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       # taz.de -- 40 Jahre Kirchenasyl: Juristische Grauzone
       
       > 1983 entschloss sich erstmals eine Kirchengemeinde, Geflüchteten Asyl zu
       > gewähren. Seitdem wurden so wohl Hunderte vor der Abschiebung bewahrt.
       
   IMG Bild: Besetzung der Thomas-Kirche in Berlin-Kreuzberg 2014
       
       Berlin taz | Die Kirchenasylbewegung wird in diesem Jahr 40 Jahre alt. Das
       eigentliche Jubiläum ist erst im August, aber der Verein „Asyl in der
       Kirche“ begeht das ganze Jahr über das Jubiläum. Auftakt ist am 18. Januar
       in der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg.
       
       Die Auftaktveranstaltung findet am historischen Ort statt, denn in dieser
       Kirche wurde 1983 die [1][Kirchenasylbewegung] geboren. Anlass war der
       Suizid des Türken Cemal Kemal Altun. Altun hatte in Deutschland Asyl
       beantragt, doch die Türkei forderte seine Auslieferung. Er saß 13 Monate
       lang in Auslieferungshaft.
       
       Für viele Menschen war der Tod Altuns ein Wendepunkt in der Wahrnehmung der
       Flüchtlingspolitik. Ein Trauerzug von mehreren tausend Menschen bewegte
       sich damals zum Friedhof der Heilig-Kreuz-Gemeinde. Bereits im Frühjahr
       1983 hatte in der Heilig-Kreuz-Kirche ein Hungerstreik für die Freilassung
       von Altun aus der Auslieferungshaft stattgefunden.
       
       Hannah Reckhaus-Le Treut, die Geschäftsführerin von „Asyl in der Kirche
       Berlin-Brandenburg e. V.“, sagt: „Nach dem tragischen Tod von Cemal Kemal
       Altun aus Angst vor einer Abschiebung in die Türkei sagten sich viele
       Menschen aus Kirchengemeinden, wir müssten nun aktiv werden für einen
       besseren Umgang mit Flüchtlingen.“ Nur wenige Wochen später gab es in der
       Heilig-Kreuz-gemeinde das erste Kirchenasyl.
       
       ## Hohe Kosten für die Gemeinden
       
       Juristisch sei Kirchenasyl eine Grauzone, sagt Reckhaus. „Es gibt kein
       Gesetz, dass der Staat das achten muss. In der Kirche ist es aber seit
       Jahrhunderten Tradition, bedrohten Menschen einen Schutzraum zu bieten.“
       Kirchenasyle geben den Behörden Zeit, über das Schicksal der von
       Abschiebung bedrohten Menschen erneut nachzudenken.
       
       Laut „Asyl in der Kirche“ sind 98 Prozent der Kirchenasyle erfolgreich. Gut
       90 Prozent betreffen allerdings derzeit sogenannte Dublinfälle, also
       Menschen, denen eine Rückschiebung in einen anderen EU-Staat droht. Hier
       dient das Kirchenasyl lediglich dazu, Zeit zu überbrücken. Denn die
       Behörden haben meist nur 6, in Ausnahmefällen 18 Monate Zeit, um die
       Menschen in den anderen EU-Staat zurückzuschicken. Wenn die Flüchtlinge
       diese Zeit im Kirchenasyl „absitzen“, ist die Rückschiebegefahr gebannt.
       
       Ein Sprecher der evangelischen Kirche in Mitteldeutschland sagte der dpa
       dazu, es sei erschreckend, von welchen schlimmen Erfahrungen aus anderen
       Eu-Staaten geflüchtete Menschen berichteten. „Von illegalen Pushbacks, die
       teilweise mit großer Härte ausgeführt werden, selbst wenn Kinder dabei
       sind, wird ebenso berichtet wie von Inhaftierungen unter sehr schwierigen
       Lebensbedingungen.“
       
       Bundesweit gibt es laut „Asyl in der Kirche“ derzeit 320 Kirchenasyle für
       insgesamt 516 Menschen. Das ist trotz steigenden Bedarfs ein Rückgang. Vor
       einem Jahr gab es noch 360 Fälle für 561 Schutzsuchende. Der Rückgang hängt
       mit den hohen Anforderungen an eine Kirchengemeinde zusammen, die
       Kirchenasyl gewährt. Sie muss vollständig für den Lebensunterhalt ihrer
       Gäste aufkommen. Bei schweren medizinischen Eingriffen und Entbindungen
       helfen öfter konfessionelle Krankenhäuser, die dann kostenlos behandeln.
       
       ## Viele Gerichsverfahren gegen Pfarrer und Schwestern
       
       Staatliche Leistungen gibt es für [2][Menschen im Kirchenasyl] nicht. In
       ländlichen Regionen müssen Kirchengemeinden auch Fahrdienste organisieren,
       um Kinder im Kirchenasyl zur Schule zu bringen. Vielen Kirchengemeinden
       fehlen auch die Räume, um Menschen unterzubringen. In den allermeisten
       Fällen respektieren die Behörden das Kirchenasyl, obwohl es dafür keine
       gesetzliche Grundlage gibt.
       
       Einen Versuch, ein Kirchenasyl zu brechen gab es 2003 in Schwante in
       Brandenburg: Damals brach die Polizei in die kirchlichen Räume ein, um den
       alleinerziehenden Vietnamesen Xuan Khang Ha und seinen fünfjährigen Sohn
       zur Abschiebung abzuholen. Durch Zufall traf die Polizei die beiden damals
       nicht an. Der Fall wurde bundesweit in Medien aufgegriffen, so dass es
       keinen zweiten Abschiebeversuch gab.
       
       Seit einigen Jahren überziehen Behörden in Bayern und Nordrhein-Westfalen
       allerdings Pfarrer und katholische Ordensschwestern mit Strafanzeigen, wenn
       diese Kirchenasyl gewähren. Die Gerichte gehen unterschiedlich damit um.
       Viele Verfahren werden eingestellt, in anderen Fällen gibt es Geldstrafen.
       So beispielsweise gegen eine katholische Ordensfrau aus Würzburg 2021.
       
       18 Jan 2023
       
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