URI: 
       # taz.de -- Verkehrswende in Hamburg: Der Kfz-Verkehr wird weniger
       
       > Die Hamburger Verkehrsbehörde registriert einen Rückgang des Kfz-Verkehrs
       > und einen Anstieg des Fahrrad-Verkehrs. Der Senat will den Trend
       > verstärken.
       
   IMG Bild: Mehr Platz für Radverkehr: Auf der Reeperbahn ist die Fahrbahn seit November 2022 geteilt
       
       Hamburg taz | Zum ersten Mal seit Jahren stagniert die Zahl der in Hamburg
       zugelassenen Pkws. Ob das schon als Silberstreif am Horizont der rot-grünen
       Verkehrswende gelten kann, ist ungewiss. Mehr Hoffnung macht dem Senat in
       dieser Hinsicht der steigende Anteil des Fahrradverkehrs.
       
       Die Verkehrswende ist ein integraler Bestandteil der Hamburger
       Klimaschutzstrategie. Um das international vereinbarte Ziel von maximal 1,5
       Grad Erderwärmung zu erreichen, müssen auch die Emissionen des Verkehrs,
       der in Deutschland knapp 20 Prozent des gesamten Treibhausgasausstoßes
       ausmacht, unbedingt sinken.
       
       Hamburg hat dafür 2020 die Bezeichnung seiner Behörde für Verkehr um den
       Zusatz „und Mobilitätswende“ (BVM) erweitert. Senator Anjes Tjarks (Die
       Grünen) hat sich deshalb unter anderem vorgenommen, die Zahl der
       Privatautos im Stadtgebiet zu verkleinern.
       
       Neueste Zahlen aus Tjarks' Behörde deuten in diese Richtung: Nach einem
       stetigen Anstieg seit 2014 gab es im vierten Quartal 2022 etwas weniger
       angemeldete Pkws in Hamburg als im gleichen Vorjahresquartal: 806.060 Pkws
       statt 807.618 im Jahr davor – ein Rückgang von 0,2 Prozent. „Im
       Wesentlichen sehen wir seit zwei Jahren eine Stagnation beim Bestand der
       zugelassenen Autos in Hamburg“, sagt ein Sprecher der Verkehrsbehörde.
       
       Ob der leichte Rückgang nun den Wendepunkt für Hamburg markiert oder ob es
       sich nur um statistische Varianz handelt, muss sich erst noch
       herausstellen. Immerhin: Im gleichen Zeitraum ist im Nachbarland
       Niedersachsen die Zahl der zugelassenen Pkws um fast zwei Prozent
       gewachsen. Und die Stagnation folgt auf einen Zuwachs von 75.000 Pkws in
       den vergangenen zehn Jahren. Für die Hamburger Verkehrsbehörde ist daher
       ein anderer Trend wichtiger, um den Erfolg der Mobilitätswende-Bemühungen
       zu bewerten: das tatsächliche Verkehrsaufkommen.
       
       Mit Wärmebildkameras zählt die Behörde im Stadtgebiet Autos und Fahrräder,
       um genauere Daten zu erhalten. Und da ist der Trend klarer: Während der
       Kfz-Verkehr bis 2019 weitgehend stagnierte, sank die Verkehrsstärke 2020 um
       zwölf Prozent und 2021 um acht Prozent – zwei Jahre in Folge.
       
       Die Gründe für diesen Rückgang sind mehrdimensional, denn neben steigenden
       Preisen für Autos und Kraftstoffe hat die Hochphase der Coronapandemie die
       allgemeinen Mobilität deutlich verringert.
       
       Die Verkehrsbehörde ist jedoch zuversichtlich, dass der gemessene Effekt
       langfristig anhalten könnte: „Bemerkenswert dabei ist aus unserer Sicht,
       dass das Jahr 2022 gesamtgesellschaftlich schon in Teilen von einer
       Normalisierung nach Corona geprägt war“, teilt ihr Sprecher mit. Der
       Kfz-Verkehr sei allerdings immer noch auf einem niedrigen Niveau geblieben.
       „Wir sehen gegenüber der Vor-Corona-Situation (2019) immer noch ein Minus
       von 13 Prozent“.
       
