteiligung zu? 
       
       Wir sind ein wichtiges Korrektiv, das aufpasst, dass nicht auf alle
       problematischen Fragen polizeiliche und repressive Antworten gefunden
       werden. Wir haben beispielsweise auch an der Weiterentwicklung des
       Polizeirechts mitgewirkt.
       
       Das Berliner Polizeirecht ist im Bundesvergleich fortschrittlicher als
       andere. 
       
       In anderen Bundesländern gibt es viele Verschärfungen und mehr
       Eingriffsrechte, hier nicht. Ganz aktuell sieht man es wieder bei dieser
       Debatte um die sogenannten Klimakleber. Da hat ja auch die Berliner SPD
       sehr schnell eine Verschärfung der Präventivhaft gefordert.
       
       In Berlin können Menschen maximal zwei Tage in sogenannten
       Unterbindungsgewahrsam genommen werden. Die SPD würde das gern wieder auf
       vier Tage oder mehr verlängern. In Bayern sind bis zu zwei Monate möglich. 
       
       Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams, [1][flächendeckende Einführung
       von Tasern,] Bodycams, Videoüberwachung, das alles wäre in Berlin ganz
       schnell auf der Tagesordnung, wenn die Linken nicht mitregieren.
       
       Aber immer im Schulterschluss mit den Grünen, oder sehen Sie da
       innenpolitisch einen Unterschied?
       
       In der Frage des Unterbindungsgewahrsams waren wir uns mit den Grünen
       einig. [2][Auch die Einführung des unabhängigen Polizeibeauftragten] haben
       wir zusammen erkämpft. Bei der Veränderung des Polizeigesetzes würde ich
       aber sagen, dass wir diejenigen waren, die konsequenter Grundrechte
       verteidigt und Fortschritte durchgesetzt haben.
       
       [3][Am 15. Februar wird die neue Polizeiwache am Kottbusser Tor eröffnet.]
       Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hat das mehr oder weniger im Alleingang
       durchgesetzt, zumindest war die Kotti-Wache nicht Bestandteil der
       rot-grün-roten Koalitionsvereinbarung, oder? 
       
       In der Koalitionsvereinbarung wurde offen gelassen, ob und wo solche Wachen
       entstehen können. Dass das ohne eine ernsthafte Beteiligung der Akteure vor
       Ort gelaufen ist, ist absolut inakzeptabel. Frau Spranger steckt
       dreieinhalb Millionen Euro in die Wache, aber es ist immer noch kein Geld
       da, um für die sozialen Probleme am Kotti soziale Lösungen zu finden. Das
       werden wir weiter einfordern.
       
       Was konkret? 
       
       [4][Der Drogenkonsumraum von Fixpunkt am Kotti sollte deutlich länger als
       jetzt geöffnet sein]. Möglichkeiten für eine Notübernachtung für
       konsumierende Obdachlose müssen geschaffen werden. In die bauliche
       Beschaffenheit muss investiert werden, es braucht mehr
       Freizeitmöglichkeiten für die Kinder und Jugendlichen. Daran mangelt es
       immer noch, obwohl seit Jahren bekannt. Man muss das anders angehen als
       früher.
       
       Wie stellen Sie sich das vor? 
       
       Ich finde es richtig, dass der Senat beabsichtigt, alles in einem
       Gesamtkonzept zusammenzuführen. Allerdings ist das bis jetzt noch nicht
       passiert. Der Bezirk muss sich natürlich beteiligen. Aber man muss ihm auch
       die nötigen Mittel geben.
       
       Wo sehen Sie in Ihrem Ressort noch Schwerpunkte für die kommende
       Legislaturperiode? 
       
       Wir wollen auf jeden Fall noch einmal kritisch über die sogenannten
       kriminalitätsbelasteten Orte und anlasslosen Kontrollen diskutieren. Wir
       wollen, dass nach einer Polizeikontrolle eine Kontrollquittung ausgestellt
       wird. Das ist uns wichtig, weil es ein Beitrag sein kann, um Racial
       Profiling zu verringern.
       
