# taz.de -- berliner szenen: Kein Termin vor der Demenz
Ein großes Berliner Krankenhaus. Rettungsstelle. Freitagabend. Dort bin ich
diensthabende Ärztin. Das ist so etwas Ähnliches wie Arzt. „Was glauben
Sie, wie alt ich bin?“, fragt mein erster Patient. Ich will kein
Spielverderber sein und verschweige, dass sein Geburtsdatum im Computer
steht. „Ende 60?“, frage ich zögerlich. „78“, sagt er stolz. „Soll ich mal
Ihr Alter raten?“ „Warum nicht?“ Er mustert mich. „30 Jahre!“ Ich muss
lachen. „Plus zehn“, sage ich. „15“, fragt er? „Nein, 40, also 30 plus
zehn.“ „15! Sie könnten meine Urenkelin sein“, murmelt er und verlässt
empört den Raum.
Den nächsten Patienten kenne ich vom Blutabnehmen. „Frau Doktor“, freut er
sich. „Ich werde Sie immer in Erinnerung behalten als die Ärztin mit
Migrationshintergrund!“ „Hä?“ „Die schöne Tochter des Grafen Dracula!“
„Hä?“ „Alles Vampire und Blutsauger – so wie Sie! Aber wenigstens hat es
geklappt!“ „Was denn?“ „Na ja, das Blut abnehmen, Sie Dracula!“ „Aaaah“,
sage ich und verstehe. „Blut, Dracula, Rumänien, Migrationshintergrund.“
„Richtig, schöne Grafentochter!“ Er freut sich.
„Ich würde Ihnen ein Blutdruckmedikament empfehlen.“ „Kann ich zwei haben?
Ich fahre in den Urlaub und möchte vorbereitet sein.“ „Wohin geht’s denn?“
„Ach“, sagt er. „Ich könnte jetzt Transsilvanien sagen, aber wir fahren zu
meiner Tochter nach Brandenburg.“
„Dort gibt es doch aber auch Ärzte.“ „Sagen Sie. Meine Tochter war neulich
beim Tierarzt.“ „Welches Tier hat sie denn?“ „Keines, aber ihre Hausärztin
hat dicht gemacht, und der neue meinte, wenn sie auf einen Termin bei ihm
warte, bliebe nur die Behandlung ihrer Altersdemenz.“
„Und da warten Sie lieber hier in der Rettungsstelle?“ „Acht Stunden versus
18 Jahre? Natürlich.“ „Verstehe“, sage ich und drucke drei Rezepte aus. Eva
Mirasol
9 Feb 2023
## AUTOREN
DIR Eva Mirasol
## ARTIKEL ZUM THEMA