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       # taz.de -- Justiz in Hongkong: Showdown im Gerichtssaal
       
       > In Hongkong hat ein Mammutprozess gegen 47 Demokratie-Aktivisten
       > begonnen. Der Ausgang wird zeigen, wie unabhängig die Justiz noch ist.
       
   IMG Bild: Anhänger der angeklagten Aktivisten vor dem Hongkonger Gerichtsgebäude
       
       Peking taz | Nach über zweijähriger Wartezeit hat am Montag einer der
       symbolträchtigsten Prozesse in der Geschichte Hongkongs begonnen: 47
       Aktivisten droht nach dem kontroversen nationalen Sicherheitsgesetz eine
       potenziell lebenslange Strafe. 32 von ihnen sind seit über 700 Tagen in
       Untersuchungshaft – darunter auch der mittlerweile 26-jährige
       Ex-Studentenführer [1][Joshua Wong], das international bekannteste Gesicht
       der Demokratiebewegung.
       
       Den Angeklagten wird vorgeworfen, im Vorfeld der – später [2][wegen der
       Pandemie abgesagten] – Parlamentswahl nicht genehmigte Vorwahlen
       organisiert zu haben. Damit hätte die Gruppe, so argumentiert die
       Staatsanwaltschaft, gegen das nationale Sicherheitsgesetz verstoßen,
       welches Peking der ehemals britischen Kronkolonie im Sommer 2020
       aufgezwungen hatte. Die Behörden argumentieren, die 47 Aktivisten hätten
       eine „bösartige Verschwörung“ geplant, um die Stadtregierung zu untergraben
       und die Kontrolle über das Stadtparlament zu übernehmen.
       
       Über 30 der Angeklagten haben sich bereits schuldig bekannt, wohl vor
       allem, um das Strafmaß zu mindern. Ein gutes Dutzend jedoch führen ihren
       couragierten Kampf auch vor Gericht weiter. „Es ist kein Verbrechen, gegen
       ein totalitäres Regime vorzugehen“, sagte etwa der ehemalige Parlamentarier
       [3][Leung Kwok-hung] auf der Anklagebank. Der 66-Jährige, der sich in
       seiner Jugend als Trotzkist identifizierte, galt einst mit seiner
       Langhaarfrisur und den obligatorischen Che-Guevara-T-Shirts als Ikone der
       Demokratiebewegung.
       
       Vor dem Gerichtsgebäude hatte sich am Montagmorgen eine riesige
       Menschenschlange von mehreren hundert Schaulustigen und Fotojournalisten
       gebildet, die allesamt dem Prozess beiwohnen wollten.
       
       Offen zu protestieren traute sich jedoch nur eine einzige Gruppe: Eine
       Handvoll Vertreter der „League of Social Democrats“ (LSD), einer
       basisdemokratischen Oppositionspartei, hat mit einem Banner und Megafon die
       Freilassung der Gefangenen gefordert. Chan Po-ying, Vorsitzende der LSD,
       sagte der lokalen Presse, dass die Angeklagten doch nur die Meinung der
       Hongkonger repräsentieren würden, und dies könne kein Verbrechen
       darstellen.
       
       ## Nationales Sicherheitsgesetz wirkt
       
       Darüber wird nun die Justiz entscheiden müssen. Das Urteil dürfte auf sich
       warten lassen, denn der Prozess ist auf mindestens 90 Tage angesetzt.
       Beobachtet wird er nicht nur von der Hongkonger Presse, sondern auch vom
       Ausland mit Argusaugen. Denn das Verfahren wird tiefe Einblicke geben über
       den Zustand der Hongkonger Rechtsstaatlichkeit, auf die Hongkongs Regierung
       nach wie vor stolz ist. Bis vor wenigen Jahren noch galt die internationale
       Finanzmetropole zudem als Ort mit weitgehender politischer
       Meinungsfreiheit.
       
       Seit der Implementierung des [4][nationalen Sicherheitsgesetzes] hat Peking
       dem jedoch längst einen Riegel vorgeschoben: Die Opposition wurde mundtot
       gemacht und die [5][regierungskritischen Zeitungen] geschlossen. Die
       Protestbewegung, die 2019 jeden Samstag Hunderttausende Menschen auf die
       Straßen mobilisierte, ist längst niedergeschlagen worden.
       
       Offiziell gilt zwar weiterhin das Prinzip „ein Land, zwei Systeme“, mit dem
       Festlandchina Hongkong ein weitgehendes Maß an Autonomie verspricht. Doch
       laut den Demokratie-Aktivisten ist dies nichts weiter als blanker Hohn, die
       Freiheiten bestünden nur mehr auf dem Papier. Offen auszusprechen traut
       sich dies allerdings praktisch niemand mehr, denn auch dies könnte nach dem
       nationalen Sicherheitsgesetz als Strafbestand ausgelegt werden.
       
       6 Feb 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Kretschmer
       
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