       Eine der wichtigsten Maßnahmen, um diesen Trend aufrechtzuerhalten, dürfte
       der [1][Ausbau von alternativen Mobilitätsangeboten] sein. Für Busse und
       Bahnen hat der Senat angekündigt, einen [2][Hamburg-Takt einzuführen]: Bis
       2030 soll das Bus- und Schnellbahnnetz so ausgeweitet werden, „dass man in
       ganz Hamburg innerhalb von fünf Minuten ein Angebot des öffentlichen
       Nahverkehrs erreichen kann“.
       
       Darüber hinaus setzt der Senat sehr auf das Fahrrad. Doch während der
       öffentliche Nahverkehr in Hamburg mit circa 22 Prozent Anteil am
       Gesamtverkehr immerhin auf Platz fünf bundesweit rangiert, sieht es beim
       Radverkehr mit circa 15 Prozent für Hamburg nicht ganz so gut aus. In
       kleineren Städten wie Münster (44 Prozent), Oldenburg (43 Prozent) oder
       Bremen (25 Prozent) werden deutlich mehr Strecken mit dem Rad zurückgelegt.
       Doch auch im Vergleich mit den Millionenstädten Berlin und München (je 18
       Prozent) schneidet Hamburg nicht gut ab.
       
       Ein Trend macht Hoffnung, dass sich das in Zukunft ändern könnte: Seit 2017
       ist die Zahl der gemessenen Radfahrenden im Mittel jedes Jahr um rund sechs
       Prozent gestiegen. Auch bei den Radfahrenden sei ein Corona-Effekt messbar
       gewesen, jedoch habe man auch ohne diesen Effekt 2022 Radverkehr auf
       Rekordniveau messen können, stellt die Verkehrsbehörde klar.
       
       Durch Ausbau und Renovierung von 53 Kilometern Radweg im Jahr 2022 wolle
       die Behörde diesen Effekt noch einmal verstärken. Das sei zwar etwas
       weniger als der Höchstwert von 62 Kilometern in 2020, dafür seien schon 61
       Prozent der neuen und renovierten Wege vom Kfz-Verkehr geschützte oder
       getrennte Radwege.
       
       „Ohne Frage hat sich in den vergangenen Jahren im Radverkehr einiges
       getan“, räumt Heike Sudmann, Bürgerschaftsabgeordnete der Linken ein. Doch
       immer noch gelte, dass in Hamburg trotz der [3][oft schlechten
       Rahmenbedingungen] viel Rad gefahren werde. „Fahrradwege, die abrupt enden
       oder ohne Vorwarnung in den Straßenverkehr führen, und [4][viel zu wenig
       Platz auch auf den vorhandenen Radfahrstreifen] machen das Radfahren nicht
       attraktiver“, kritisert Sudmann.
       
       ## Lob für die Radwege auf der Reeperbahn
       
       Auch Dirk Lau vom ADFC Hamburg übt Kritik an Anjes Tjarks' Verkehrsbehörde:
       „53 sanierte Kilometer sind auf die gesamte Stadt gesehen [5][ein Tropfen
       auf den heißen Stein]“, sagt der Sprecher des Fahrradclubs. „Oft wird alte
       Infrastruktur aufgehübscht, statt die Straße für eine echte Verkehrswende
       von Grund auf umzugestalten.“
       
       Auch beim Ausbau von Fahrradparkplätzen gebe es Nachholbedarf. Am zur
       Modernisierung anstehenden Hauptbahnhof seien nun zwar Stellplätze in einer
       geschützten Anlage geplant, für einen Bahnhof, an dem täglich Tausende
       Pendler:innen verkehrten, sei das aber deutlich unterdimensioniert.
       
