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       # taz.de -- Chinesischer Spionageballon: Mehr als nur heiße Luft
       
       > Schuld haben immer die anderen: Pekings Reaktion auf den Ballon-Vorfall
       > legt Chinas diplomatisches Unvermögen offen – mit gravierenden Folgen.
       
   IMG Bild: Manieren gefragt: Chinas Außenminister Wang Yi und US-Kollege Blinken samt Stab bei Treffen im Juli
       
       Peking taz | Ganz gleich, wie man die Fakten dreht und wendet: Für Chinas
       Regierung ist die Spionageballon-Causa nicht nur unangenehm, sondern das
       größte außenpolitische Eigentor seit Langem. Hinter den Kulissen wird die
       Affäre sicherlich einige Ministerialbeamte und Militärs die Karriere
       kosten. Nach außen hingegen lässt Peking keinerlei Reue durchschimmern:
       „Einige amerikanische Politiker und Medien nutzen die Situation nur aus, um
       China zu verleumden“, hieß es in einer ersten Stellungnahme des
       Außenministeriums.
       
       Der vor dem US-Bundesstaat South Carolina abgeschossene Ballon hat die
       Beziehung zwischen den zwei Weltmächten weiter vergiftet. Vor allem aber
       hat der Vorfall offengelegt, wie sehr sich die chinesische Regierung mit
       ihrer mit Nationalstolz aufgeladenen Rhetorik eine konstruktive
       Gesprächsgrundlage verbaut.
       
       Fakt ist: Sowohl China als auch die USA spionieren sich auf allen
       erdenklichen Ebenen gegenseitig aus, und zwar meist mit ausgeklügelteren
       Mitteln als einem Überwachungsballon. Insofern wäre es wohl durchaus
       möglich gewesen, die Affäre gesichtswahrend für beide Seiten ad acta zu
       legen – vorausgesetzt, die chinesische Regierung hätte aufrichtig Reue
       gezeigt und transparent kommuniziert. Stattdessen jedoch wendete sie ihr
       altbekanntes Muster an: sämtliches Fehlverhalten abstreiten, die Schuld
       beim Gegenüber suchen und umgehend in den Angriffsmodus wechseln.
       
       Chinas erste Reaktion, bei dem Flugobjekt handele es sich lediglich um eine
       Art meteorologischen Forschungsballon, der aufgrund von starken Westwinden
       von seiner geplanten Route abgekommen sei, wertete Washington als dreiste
       Lüge. „Wir wissen, dass es ein Überwachungsballon ist“, entgegnete unbeirrt
       ein Sprecher des Pentagons. Tatsächlich spricht viel dafür: Es müsste schon
       ein großer Zufall gewesen sein, dass der Ballon im dünn besiedelten
       Bundesstaat Montana ausgerechnet über einen US-Luftwaffenstützpunkt flog,
       wo 150 mit Atomsprengköpfen bestückte Interkontinentalraketen gelagert
       sind. Zudem hat Washington in den letzten Jahren mindestens drei ähnliche
       Spionagefälle aus China registriert, diese jedoch zuvor nicht öffentlich
       gemacht.
       
       ## Augenscheinliche Fakten ignoriert
       
       Doch selbst augenscheinliche Fakten hat die chinesische Seite zuletzt
       ignoriert. [1][Als US-Außenminister Anthony Blinken seinen geplanten
       China-Besuch am Freitag absagte], stritt Peking kurzerhand in einer
       schriftlichen Aussendung ab, dass es überhaupt einen „offiziell geplanten
       Besuch“ gegeben habe. Auch Wang Yi, immerhin der führende Außenpolitiker
       der Volksrepublik, ließ bei seinem am Samstag erfolgten Telefonat mit
       Blinken keinerlei Selbstkritik erkennen: „Wir akzeptieren keine grundlosen
       Spekulationen und Stimmungsmache.“
       
       Und nachdem US-Präsident Joe Biden den Überwachungsballon in der Nacht auf
       Sonntag abschießen ließ, protestierte die chinesische Regierung erneut
       lauthals: Man sprach von einer „Überreaktion“ und einem „Verstoß gegen
       internationale Praxis“. Die Doppelmoral ist offensichtlich: Man stelle sich
       nur einmal vor, es flöge ein Spionageballon von der Größe dreier Autobusse
       über die chinesischen Nuklearsilos in der Wüste Gobi.
       
       Doch wer ausschließlich die Berichte der chinesischen Staatsmedien liest,
       bekommt ganz unweigerlich den Eindruck einer Täter-Opfer-Umkehr: Angesichts
       der rüden Schuldzuweisungen gegenüber den USA liest es sich fast so, als ob
       am Wochenende ein US-amerikanisches Flugobjekt in den chinesischen Luftraum
       eingedrungen wäre.
       
       Die Folgen einer solchen Kommunikation – sowohl auf der internationalen
       Bühne als auch gegenüber dem eigenen Volk – sind angesichts der Fallhöhe
       des US-China-Konflikts zunehmend gefährlich. Derzeit steht es um die
       bilateralen Beziehungen so schlecht wie seit mehreren Jahrzehnten nicht
       mehr. Hinzu kommt, dass China nach der Entsendung von Qin Gang als
       Außenminister momentan noch nicht einmal einen Ersatz für die Stelle als
       Botschafter in Washington gefunden hat.
       
       Und das bislang größte Damoklesschwert, welches über den zwei Staaten
       kreist, ist bereits am diplomatischen Horizont zu erkennen: [2][Kevin
       McCarthy, der neue Sprecher des US-Repräsentantenhauses], dürfte sich durch
       den Ballon-Vorfall wohl erst recht ermutigt fühlen, seinen geplanten
       Taiwan-Besuch in die Tat umzusetzen – nicht zuletzt, um damit bei seiner
       Kernwählerschaft auf Sympathiefang zu gehen. [3][Als seine Vorgängerin
       Nancy Pelosi im vergangenen Sommer Taipeh besuchte], reagierte Peking mit
       einer simulierten Inselblockade und wüsten Drohungen.
       
       Im Wiederholungsfall dürfte Chinas Replik wohl noch eine Spur martialischer
       ausfallen. Und zweifelsohne wird die Botschaft der Regierung lauten: Die
       USA müssen ihre „falschen Ansichten berichtigen“ und zu einem „korrekten
       Kurs“ zurückkehren.
       
       5 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nach-Spionageballon-ueber-USA/!5913451
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   DIR [3] /US-Politikerin-Nancy-Pelosi-in-Taiwan/!5867938
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Kretschmer
       
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