       Das war schon Bestandteil des alten Koalitionsvertrags. 
       
       Ist aber noch nicht umgesetzt. Und noch etwas ist uns zentral wichtig: Wir
       wollen modellhaft ein Kriseninterventionsteam einrichten, das bei
       bestimmten Gefahrensituationen zum Einsatz kommt.
       
       Das interessiert uns genauer. 
       
       Es gibt große Diskussionen über den Umgang der Polizei mit psychisch
       kranken Personen. In der Vergangenheit kam es dabei des Öfteren zu
       Verletzten durch Gewaltanwendung oder auch zu Todesfällen durch
       Schusswaffengebrauch.
       
       Gerade erst im vergangenen Herbst wieder: [5][Ein psychisch kranker
       Schwarzer lag nach einem Polizeieinsatz drei Wochen im Koma, dann starb
       er.] Wie konkret sind die Pläne? 
       
       Zusammen mit den Grünen haben wir der Koalition einen Vorschlag für einen
       Parlamentsantrag unterbreitet: Ein Modellprojekt für Menschen in
       psychischen Ausnahmesituationen. Uns schwebt ein speziell ausgebildetes
       Team vor, das nach einem Notruf vor oder zeitgleich mit der Polizei vor Ort
       eintrifft. Aufgabe des Teams wäre es, professionell zu deeskalieren. Die
       Polizei ist dazu nicht in der Lage, weil sie nicht entsprechend ausgebildet
       ist und es auch nicht unbedingt ihre Hauptaufgabe ist.
       
       Wie steht die SPD dazu? 
       
       Sie hat auf den Vorstoß noch nicht reagiert. Dabei steht auch das im
       Koalitionsvertrag.
       
       Sie sitzen auch [6][im Untersuchungsausschuss, der ein mögliches
       Behördenversagen im Zusammenhang mit der rechtsextremistischen
       Anschlagsserie in Neukölln aufklären soll]. Was ist der Stand? 
       
       Wir haben die Betroffenen und Initiativen alle gehört. Das war ein
       wichtiger Auftakt. Jetzt geht es langsam in Richtung Zeugen der Behörden.
       
       Warten Sie immer noch auf Unterlagen von Polizei, Staatsanwaltschaft und
       Verfassungsschutz? 
       
       Ja, aber wir können weiterarbeiten. In einigen Themenbereichen sind die
       Unterlagen noch ein bisschen dünn, aber manches ist jetzt eingetroffen.
       
       Kann der Untersuchungsausschuss nach den Wahlen nahtlos fortgesetzt werden? 
       
       Die rechtliche Bewertung durch das Abgeordnetenhaus und den
       Wissenschaftlichen Dienst ist im Moment so, dass der Untersuchungsausschuss
       noch einmal neu eingesetzt werden muss. Das heißt, die Ausschussmitglieder
       müssen auch noch einmal neu gewählt werden. Aber wir gehen davon aus, dass
       der neue Ausschuss inhaltlich an die Arbeit des alten anknüpfen kann. Die
       Zeichen stehen also auf Fortsetzung.
       
       [7][In dem Gerichtsprozess um die Brandanschläge auf die Autos des
       Linken-Politikers Ferat Kocak und des Buchhändlers Heinz Ostermann hat es
       bereits einen Freispruch gegeben]. Generalstaatsanwältin Margarete Koppers
       hat dem Gericht mangelnden Tiefgang vorgeworfen. Wie sehen Sie das? 
       
       Aus Sicht der Betroffenen ist es extrem wichtig, dass nicht nur die
       einzelnen Tatverdächtigen betrachtet werden. Das sehen wir als Aufgabe des
       Untersuchungsausschusses. Wir gucken uns Netzwerk- und
       Unterstützungsstrukturen an und natürlich auch intensiver das
       Behördenhandeln. Das sind ja Dinge, die das Gericht nur bedingt beleuchtet.
       Wenn es erste Urteile gibt, ist das für den Ausschuss günstig. Dann rückt
       ein Ende des Prozesses näher und wir werden schneller entsprechende
       Unterlagen bekommen.
       
       2 Feb 2023
       
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