       Die Verkehrsbehörde verspricht, hier „ein richtiges Fahrradparkhaus“ zu
       entwickeln. Aktuell gebe es dafür zwar noch keinen Zeitplan. „Es werden
       aber schon 2023-2024 durch zwei neue Bike-and-Ride-Anlagen erstmals
       Mietstellplätze am Hauptbahnhof geschaffen“, verspricht die
       Verkehrsbehörde.
       
       Ein wenig Lob gibt es für die Verkehrsbehörde schon jetzt: „Auf der
       Reeperbahn wird genau das gemacht, was benötigt wird“, findet Dirk Lau vom
       ADFC. Dort hat die Stadt im November 2022 eine Autospur in jeder Richtung
       rot angepinselt und in einen Radstreifen umgewandelt. „Aber das sind eben
       auch nur 700 Meter, das bräuchten wir auf viel mehr Straßen in der gesamten
       Stadt“, kritisiert Lau. Er fordert Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit, um
       endlich den ersehnten Schwung in die Verkehrswende zu bringen.
       
       3 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Initiative-fuer-autofreie-Hamburger-City/!5896874
   DIR [2] /Verkehrswende-in-Hamburg/!5805464
   DIR [3] /Unfaelle-von-Radfahrern-durch-Fussgaenger/!5855255
   DIR [4] /Radfahrstreifen-zwischen-Autospuren/!5815349
   DIR [5] /Radschnellnetz-fuer-Hamburg/!5788098
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Niklas Berger
       
       ## TAGS
       
   DIR Verkehrswende
   DIR Hamburg
   DIR Mobilitätswende
   DIR Radverkehr
   DIR Autoverkehr
   DIR Unfallopfer
   DIR Verkehr
   DIR Mobilität
   DIR Radwege
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Verkehrswende
   DIR Verkehr
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Offener Brief nach Unfallflucht: „So geht man nicht mit Menschen um“
       
       Der vierjährige Kalle wurde von einem Radfahrer umgefahren, der
       Unfallflucht beging. Nun schreibt Kalle einen offenen Brief.
       
   DIR Grüner Pfeil für Hamburgs Radverkehr: Nicht um die Ecke gedacht
       
       Als Radfahrer bei Rot an der Ampel rechts abbiegen? Laut
       Straßenverkehrsordnung geht das: mit Zusatzschild. Hamburg tut sich beim
       Genehmigen schwer.
       
   DIR Klimafreundliche Verkehrsplanung: Wales baut weniger Straßen
       
       Die Regierung in Cardiff hat wegen Umweltbedenken den Neubau von Brücken
       und Straßen auf Eis gelegt. Ein Vorbild für Deutschland, meint der BUND.
       
   DIR Naturschützer*innen lehnen Radweg-Bau ab: Viel Asphalt für wenig Verkehr
       
       Umweltverbände werfen dem Landkreis Lüneburg vor, überflüssige und
       klimaschädliche Radwege zu bauen, nur weil es dafür Fördermittel gibt.
       
   DIR Verkehrswende ohne Autos: Überzeugungstäter der Straße
       
       Andreas Knie ist einer der bekanntesten Mobilitätsforscher im Land. Er
       wirbt für autofreien Verkehr – und zeigt in Berlin, wie es gehen kann.
       
   DIR Mobilitätsexperte über Verkehrswende: „Es braucht mutige Entscheidungen“
       
       Mit dem Projekt „Freiraum Ottensen“ soll der Hamburger Stadtteil autoarm
       werden. Nun geht der Leiter. Ein Blick zurück auf emotionale Debatten.
       
   DIR Streit um Gehweg-Parken: StVO gilt künftig auch in Hamburg
       
       Der Bezirk Nord will das verbotene Parken von PKW auf Gehwegen konsequent
       verfolgen. Anwohner:innen fürchten um Parkplätze.